Krawatten und Weltpolitik

Zur Qualität gewisser Medien

von Ulrich Schlüer, Chefredaktor "Schweizerzeit"
Kommentar für die Rubrik "AKZENT" in der Ausgabe vom 18. Juli 2014.


Wenn der Erdball von tiefgreifenden machtpolitischen Umbrüchen heimgesucht wird, erfährt man Interessantes an jenen Orten, welche gemieden werden von der Horde der sich gegenseitig abschreibenden Medienmacher.

Aus solcher Überlegung wuchs die Idee, mit Kollegen zusammen eine private Reise nach Iran zu unternehmen – vor genau drei Monaten. Iran wurde als Ziel gewählt, weil dieses Land – nebst Israel – das in der Krisenregion des Nahen und Mittleren Ostens einzige Land ist, das als stabil bezeichnet werden kann.

Politisches Interesse war also ausschlaggebend für das Reiseziel, wobei sich Irans Botschafter in Bern dafür einsetzte, der Gruppe Gesprächskontakte zu vermitteln zu ausgewiesenen, erfahrenen Kennern der Geschichte, des aktuellen Geschehens und der dieses Geschehen bestimmenden Kräfte im Nahen und Mittleren Osten (vgl. «Schweizerzeit», 2. und 16. Mai 2014).

Mediensturm

Publizität war für diese rein private Informationsreise nicht vorgesehen. Weil der hierzulande immer wieder mit radikalen Forderungen auftrumpfende Islamische Zentralrat Wind von unserer Iranreise bekam, verbreitete er dazu sowohl Wahres als auch dreist Erfundenes. Dutzende von Journalisten sprangen auf, suchten eine Sensation – und balgten sich alsbald in Kommentaren mit Mutmassungen übers Hemden-Tragen-ohne-Krawatten.

Für diesen künstlich angefachten Krawatten-Sturm wurde tonnenweise Druckerschwärze vergeudet. Doch nur eine einzige Journalistin stellte einmal die Frage, was man als politisch interessierter Reisender im Iran denn an Interessantem so alles erfahren könne …

Man erfuhr viel, damals, vor erst gerade drei Monaten: Man erfuhr beklemmende Einzelheiten über ein Gewalt-Gewitter, das sich damals im Irak erst zusammenbraute. Eine Gewalteruption stünde unmittelbar bevor – wenige Wochen später wurde sie Tatsache. So drastisch, dass selbst zuvor bloss an Krawatten-Interpretationen interessierte Medienschaffende zu berichten begannen – über Bombenanschläge, über Massaker, über unvorstellbare Grausamkeiten in hasserfüllten Kriegszügen. Man wurde über «Kampftechniken» (in Syrien schon damals Realität) orientiert, die für Menschenrechts-Erwägungen nur Hohn und Spott übrig liessen.

Die USA sind ausgeschaltet

Vor allem hinterliess eine Lagebeurteilung Eindruck, welche auf Krawatten fixierte Schweizer Journalisten damals allerdings noch gänzlich zu überfordern schien: Das Verschwinden der USA aus Nahost.

Eine US-Administration, die ihre Aussenpolitik den allen Tageslüften ausgesetzten Meinungsumfragen unterstellt, hat sich aus all jenen Positionen im Nahen und Mittleren Osten regelrecht hinauskatapultiert. Jahrelang vermochten sie das Geschehen in der die Weltpolitik so nachhaltig beeinflussenden Region einigermassen zu beherrschen. Ihre Kriege im Irak und in Afghanistan hat diese Weltmacht verloren. Ihren traditionell stärksten Verbündeten, Mubarak, hat sie dem Strassen-Mob von Kairo geopfert. Der naive US-Glaube an den «arabischen Frühling» hat sich in Luft aufgelöst. Dem Irak – wo die USA Krieg geführt hatten – kehrten die Amerikaner den Rücken lange vor der Etablierung auch nur annähernd gefestigter Strukturen. Chaos und Grausamkeiten herrschen jetzt vor. Pakistan wurde von den USA mit Atomwaffen ausgerüstet. Heute weiss niemand, wer dort über diese Waffen tatsächlich verfügen kann.

Europa: Desinteressiert?

Man wundert sich in Teheran nachhaltig, dass Europa all diese Entwicklungen nur mit sichtbarem Desinteresse quittiert. Europa werde massivst betroffen werden, wenn weitere politische Explosionen den Nahen und Mittleren Osten erschüttern würden – eine Region, deren Konflikte nur allzu oft zu Weltkonflikten auswucherten.

Den die politische Entwicklung im Iran bestimmenden Kräften ist – nicht allein als Folge der US-Boykottpolitik – bewusst, dass Persien im Mittleren Osten isoliert ist. Die Nachbarn bekunden den Iranern gegenüber weit mehr Angst als Bereitschaft zu pragmatischem Miteinander. Doch müsste die Welt gewahr werden, dass Stabilität allein im Iran noch garantiert sei. Wer immer unkontrollierbares, von Gewalt heimgesuchtes Chaos unter Kontrolle bringen möchte, müsste wohl mit dem einzigen noch stabilen Staat in der Region, mit Iran also, zusammenarbeiten. Das politische Vakuum, welches die kopflose, die eigenen Positionen radikal vernichtende Politik der USA zurückgelassen hat, müsste die Welt überzeugen, dass Lösungen in Nahost nur mit, sicher nicht gegen Iran denkbar seien.

Nicht Verbrüderung, aber pragmatisches Miteinander gegen Terror und Gewalt müsste das Handeln bestimmen. Der heutige Iran sei nicht mehr der Iran von Ahmadinejad.

Fragen und Entwicklungen, die vor drei Monaten noch (fast) keinen Schweizer Journalisten interessiert haben. Der Krieg um Krawatten absorbierte ihr ganzes Denkvermögen.

Welch eindrücklicher «Qualitätsausweis» für das Wirken der hiesigen Meinungsmacher.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch