Dominanz der Duckmäuser

Bern und das notorisch vertragsbrüchige Italien.

Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 8. Juli 2011
von Nationalrat Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

Es war im Dezember letzten Jahres: Erste Pressemitteilungen berichteten von offensichtlichen Schikanen Italiens, die Tessiner Firmen mit langjährigem Handelsverkehr mit Italien in schwere Bedrängnis brachten.

Diese Meldungen veranlassten den Verfasser dieser Zeilen, in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats das Volkswirtschaftsdepartement um genauere Auskunft zu ersuchen.
Dieser Aufforderung kam anfangs Jahr ein Vertreter des Seco nach, des im Departement Schneider-Ammann angesiedelten, für den Aussenhandel zuständigen Bundesamtes. Zur Überraschung verschiedener Kommissionsmitglieder hielt der Seco-Sprecher fest, es bestünden keine aussergewöhnlichen Schwierigkeiten. Gegenüber Italien herrsche im Handelsverkehr «Courant normal» wie mit anderen Ländern auch. Zuweilen auftretende Probleme könnten ohne grössere Schwierigkeiten einvernehmlich bereinigt werden.

Blinder Alarm?
Die Kommission liess sich beruhigen. Der Fragesteller zweifelte Gesagtes an und entschloss sich, auf eigene Faust genauer zu recherchieren – motiviert auch durch die Tatsache, dass der der SVP-Fraktion angehörende damalige Tessiner Lega-Nationalrat Norman Gobbi in einem persönlichen Vorstoss den Bundesrat zu spürbaren Retorsionsmassnahmen gegen das geltende Verträge mit Füssen tretende Italien aufforderte.

Die SVP ihrerseits lud anlässlich einer Sitzung ihres Zentralvorstands einen Vertreter der Tessiner Handelskammer ein, am 25. März in Lugano über Probleme zwischen Tessiner Firmen und dem italienischen Staat zu orientieren. Dieser Sprecher der Handelskammer servierte Klartext, belegt mit vielen Firmen-Stellungsnahmen: 247 Tessiner Firmen hätten ernste Probleme mit italienischen Amtsstellen gemeldet. Diese Amtsstellen verhindern oder verzögern Exporte oder würgen Bewerbungen oder Offerten für Dienstleistungen und Projekte in Italien ab, indem sie von den Tessiner Firmen Handelsregister-Auszüge, Steuerausweise, Belege über bezahlte Mehrwertsteuern und anderes verlangten, das nur die Schweiz, gewiss aber nicht den italienischen Staat etwas angeht. Dies offenbar mit dem Ziel, an Namen italienischer Teilhaber oder Grossaktionäre von Tessiner Firmen zu geraten, die von der italienischen Finanzpolizei dann heimgesucht und ausgenommen werden könnten. Klar aber ist: Diese Schikanen Italiens widersprechen allen Freihandels- und Bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU. Italien beging laufend und wissentlich Vertragsbruch.

Bern räumt Probleme ein
Die Auskünfte der Tessiner Handelskammer veranlassten dazu, das Verhältnis Schweiz-Italien in der Aussenpolitischen Kommission (APK) erneut zur Sprache zu bringen.
Am 29. März dieses Jahres war Bundesrat Schneider-Ammann persönlich anwesend. Er zeigte sich erstaunt darüber, dass das in seinem Departement angesiedelte Seco offensichtlich vorhandene Probleme mit Italien heruntergespielt habe. Von «Courant normal» könne keine Rede sein. Schneider-Ammann sah sich allerdings ausserstande, spontan Genaueres auszuführen. Er versprach immerhin einen schriftlichen Bericht, der bis zur nächstfolgenden Sitzung vorliegen würde.

Diese nächste Sitzung fand zwei Monate später, gegen Ende Mai statt. Der schriftliche Bericht war dürftig, bezüglich der aufgetretenen Probleme wenig aussagekräftig. Bern bemühe sich, «wieder konstruktive bilaterale Beziehungen» herzustellen mit Italien und «ein Vertrauensverhältnis» zum Nachbarland wieder aufzubauen – fast so, als hätte die Schweiz Verträge verletzt. Man wolle mit Italien auch den «Dialog zu Steuerfragen» wieder aufnehmen im Blick auf eine «Gesamtlösung für alle offenen Punkte im Steuerbereich». Duckmäusertum spricht aus solchen Aussagen. Immerhin erfuhr man auch, dass die EU Italien unter scharfe Kritik genommen hat. Während zu Bern die Leisetreter die Oberhand behielten, rüffelte Brüssel den italienischen Finanzminister Giulio Tremonti – notorischer Schweiz-Hasser – scharf. Sein Handeln gegenüber Schweizer Firmen sei vertragswidrig, sagte Brüssel.

Ungeduld wächst
Die Ungeduld gegenüber dem den Konflikt in die Länge ziehenden Schweizer Volkswirtschaftsdepartement wuchs. Mündliche Kommentare zum ungenügenden Bericht unterblieben. Es wurde auf eine nächste Sitzung vertröstet. Doch wurde dann «vergessen», das Thema wie versprochen auch zu traktandieren. Erneute, inzwischen scharf formulierte Kritik, führte lediglich zur Zusage, das Verhältnis Schweiz-Italien werde in naher Zukunft als eigenes Geschäft behandelt.

Die zu Bern dominierenden Duckmäuser haben dann dafür gesorgt, dass die versprochene Behandlung – während die vertragswidrigen Schikanen Italiens zu Lasten schweizerischer Firmen im Tessin unverändert weitergehen – erst an der August-Sitzung der APK stattfinden kann.

Der Kanton Tessin handelt
Zum Glück ist im Kanton Tessin eine selbstbewusste Regierung im Amt. Diese hat die Geduld mit dem leisetreterischen Bern längst verloren. Norman Gobbi, der als Lega-Nationalrat in der SVP-Fraktion anfangs Jahr den erwähnten Vorstoss ausgelöst hat, ist vor kurzem zum Regierungsrat gewählt worden. Die Lega verfügt somit über zwei Sitze in der Tessiner Regierung.
Und diese Regierung wartet nicht mehr auf Bern. Sie hat gegen Italien zugeschlagen – genau dort, wo Italien am verletzlichsten ist: Der Tessin verweigert die Überweisung der Quellensteuer-Guthaben an Italien – vorläufig einmal zur Hälfte. Das spürt Italien – das in ähnlichem Ausmass dem Staatsbankrott entgegentaumelt wie Portugal. Nicht weniger als 35‘000 italienische Grenzgänger arbeiten im Kanton Tessin. Indem deren Quellensteuern zur Hälfte ausbleiben, sieht sich Rom endlich zu einer Reaktion genötigt – die bemerkenswert kleinlaut ausfällt.

Bern im Kriechgang
Auch Bern hat auf die Tessiner Massnahme reagiert. Oberschulmeisterin Eveline Widmer-Schlumpf, verantwortlich für den Bundeshaushalt, erhebt ihren Warnfinger: Auch der Tessin sei an internationale Verträge gebunden…

Ganz so, als stünde Frau Widmer-Schlumpf im Dienste des notorischen Vertragsbrechers Italien, glaubt sie, die Tessiner massregeln zu müssen. Diese bleiben freilich unbeeindruckt. Freuen sich bloss, dass sie unerwartete Unterstützung erhalten – aus Norditalien! Den dortigen Gemeinden wird der ihnen aus dem Tessin eigentlich zustehende Anteil an der Quellensteuer, den Bellinzona vorschriftsgemäss nach Rom zu überweisen hat, von der italienischen Regierung offenbar seit Jahren vorenthalten…

Eine Lehre für Bern
Eigentlich wird dem chronisch duckmäuserischen Bern vom Tessin eine herbe Lehre erteilt: Italien machte sich Bern gefügig mit der – selbst von der EU als unhaltbar zurückgewiesenen – Drohung, die Schweiz auf eine «schwarze Liste» von Steuerparadiesen zu setzen. Wer so droht, kriegt von Frau Widmer-Schlumpf und ihrer Begleitung offensichtlich alles, was er von ihr begehrt.
Auch die OECD ist wieder daran, die Schweiz mit der Drohung, sie auf eine schwarze Liste zu setzen, zu erpressen. Sie verlangt nichts weniger als die vollumfängliche Liquidierung des Bankgeheimnisses. Und Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf markiert Bereitschaft, ein Gesetz, das noch nicht einmal von den Räten beschlossen worden ist, bereits wieder zu ändern, auf dass sie den «Wünschen» der OECD vollumfänglich entsprechen kann.

Es gäbe einen anderen Weg: Die Schweiz müsste – das offensichtlich erfolgreiche Tessiner Vorgehen sich zum Vorbild nehmend – in all den EU-Ländern, die aus ihrer Überschuldung heraus ihre Bürgerinnen und Bürger weit über alles Erträgliche hinaus schröpfen, grossflächige Inserate placieren. Inhalt: «Wir Schweizer stehen bei Ihnen auf der schwarzen Liste – weil Ihr Vermögen in der Schweiz sicher angelegt ist.»

Wetten, dass manche Regierung von EU-Staaten, konfrontiert mit solchen Inseraten, zur Vernunft käme. Bern müsste dafür etwas Mut entwickeln. Mut ist Duckmäusern allerdings fremd. Zu Bern dominieren die Duckmäuser. Die Schweiz erleidet darob schweren Schaden.

Ulrich Schlüer, Nationalrat

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch