Ex cathedra

Georg Kreis und die Schweizergeschichte
Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 21 August 2009

Georg Kreis, oberster Rassismus-Beklager in helvetischen Landen, gibt sich beunruhigt: Die Réduit-Sendungen sowie verschiedene Feiern zum Gedenken an die Generalmobilmachung vor sechzig Jahren – auf schäbige Weise als «Kriegsfeiern» diffamiert – könnten das von der Bergier-Kommission vor einigen Jahren mit zwanzig Staatsmillionen zementierte Bild einer anpasserischen, duckmäuserischen, latent antisemitischen Schweiz während des Zweiten Weltkriegs unterminieren. Dabei müsste, so meint Kreis, der «Bergier-Befund» doch für alle Zeiten als unumstössliche, als gleichsam «ewige Wahrheit» festgemauert bleiben – unverrückbares Denkmal einer aus dem Elend anderer Geschäfte herausschlagenden Schweiz…

Abbild oder Zerrbild?

So scheint es Georg Kreis vorzuschweben. Nun trifft tatsächlich zu, dass diese Bergier-Kommission, in der sich Kreis als wichtiger Wortführer sah, vom Bund einen mit mehr als zwanzig Millionen dotierten Forschungsauftrag zur Politik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg erhalten hatte. Und es stimmt auch, dass die Schweiz im besagten Bergier-Bericht, Ergebnis des erteilten Forschungsauftrags, nicht eben gut wegkommt. Ein Historiker dieser Kommission, der mit strategischen Fragen etwas gar wenig vertraute Zürcher Professor Jakob Tanner, hat das Réduit bekanntlich sogar ausdrücklich als «Demuts-Geste» der Schweiz gegenüber Hitler dargestellt. Weil die Schweiz mit der Réduit-Strategie sozusagen das gesamte Schweizer Mittelland «dem Führer» zum Geschenk gemacht, zur freien Verfügung überlassen habe. Wobei Tanner allerdings bis heute der Frage ausgewichen ist, weshalb besagter Führer Adolf Hitler denn nicht «freudig zugegriffen» hat auf das ihm von einem angeblich duckmäuserischen General grosszügig überlassene «Geschenk»? Dass dieser Führer, statt das Geschenk zu behändigen, vielmehr Pläne zur militärischen Eroberung und Besetzung der Schweiz («Operation Tannenbaum») anfertigen liess, in welchen der Bedarf an deutschen Truppen, weil die Verteidigung der Schweiz als bemerkenswert stark eingestuft wurde, auf nicht weniger als zwanzig Divisionen veranschlagt wurde. Und wo festgehalten wurde, dass sich die Deutsche Wehrmacht durch die Schweiz niemals zu einem Kampf in den Alpen provozieren lassen dürfe, weil im Alpengelände die Schweizer Armee kaum zu schlagen sei…

Tendenziöse Auslassungen

Das sind Auslassungen im Rahmen kruder, die Schweiz beschmutzender Unterstellungen. Auslassungen prägen den Bergier-Bericht aber auch bezüglich der – tendenziösen – Auswahl der zu Rate gezogenen Quellen. Dazu gehören die zweifellos nicht unwichtigen, in amerikanischen Zweitweltkriegs-Archiven aufzufindenden US-Quellen zur Haltung der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und zur – von viel Respekt vor dem Schweizer Wehrwillen geprägten – Beurteilung dieser Haltung durch die damalige US-Regierung. Davon wollte die Bergier-Kommission nichts wissen. Dies kaum aus Geldmangel. Viel eher deshalb, weil die – vom Aargauer Historiker Jürg Stüssi-Lauterburg inzwischen sorgfältig und umfassend ausgewerteten – US-Quellen die von Kreis und Co. verfolgte Anschwärzung der Schweiz nicht bestätigten…

Und jetzt ist Kreis beunruhigt. Er sieht das von ihm und seinesgleichen im Bergier-Bericht vermeintlich für alle Zeiten zementierte Bild einer duckmäuserischen, anpasserischen Haltung der Schweiz zum Dritten Reich durch weitere Forschungen gefährdet. Das Bild des Bergier-Berichts könnte als tendenziöse Mache entlarvt werden.

Der J-Stempel

Dass diese Vermutung nicht an den Haaren herbeigezogen ist, belegt die nach wie vor gehässige Anklage der Schweiz durch Bergier-Exponenten wegen des sogenannten J-Stempels. Während Jahren stand die Schweiz als angebliche Erfinderin dieses antijüdischen Stempels unter massiver Anklage – obwohl der sogenannte «Ludwig-Bericht», vom Bundesrat während der Fünfzigerjahre in Auftrag gegeben zur Untersuchung der schweizerischen Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg, bereits klar gezeigt hat, dass der J-Stempel in Pässen deutscher Juden eine nazideutsche Erfindung war und eindeutig auf eine Verfügung der deutschen Reichsregierung zurückging, von der sich schweizerische Amtsstellen deutlich und begründet distanziert haben.

Just als sich der Bergier-Bericht in Ausarbeitung befand, hat ein ehemaliger Schweizer Militärattaché aufgrund hartnäckiger Forschungen die Wahrheit rund um diesen J-Stempel zweifelsfrei zutage gefördert. Selbst derjenige, der Jahrzehnte früher die Anklage der Schweiz als Erfinderin dieses Stempels im «Beobachter» dramatisch erhoben hatte, Redaktor Peter Rippmann, musste schliesslich einräumen, dass ihm anlässlich der Formulierung seiner Anklage eine höchst bedauerliche Verwechslung unterlaufen sei. Die Faktenlage ist heute klar und eindeutig. Nur die mit zwanzig Staatsmillionen dotierte Bergier-Kommission wollte von der einwandfrei belegten Richtigstellung nichts wissen. Georg Kreis, der sich das Thema J-Stempel für ein eigenes Buch am Rande der Bergier-Veröffentlichungen reserviert hatte, diffamierte denjenigen, der den Fehler um den J-Stempel entdeckt hatte, den inzwischen verstorbenen Dr. Max Keller unverblümt als «Amateurhistoriker», welcher als «pensionierter Bundesjurist» unbeholfen «in das Dickicht der historischen Dokumente» einzudringen versucht hätte, um eine «Reinwaschung der schweizerischen Vergangenheit» zu erreichen. Hemmungslos wurde Dr. Max Keller von Kreis als «Revisionist» und «Negationist» verunglimpft, in Anlehnung an den sattsam bekannten Wortschatz gar als «Leugner der schweizerischen Mitverantwortung» am J-Stempel.

«Böser Unsinn»

Es war im Jahre 2000 der dannzumalige «Beobachter»-Redaktor Urs Rauber, der all diese Vorwürfe von Georg Kreis entschieden und als ebenso «wahrheitswidrig» zurückwies, wie die «Beobachter»-Darstellung Peter Rippmanns in den Fünfzigerjahren zum J-Stempel wahrheitswidrig gewesen ist. Urs Rauber zur Attacke von Georg Kreis auf Dr. Max Keller wörtlich:

«Im Schlusskapitel reichert Kreis die Behauptung gar mit dem unterschwelligen Vorwurf des Antisemitismus an – böser Unsinn von einem Mann, der Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus ist».

Kreis ist seither von diesem «bösen Unsinn» offensichtlich nicht abgerückt. Der Bergier-Bericht – lückenhaft und tendenziös – hat nach Kreis die Qualität eines unverrückbaren «Ex cathedra-Dogmas». Mit dem Ziel, die Anschwärzung der Schweiz, auf was für wackeligen Füssen sie auch steht, für alle Zeiten festzuschreiben – Wahrheit hin oder her.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch