Empfehlungen oder Urteile?

Nächste EU-Abstimmung kommt bald

Fällt ein Gericht verbindliche Urteile? Oder gibt es bloss Empfehlungen ab? Darüber muss in einer schon bald stattfindenden EU-Abstimmung das Schweizervolk entscheiden.

Von Ulrich Schlüer, Flaach ZH
(publiziert in der Zürcher Woche)


Ende 2012 traf zu Bern Post aus Brüssel ein: Die EU sei, stand im Brief, zu weiteren bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz nur bereit, wenn diese sich in die EU-Strukturen «institutionell einbinden» lasse.

«Institutionelle Einbindung»

Der Bundesrat bekundete sofort Bereitschaft: Die «institutionelle Einbindung» solle in einem Rahmenvertrag festgehalten werden. Dieser stünde über sämtlichen bereits bestehenden sowie auch zukünftigen bilateralen Vereinbarungen zwischen Bern und Brüssel.

Sofort begannen Vorverhandlungen. Zunächst sollte festgehalten werden, was mit «institutioneller Einbindung» konkret gemeint ist. Die Spitzendiplomaten beider Seiten (beide unterstützt von ihren Regierungen) lieferten rasch Resultate.

Die «institutionelle Einbindung» verlangt von der Schweiz drei wesentliche Zugeständnisse an die EU: Erstens müsse die Schweiz all jene EU-Gesetze und EU-Beschlüsse automatisch übernehmen, welche Sachverhalte in bilateralen Vereinbarungen zwischen Bern und Brüssel tangieren. Zweitens entscheide bei Meinungsverschiedenheiten über Vertrags-Auslegungen der EU-Gerichtshof (EuGH) definitiv und unanfechtbar. Könne die Schweiz ein EuGH-Urteil nicht akzeptieren, erhalte die EU drittens das Recht, Sanktionen (also Strafmassnahmen) gegen die Schweiz zu verhängen.

Diese Zugeständnisse lösten in der Schweiz wenig Begeisterung aus. Die Schweiz würde damit von einer bilateralen, gleichberechtigten Verhandlungspartnerin zu einer reinen Befehlsempfängerin.

Burkhalter besänftigt

Bundesrat Burkhalter will diese Bedenken zerstreuen. Er behauptet, der EU-Gerichtshof fälle keine Urteile. Er gebe bloss Empfehlungen ab. Die Schweiz sei durchaus frei, solche Empfehlungen anzunehmen oder abzulehnen.

Im Bundesrat erhob sich Widerspruch. Auch Brüssel meldete sich zu Wort: Die Schweiz könne Entscheidungen des EU-Gerichtshofes zwar benennen wie es ihr beliebe. Sie könne sie als Urteile, als Festlegungen, als Beschlüsse oder auch als Empfehlungen bezeichnen. Klar aber sei: Was der EU-Gerichtshof beschliesse, sei verbindlich und unwiderruflich. Würden seine Beschlüsse nicht vollumfänglich respektiert, käme es zu den in der Vor-Vereinbarung vorgesehenen Sanktionen.

Der Entscheid fällt bald

Es scheint, dass die Entscheidung zum sog. Rahmenvertrag, der die Schweiz in die EU «institutionell einbinden» soll, bald fallen muss. Der Bundesrat will die Vorlage möglicherweise bereits im September den Eidgenössischen Räten vorlegen. Danach wird es zum Referendum kommen. Die Volksabstimmung dürfte dann im Februar oder Juni 2017 stattfinden. Dann muss die Schweiz entscheiden: Sind verbindliche Beschlüsse des EU-Gerichtshofs tatsächlich bloss Empfehlungen? Oder sind EuGH-Entscheide verbindlich und unwiderruflich? So wie auch Bundesgerichtsurteile unwiderruflich sind?

Eine folgenschwere Entscheidung. Eigentlich geht es um die Frage: Behält die Schweiz ihre Unabhängigkeit, ihr Eigenständigkeit, ihr Selbstbestimmungsrecht? Gilt die direkte Demokratie weiterhin? Oder werden künftig die wichtigsten Entscheidungen über die Schweiz in Brüssel von fremden Richtern gefällt?



Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch