Krisenregion Mittlerer Osten

Bilanz einer Iran-Reise (2. Teil)

Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

Seit Jahrzehnten prägt politische Unruhe den Mittleren und den Nahen Osten. Der «Arabische Frühling» hat, obwohl zunächst euphorisch bejubelt, die Unsicherheit und Unwägbarkeit der Entwicklung noch verstärkt. Darüber konnten im Iran interessante Gespräche geführt werden.

Während die Medienschaffenden in der Schweiz Tonnen von Druckerschwärze verschwendeten, um ein angebliches «Krawatten-Drama» mit immer neuen, meist erfundenen Einzelheiten immer unsinniger aufzublähen, nutzten die sechs amtierenden und ehemaligen SVP-Nationalräte ihren Aufenthalt im Iran, um die iranische Sicht zu den Krisenherden im Mittleren und Nahen Osten kennenzulernen.

Gesprächspartner

Vor der Abreise wurde der iranischen Botschaft in Bern der Wunsch unterbreitet, der Gruppe kompetente Gesprächspartner zur Lage im Mittleren und Nahen Osten zu vermitteln. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Den SVP-Politikern standen nacheinander der stellvertretende Direktor der Europa- und Amerika-Abteilung im Aussenministerium, Takht Ravanchi, sowie Mr. Ameri, Generaldirektor der Mittelost-Abteilung im iranischen Aussenministerium, als Gesprächspartner zur Verfügung. Die sechs Schweizer Parlamentarier nutzten anschliessend eine Einladung des Schweizer Botschafters in Teheran, Giulio Haas, mit diesem Kenner Irans die in den Gesprächen gesammelten Eindrücke zu vertiefen.

Die Gespräche mit Takht Ravanchi profitierten von der Tatsache, dass dieser hohe Beamte im iranischen Aussenministerium im letzten Jahrzehnt während vier Jahren als Botschafter in Bern akkreditiert und somit mehreren Reiseteilnehmern persönlich bekannt war.

Aus den mehrstündigen Gesprächen ergab sich folgendes Gesamtbild:

USA

Die gegenwärtige Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten ist geprägt durch die Tatsache, dass die USA sämtliche ihrer Stützpunkte in dieser weltpolitisch so virulenten Zone verloren haben. In Ägypten liessen sie ihren zuverlässigsten Freund, Hosni Mubarak, vorschnell – Meinungsumfragen in den USA gehorchend – fallen. Im Syrienkrieg verleiteten sie weitere Meinungsumfragen dazu, auf die aufständischen Kräfte zu setzen, die sich in ihrer Zerstrittenheit als regierungsunfähig erwiesen.

Die Kriege im Irak und in Afghanistan gingen faktisch verloren. Pakistan (das die USA mit Atomwaffen ausgerüstet haben) schlittert anarchischen Zuständen entgegen. Saudiarabien hat an Gewicht deutlich verloren. Es ist von schwierigen Nachfolgeproblemen im Königshaus absorbiert und durch die Unterstützung von Aufständischen im Syrien-Bürgerkrieg ziemlich ins Abseits geraten. Der Libanon gerät zunehmend in Schieflage.

Im Nahen und Mittleren Osten können heute eigentlich nur zwei Staaten noch als stabil und gefestigt eingestuft werden: Iran einerseits, Israel andererseits. In Teheran setzt man darauf, dass die USA, nachdem sie all ihre Positionen im Nahen und Mittleren Osten verloren haben, in absehbarer Zeit wohl doch an konstruktiven Gesprächen mit dem Iran interessiert sein könnten.

Sanktionen

Noch aber halten die USA eisern an der Wirtschaftsblockade gegen Iran fest. Aus den eigentlichen Wirtschaftssanktionen, also aus den Versuchen, wirtschaftliche Kontakte von Staaten und Firmen in den Iran zu unterbinden, erwuchs Teheran nur wenig Schaden. Die Iraner haben zumeist bekommen, was sie benötigen, allenfalls auf Umwegen und teurer als auf dem Weltmarkt.

Einschneidend und Iran schwer treffend wirkt der Ausschluss Irans vom internationalen, an den Dollar gebundenen Zahlungsverkehr. Diese Massnahme trifft weniger das Regime, wohl aber die breite Bevölkerung.

Iran kann zwar nach wie vor exportieren, insbesondere auch Erdöl. Aber der Erlös aus den Exporten wird nicht mehr nach Iran überwiesen. Auf japanischen Banken sollen Guthaben aus Erdölverkäufen in Milliardenhöhe liegen. Aber keine Bank erklärt sich bereit, das dem Iran zustehende Geld dorthin zu überweisen, weil man sich vor der US-Guillotine fürchtet; wird eine Bank von den USA vom internationalen, mit dem Dollar abgewickelten Zahlungsverkehr abgeschnitten, so ist das für die betroffene Bank ein Todesurteil. Die Bank Wegelin hat das erfahren.

Der Erdölexport Irans soll markant eingebrochen sein, weil die Zahlungen für Verkäufe nicht mehr in den Iran fliessen. Dies liefert Zehntausende Iraner akuten Existenzproblemen aus.

Neue Regierung

Seit letztem Jahr ist Hassan Rohani Staatspräsident Irans. Er vermochte seit seinem Amtsantritt insbesondere die Aussenpolitik in deutlich andere Bahnen zu lenken. Irans Aussenpolitik scheint der Dogmatik abgeschworen zu haben. Der Wille, mit den USA ein vernünftiges Auskommen zu finden, wird deutlich – die Sanktionen sollen fallen.

Gespräche mit den USA sind offenbar in Gang gekommen. Darin scheint sich Iran ganz auf die Atomwaffen-Frage zu konzentrieren. Der Iran wolle nicht um jeden Preis Atomwaffen besitzen – auch wenn Teheran immer wieder betont, als souveräner Staat befinde es selbst, welche Bewaffnung seine Armee zur Gewährleistung der Landessicherheit benötige. Mit Nachdruck beansprucht Iran aber das Recht, Kernenergie friedlich nutzen zu können. Das sei für die Entwicklung des Landes existenziell.

Das Absinken des Nachbarlands Pakistan in chaotische Zustände stuft Teheran als Bedrohung ein. Zumal die USA Pakistan «atomwaffenfähig gemacht hätten» – während die USA gleichzeitig Iran mit einschneidenden Sanktionen belegen, angeblich wegen des iranischen Atomwaffenprogramms. Ein Verzicht auf Atomwaffen durch Iran müsste bedingen, dass die USA, die Iran aus Pakistan drohende Gefahr beseitige.

Israel

Der Name «Israel» wird von keinem Verantwortungsträger der iranischen Regierung aus eigenem Antrieb je in den Mund genommen. Soll Israel thematisiert werden, müssen das die Besucher mittels mehrerer Anläufe nachdrücklich fordern. Takht Ravanchi erklärte diese offensichtliche Zurückhaltung dem Thema Israel gegenüber damit, dass die europäische Erwartung, für Nahost eine «Gesamtlösungen» für alle vorhandenen Probleme serviert zu bekommen, illusionär sei. Iran konzentriere sich derzeit ganz auf die A-Waffen-Frage. Wenn es gelinge, mit den USA in dieser Frage zu einem beide Seiten einigermassen befriedigenden Kompromiss zu gelangen, dann könne man pragmatisch ein nächstes Problem in Angriff nehmen. Wer alles aufs Mal verhandeln wolle, werde dagegen scheitern.

Der für den Mittleren Osten verantwortliche Gesprächspartner, Mr. Ameri, hielt zum Thema Israel indessen fest, dass Iran von seiner Haltung nicht abrücke, in Israel und Palästina zusammen das Prinzip «one man one vote» (allgemeines, gleichwertiges Stimmrecht für alle Einwohner) einzufordern. Diskussionen darüber erübrigten sich.

Indem der Iran indessen gegenüber den USA Gesprächsbereitschaft in der A-Waffen-Frage bekundet, vermindert sich die von Israel nachdrücklich in den Vordergrund geschobene Bedrohung durch iranische A-Waffen von selbst – woraus eine Chance dafür entstehen kann, dass selbst Israel mit einem noch zu vereinbarenden Modus vivendi zwischen dem Iran und den USA leben könnte.

Wir trafen übrigens in Iran mehrere Politiker, die voraussagten, dass Iran in der A-Waffen-Frage mit den USA bereits innert etwa drei Monaten zu einer Lösung kommen könnte.

Syrien

In Syrien scheint Präsident Asad die Oberhand zu gewinnen. Im Iran wird dies allgemein mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Die iranischen Politiker stellen Asad konsequent als «Stabilitätsgaranten» in Nahost dar, der seit Jahren bewiesen habe, dass auch die christlichen und jüdischen Minderheiten in Syrien ein gesichertes Auskommen unter vergleichsweise guten Lebensumständen fänden. Asad habe weder je die Christen noch je die Juden verfolgt, was man von den oppositionellen Kräften wahrhaftig nicht behaupten könne. Einzelne Kämpfergruppen hätten vor allem unter Christen eigentliche Massaker angerichtet, geduldet oder gefördert. Den Überblick über das Geflecht dieser Opposition scheint man aber auch im Iran nicht wirklich zu haben.

Könne die Befriedung Syriens nach den Vorstellungen Asads zu Ende geführt werden, dann sei dies ein Gewinn an Stabilität für den ganzen Nahen Osten. Die konstruktiven Kräfte müssten dies begrüssen – auch die USA und Saudiarabien, die mit ihrer Unterstützung oppositioneller Kräfte grossen Schaden angerichtet und sich selbst schliesslich in eine Position der Isolation manövriert hätten.

Fazit

Das Bemühen der iranischen Gesprächspartner, ihrem Land den Charakter eines stabilisierenden Faktors im unruhigen Mittleren Osten zu verleihen, wurde in den Gesprächen augenfällig. Schrille Äusserungen, wie sie unter der vorherigen Präsidentschaft wiederholt zu vernehmen waren, waren keine zu registrieren. Für die Regierung Irans scheint das Herausfinden aus dem von den USA verhängten Sanktionsregime, also die Wieder-Teilnahme am internationalen Zahlungsverkehr via Dollar, Priorität zu gewinnen. Der Wille, aus der wirtschaftlichen Stagnation herauszukommen, dominierte in allen Gesprächen, welche die Schweizer Politiker mit iranischen Persönlichkeiten geführt haben.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch