Mitte 1942

Generation diffamiert

"Spalte rechts"
Kommentar des Chefredaktors vom 15.02.2013

Es wird wieder Mode, jene Generation zu diffamieren, welche unser Land als unabhängiges, freies, Demokratie und Menschlichkeit verpflichtetes Land heil durch die Wirren und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zu manövrieren wusste.

Bequem aus den Sesseln, den Kriegsausgang kennend, erteilen «kritische Historiker» und ihre Mitläufer den Verantwortlichen von damals schnöde Zensuren: Der Schweizer Nachrichtendienst habe Mitte 1942 Informationen über Nazi-Gräuel an Juden und Polen nicht an die Grossmächte weitergeleitet.

Mitte 1942: Das war vor Stalingrad! Da standen die Deutschen an Don und Wolga, hatten die Krim erobert, überall auf unaufhaltsam scheinendem Siegeszug, Rommel in Nordafrika noch nicht gestoppt. Dass die von Hitler umzingelte Schweiz in solcher Situation auf Provokation des Führers verzichtete – das soll ihr nachträglich als «Kriegsschuld» unterschoben werden? Russen, Briten und Amerikaner sammelten damals erst ihre Kräfte zum – drei Jahre später siegreich beendeten – Gegenangriff. Fakten, die – kaum aus Zufall, kaum aus Nichtwissen – ausgeklammert werden, auf dass Schuldzuweisungen um jeden Preis konstruiert werden können.

Nicht minder bedenklich auch das Jonglieren mit Flüchtlingszahlen. 1938, nach dem «Anschluss» Österreichs und der dort einsetzenden Judenvertreibung erklärte sich die Schweiz (die mehr Juden aufgenommen hat als jedes andere Land) bereit, allen Flüchtlingen sichere Durchreise zu garantieren – aber kein Staat der Welt war an der Konferenz von Evian zur Aufnahme von Juden bereit, auch die USA nicht! Unserem Land dazu die vor fünfzehn Jahren einwandfrei widerlegte Lüge vom angeblich von der Schweiz erfundenen J-Stempel jetzt wieder aufzutischen, ist geschichtsfälschende Anschwärzung übelster Art, auch wenn von sog. «Historikern» begangen.

Es gibt seit 1957 den «Bericht Ludwig», der alle Vorgänge und alle Zahlen zur schweizerischen Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg sorgfältig und sachlich dokumentiert. Ist es Zumutung, von heutigen Journalisten zu verlangen, diesen Bericht zu kennen, bevor sie niederträchtige Anklagen gegen jene Generation erheben, die in äusserst gefahrvoller Zeit für die Schweiz weit mehr geleistet hat als all die, die aus gesicherter – oft staatsbesoldeter – Position heraus heute die Rolle der süffisanten Ankläger spielen?

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch