Warum steht’s denn im Gesetz?


Liegenschaften-Enteignung zwecks Migranten-Unterbringung

Um den Inhalt des neuen Asylgesetzes, über das die Schweiz am 5. Juni 2016 abstimmt, ist im Parlament – bevor sein Text zur Abstimmung freigegeben wurde – hart gerungen worden.

Von Ulrich Schlüer, Flaach ZH
(publiziert in der Zürcher Woche)


Auch über den Artikel 95b dieses Gesetzes wurde gestritten, in welchem unter dem Titel «Enteignungsrecht» jetzt folgender Satz steht: «Es (gemeint ist das Bundesrätin Sommaruga unterstehende Justizdepartement) ist ermächtigt, nötigenfalls die Enteignung (von Liegenschaften oder Grundstücken zwecks Einrichtung von Asylzentren) durchzuführen.»

Unruhe

Diese Neuerung sorgt im derzeit laufenden Abstimmungskampf für kontroverse Auseinandersetzungen: Stimmberechtigte erschrecken, Bundesstellen wiegeln ab: Niemand, so behaupten sie, denke an Enteignungen zur Erstellung oder Einrichtung von Auffangzentren für all jene vielen tausend Einwanderer, deren Anspruch auf Asyl erst noch abgeklärt werden muss.

Gegenfrage: Wenn solches niemand will – warum musste diese Ermächtigung dann überhaupt ins Gesetz geschrieben werden?

Kein Bedarf?

Einige Zahlen liefern dafür Erklärungen: Der Bund schafft – das sagt er selber – mit dem neuen Gesetz Aufnahme-Kapazitäten für jährlich 24’000 Asylbegehrende. Notfalls könnten, wenn die auf Aufnahme Wartenden etwas zusammenrücken würden, «vorübergehend» bis zu 29’000 Ankömmlinge in den bereits existierenden und in den mit dem neuen Gesetz zusätzlich geplanten Zentren untergebracht werden.

2015 sind indessen 40’000 gekommen. Und in den ersten drei Monaten 2016 sind volle achtzig Prozent mehr gekommen als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Man muss für 2016 also mit rund 60’000 Neuankömmlingen rechnen.

Für diese 60'000 reichen die existierenden und die noch geplanten Zentren bei weitem nicht aus; es fehlt schon jetzt an allen Ecken und Enden an Aufnahme-Kapazitäten. Ohne Enteignungen lässt sich der bereits stattfindende Ansturm also gar nicht bewältigen. Und viele befürchten weitere, massive Zunahme der Migrantenströme – zumal die Schweizer Südgrenze heute das noch einzige offene Tor ist für die in die Mitte und in den Norden Europas strebenden Einwanderer.

Glaubt jemand noch immer, der Bund werde das Enteignungsrecht, das er sich fürs neue Gesetz im Parlament mühsam erkämpft hat, nicht auch anwenden?

Das neue Gesetz

Rechtsgelehrte behaupten, Enteignungen zur Einrichtung von Flüchtlingszentren hätten bis heute nirgends in der Schweiz je durchgesetzt werden können. Das stimmt natürlich – weil es dafür bis heute keine gesetzliche Erlaubnis gab.

Im neuen Gesetz, über das die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 5. Juni 2016 abstimmen, werden Enteignungen dem Justizdepartement aber ausdrücklich gestattet. Während Liegenschaften-Beschlagnahme durch den Bund bis heute per Gesetz nur für unabdingbar notwendige Landesverteidigungs-Einrichtungen sowie für Verkehrsbauten (Eisenbahnlinien, Autobahnen usw.) gestattet waren, ermöglicht das neue Gesetz Enteignungen fortan zusätzlich auch für Bauten zur Migranten-Unterbringung. So steht es im Artikel 95b des revidierten Gesetzes.

Glaubt immer noch jemand, diese gesetzliche Möglichkeit sei geschaffen worden, weil niemand sie je in Anspruch nehmen will?

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch