Israel 2012 (Teil 2)

Reisenotizen aus einer Krisenregion (Teil 2/3)
Publiziert in der "Schweizerzeit" Nr. 15 vom 17. August 2012

Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

Im ersten Teil des Israel-Reiseberichts wurden vor allem die Auswirkungen des sog. «Oslo-Protokolls» auf die Besiedlung Israels kommentiert.

Im zweiten Teil der Reisenotizen zur Informationsreise vom 6. bis 11. Mai stehen die politischen Konfliktpunkte im Zentrum.

Ruhe

Während die arabischen Staaten seit über einem Jahr der Reihe nach von Unruhen und Umstürzen erschüttert wurden und werden, ist die Lage in Palästina bemerkenswert ruhig. Gewalttätige Erschütterungen, wie sie den «arabischen Frühling» kennzeichneten und weiterhin kennzeichnen, werden nirgends sichtbar – auch wenn die Bevölkerung das Geschehen in den Nachbarstaaten gewiss mit grösstem Interesse verfolgt.

Israelische Sicherheitsleute, mit diesem persönlichen Eindruck konfrontiert, bestätigen die ruhige Situation. Sie erklären sie damit, dass die Palästinenser in wirtschaftlich wesentlich besserer Situation leben als die Araber in den umliegenden Staaten – vielleicht abgesehen von den Öl-Emiraten am Golf. Diesen ihren höheren Lebensstandard zu gefährden, dazu sei eine klare Mehrheit der Palästinenser trotz zeitweilig aggressiver Rhetorik nicht bereit. Deshalb hätten sich Ableger des «arabischen Frühlings» in Palästina nie wirklich durchsetzen können. Unruhen, grössere Demonstrationen, revolutionäre Aktivitäten hätten nicht stattgefunden.

Auch an den Checkpoints, die man am Eingang in die (allein den Palästinensern vorbehaltenen) A-Zonen zu passieren hat, fällt die Ruhe, ja Lässigkeit der Kontrollbeamten – zumeist sehr junge Leute in Militäruniform – auf. Israelische Sicherheitsleute betonen, dass ihre Mannschaft sorgfältig darauf geschult werde, unnötige Provokationen zu vermeiden. Lässigkeit im Umgang mit zu kontrollierenden Passanten werde sorgfältig trainiert. Der Aufmerksamkeit tue diese Lässigkeit aber keinen Abbruch.

Bürokratie des Wegsehens

In Bethlehem, in der allein den Palästinensern vorbehaltenen, also in der A-Zone gelegenen Geburtsstadt Jesu, zeigt sich die Uno in Affichen, durch Fahrzeuge etc. recht markant präsent. Allenthalben trifft man auf Uno-Hinweise, Uno-Inschriften. Sie hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. An der Aussenmauer der grossen, von der Uno gegründeten und bis heute finanzierten Mädchenschule von Bethlehem prangt – offenbar seit Jahren – ein grosses Porträt einer bewaffneten, zur Heldin ernannten Selbstmord-Attentäterin – geduldet von einer Organisation, die den Anspruch stellt, Frieden zu bringen. Wegzuschauen scheint Pflicht aller Uno-Funktionäre zu sein.

Dem Zwiespalt auslösenden Bild entspricht die zwiespältige Flüchtlingspolitik der Uno in Palästina. Die angeblichen Flüchtlingslager – heute von andern Häusern kaum zu unterscheidende Stadtteile – haben politischen Zweck. Sie sollen der Führung das Fussvolk erhalten, das bei Bedarf für gewalttätige Aktionen eingesetzt werden kann. Die Uno finanziert diese Flüchtlings-Politik vollumfänglich – trotz scharfer Kritik des Uno-Weltflüchtlingswerks UNHCR. Dieser wird ausgewichen, indem die Uno allein für Palästina eine eigene Flüchtlingsorganisation unterhält, die stärker politisierte UNRWA.

Als Israel als Staat auf der Grundlage einer Uno-Resolution Tatsache wurde, wurden Zehntausende von Juden, die – teils seit Generationen – in arabischen Staaten gelebt hatten, ausgebürgert und vertrieben. Sie fanden in Israel Zuflucht. Israel hat sie aufgenommen und allesamt in Israel integriert – auf eigene Kosten, also auf Kosten der nicht unbedingt im Reichtum schwimmenden, nach dem Zweiten Weltkrieg in Israel neuen Wohnsitz suchenden Juden – teilweise selbstverständlich unterstützt von amerikanischen Juden, nicht aber von Hilfswerken und auch nicht von der Uno.

Andererseits finanziert die Uno in Palästina die gewollte Nicht-Integration der in die sog. «Flüchtlingslager» verwiesenen Palästinenser. Die Integrationsleistung Israels wird übersehen, die gezielte, politisch motivierte, auch Gewaltabsichten nährende Nicht-Integration von Palästinensern wird von der Uno finanziert: Eine Leistung der «Bürokratie des Wegsehens».

Drei Konflikte

Wir erhalten Gelegenheit, am Obersten Gericht Israels die politisch-rechtliche Lage des Landes mit Richter Englard zu diskutieren. Wir können uns der Mundart bedienen. Richter Englard ist im aargauischen Ennetbaden aufgewachsen, erst nach dem Studium nach Israel ausgewandert.

Das Oberste Gericht Israels ist zuständig für alle Zonen. Klagen von Palästinensern behandelt es gleichartig wie Klagen von Juden.

Der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern hat dreierlei Ursachen. An erster Stelle steht das politische Problem Israel gegen Palästina. Israel ist entstanden aus einer Uno-Resolution, welche die Araber und mit ihnen die Palästinenser bis heute nicht anerkennen. Es geht um Israels Existenzrecht. Israel verlangt, bevor irgend welche Zugeständnisse eingegangen werden, die Anerkennung Israels als eigenständigen, unantastbaren Staat. Die arabische Seite erklärt Bereitschaft, diesen Standpunkt allenfalls als Ziel, nicht aber als Voraussetzung für Verhandlungen zu akzeptieren.

Der Konflikt zwischen Israel und den Arabern ist anderer Natur. Im Grunde waren die Araber nie an der Entstehung eines palästinensischen Staates interessiert. Sie beanspruchen dessen Land eigentlich für sich selber. Als Land für die Palästinenser sei seinerzeit Jordanien ausgeschieden und anerkannt worden. Viele Israeli teilen diese Anschauung, indem sie feststellen, die Palästinenser besässen längst ihren eigenen Staat, eben Jordanien.

Der dritte Konflikt, der schwierigste der drei Konflikte, ist jener zwischen dem Islam und dem Judentum. Die Islamisten wenden sich gegen jede Staatsbildung. Sie fordern die Umma, die Einheit des Gottesvolkes. Mit dieser Forderung sabotieren sie eigentlich jede politische Lösung – weil aus Sicht der Islamisten jede politische Lösung die Umma behindere und beeinträchtige.

Verschärft hat sich dieser Konflikt, seit die Hamas die Herrschaft in Palästina an sich gezogen hat. Denn die Hamas ist der Ideologie des Islamismus verpflichtet, sieht in der Bildung eines Palästinenser-Staates keine Lösung, strebt nach Schaffung der Umma, die Muslime im ganzen Nahen Osten inklusive Nordafrika umfassend.

Richter Englard anerkennt, dass es gegenwärtig bemerkenswert ruhig sei zwischen Palästinensern und Israeli. Eine Ruhe, die aber bei entsprechendem Zwischenfall rasch dahinsein könne.

Israel, erläutert Richter Englard, halte sich konsequent an die Genfer Konventionen – bemängle aber, dass diese uneinheitlich angewendet würden, gegen Kleinstaaten weit konsequenter als gegenüber Grossmächten bzw. engen Verbündeten von Grossmächten. Israel habe eine Praxis entwickelt, auf Terrorattacken zwar hart zu reagieren, die Zivilbevölkerung vor dem Gegenschlag aber immer nachdrücklich im Blick auf Kommendes zu warnen.

Ulrich Schlüer
(Fortsetzung folgt)

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch