«Mister Achtzehn Prozent»


Porträt eines Wankelmütigen

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 10. September 2010

Einst, als er noch nicht dem Nationalrat angehörte, kämpfte er mit grossem Einsatz für eine deutliche Reduktion der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz. Die von ihm lancierte 18 Prozent-Initiative hat ihm jenen hohen Respekt der Öffentlichkeit eingetragen, der ihn dann wenig später, von vielen SVP-Mitgliedern breit unterstützt, als «Mister Achtzehn Prozent» für die FDP in den Nationalrat trug.

Zwei Gesichter

Dort zeigte er allerdings recht bald merkwürdiges Desinteresse gegenüber den akuten Problemen, die von den Ausländerfragen ausgehen. Er, Philipp Müller mit Namen, entwickelte sich zwar zum Zahlenvirtuosen. Aber die Problemlösung kümmerte ihn kaum:

Den tausendfachen Asylmissbrauch erachtete er als zweitrangig und vernachlässigbar.

Seine Zustimmung zur schrankenlosen Grenzöffnung im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union löste in der von ihm gegründeten Vereinigung «Pikom» ein schweres Zerwürfnis aus.

Seine dabei mit tausenderlei Zahlen gespickten Zusicherungen, wonach nur die auf Westeuropa beschränkte Personenfreizügigkeit verantwortbar sei, dass er indessen jede «Öffnung» nach Osteuropa «sehr kritisch» begleiten und die Erweiterung dieser Personenfreizügigkeit auch noch auf Bulgarien und Rumänien energisch bekämpfen werde, «vergass» er eigenartigerweise immer genau dann, wenn den seinerzeitigen Absichtserklärungen klare Taten hätten folgen müssen.

Und jetzt legt Nationalrat Philipp Müller noch einmal so richtig «freisinnig» zu: Mit markigen Sätzen fällt er über die SVP und deren an die gesamte Schweizer Öffentlichkeit versandte Umfrage-Broschüre zu Ausländerfragen her. Dass die SVP eine Zuwanderung von sage und schreibe 160'000 Ausländern im letzten Jahr (dies entspricht der doppelten Bevölkerung der Stadt Luzern, der zweieinhalbfachen Bevölkerung der Stadt St. Gallen oder der achtfachen Bevölkerung von Philipp Müllers Kantonshauptstadt Aarau) als in keiner Weise hinnehmbar erachtet, kontert Müller mit dem tiefen Eindruck hinterlassenden Hinweis, die Zuwanderung sei ein Jahr zuvor sogar noch etwas grösser gewesen.

Der Leuchtturm und die Illegalen

Völlig abenteuerlich wird die Argumentation des «Ausländer-Spezialisten» und «FDP-Leuchtturms» Philipp Müller, wenn es um die illegal in die Schweiz gelangten Ausländer geht. Diese dürften, lamentiert Müller, für die Gesamtzahl der in der Schweiz sich aufhaltenden Ausländer nicht berücksichtigt werden, weil sie – da schliesslich illegal im Land – in keiner Statistik des Bundes aufgeführt seien. Sind illegal Anwesende für Ausländer-Spezialist Müller also Nicht-Anwesende?

Gemäss oft angestellten, bisher nie ernsthaft dementierten Schätzungen soll sich die Zahl der sich illegal in der Schweiz aufhaltenden Ausländer auf bis zu 300 000 Personen belaufen. Die SVP spricht – um sich nicht dem Vorwurf haltlosen Übertreibens auszusetzen – in ihrem Umfragepapier von rund 200 000 illegal Anwesenden.

Grenzgänger: Ausländer oder Inländer?

Aber auch die Tatsache, dass die SVP die ausländischen Grenzgänger zu den Ausländern zählt, stösst bei Ausländer-Spezialist Müller auf gehässige Ablehnung – wobei ihm merkwürdigerweise die Tatsache aus dem Gedächtnis entschwunden zu sein scheint, dass EU-Grenzgänger (andere gibt es fast nicht) seit Einrichtung der Personenfreizügigkeit höchstens noch einmal pro Woche in ihrem deklarierten Wohnsitzland übernachten müssen. Da dies indessen höchstens bloss large kontrolliert wird, sind viele Grenzgänger faktisch Jahresaufenthalter. Müller schwadroniert derweil von Statistik-Verfälschung, wenn man die Grenzgänger – in der Schweiz voll arbeitende Ausländer – zu den Ausländern zählt…
Wie Menschen sich doch verändern können, wenn sie vom kämpferischen Kandidaten plötzlich zum in Bundesbern bestens geschätzten Parlamentarier dank im Sinne der Classe politique biegsamer Argumentation mutieren.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch