Abrechnung oder Weitblick

AKZENT der Zeitung "Schweizerzeit" vom 1. Februar 2013

Für viele ist die Minder-Initiative derzeit willkommene Gelegenheit, einigen besonders schamlosen Abzockern, die unermesslich hohe Gehalts- und Bonuszahlungen in ihre eigene Tasche dirigiert haben, gehörig die Meinung zu sagen. Dieser verständliche Drang zur Abrechnung begründet die Popularität dieser Initiative.

Die Initiative enthält allerdings nicht bloss Abrechnungs-Bestimmungen, sie führt auch ein neues, vom Staat beaufsichtigtes Kontroll-Regime über alle börsenkotierten Firmen ein.

Das Bedürfnis, mit Zügellosen abzurechnen, darf den Blick in die Zukunft, den Blick sowohl auf geplante Kontrollmassnahmen als auch auf die vorgesehenen Kontrollinstanzen nicht verbauen.

Die Minder-Initiative führt für alle, zumindest für alle börsenkotierten Firmen neue, bedeutenden Bürokratie-Aufwand erfordernde, also entsprechend kostspielige Rechnungslegungs- und Abstimmungs-Regulierungen ein. Diese neuen Bestimmungen treffen – das muss mit Nachdruck wiederholt werden – keineswegs bloss jene wenigen ganz Grossen, wo üble Abzockerei tatsächlich stattgefunden hat.

Die Frage stellt sich also: Ist es angemessen, auch alle andern, vor allem all die mittelgrossen Firmen, welche nicht weniger als die ganz grossen zum Rückgrat des Wirtschaftsstandortes Schweiz gehören, die aber Abzockerei von Managern nie zugelassen haben, ins gleiche, einschneidende Kontroll-Korsett zu schnüren wie die grossen? Dieser zwecks Abzockerei-Verhinderung vorgesehene Kontrollapparat verschlechtert angesichts seiner bürokratischen, auf die Grosskonzerne ausgerichteten Regulierungsdichte die Wettbewerbsposition der kleineren in diesen Apparat eingebunden Firmen spürbar. Er trifft Unzählige, die nie an Abzockerei beteiligt waren.

Der Gegenvorschlag, der die Grossen keineswegs schont, ist da wesentlich flexibler als die Initiative. Der Gegenvorschlag überträgt die Aufsichtspflicht den Aktionären, also den Eigentümern der Firmen; er stärkt dazu die Position der Aktionäre im Aktienrecht markant. Die Minder-Initiative hingegen überträgt die Oberaufsicht über all die neuen Kontrollvorgänge dem Staat.

Wenn gemäss Minder-Initiative «dem Staat» die Oberaufsicht über die innerbetrieblichen Kontrollmechanismen in den Firmen übertragen wird – wer ist das dann, der «als Staat» weitgehende Regulierungsmöglichkeit über die innerbetrieblichen Vorgänge in den Firmen erhält – auch über jene, die nie der Abzockerei verfallen sind? Von der Sache her ist zu erwarten: Diese Regulierungsgewalt dürfte dem Finanzdepartement zufallen, dessen Vorsteherin ihre Funktionäre mit der Ausführung beauftragen wird.

Ob diese Kompetenz dort in guten Händen liegt? Sie liegt bei jenem Departement, das im Finanzkrieg, den die Grossmächte der Schweiz aufzwingen, die Interessen der Schweiz – gelinde gesagt – äussert zurückhaltend vertritt. Selbst wenn die USA – die Hauptschuldigen an der Welt-Finanzkrise von heute – skrupellos erpresserisch auftreten, knickt das Finanzdepartement notorisch ein. Devotes Nachgeben, selbst Verrat grundlegender schweizerischer Errungenschaften wie des Prinzips der doppelten Strafbarkeit wurden zum «Markenzeichen» dieses Departements. Dessen Vorsteherin entpuppt sich immer mehr als Chef-Ausverkäuferin schweizerischer Interessen. Dieser Bundesrätin und ihren Funktionären soll die massgebliche Regulierungsgewalt über die Wirtschaftsbetriebe in unserem Land eingeräumt werden?

Da machen wir nicht mit!

Die «Schweizerzeit» hat seinerzeit die Unterschriftensammlung für die Minder-Initiative unterstützt – weil Thomas Minder das unbestreitbare Verdienst zukommt, die Abzocker-Frage zum Politikum gemacht zu haben. Mit dieser Initiative heute aber dem Finanzdepartement und seiner Chefin in kritischer Zeit zusätzliche Regulierungsgewalt über alle börsenkotierten Firmen in der Schweiz einzuräumen: Solche Fehlentscheidung tragen wir nicht mit.

Daher stehen wir auf der Seite des Gegenvorschlags.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch