Respekt dem Souverän

Die Wurzeln des Rechtsstaates
Votum in der Generaldebatte des Zürcher Verfassungsrates am 15. Februar 2001

Die Geschichte der Menschheit kennt kein Beispiel, wonach sich eine freie, den Bürger und seine Souveränität wirklich respektierende Demokratie je für eine gewalttätige Aggression gegen andere Staaten oder andere Völker entschieden hätte.

Es gibt für diese historische Tatsache keine rationale Begründung. Sie resultiert aus der Erfahrung: Der Souverän weiss mit den ihm eingeräumten Rechten offensichtlich verantwortungsbewusst umzugehen. Er respektiert die Souveränität anderer, wo seine eigene Souveränität respektiert wird. Er nimmt, wo seine eigene Freiheit gesichert ist, von jeglicher Gewalttätigkeit, von jeglicher unrechtmässigen Unterdrückung aus Überzeugung Abstand.

Sein Einsatz gilt vielmehr der Schritt um Schritt erfolgenden Ausgestaltung einer soliden Rechtsordnung. Der Rechtsstaat ist ja nicht einfach das Ergebnis eines Naturereignisses, gleichsam ein Geschenk vom Himmel. Die Rechtsordnung ist herausgewachsen aus dem Ringen von Generationen um eine gerechte Ordnung. In der Demokratie, dort, wo die Souveränität der Bürgerin und des Bürgers respektiert wird, wo Bürgerin und Bürger als höchste, die gültige Entscheidung treffende Instanz anerkannt wird, da etablierte sich jene Rechtsordnung, welcher die Gesellschaft vertraut. Wobei jede Generation sich immer wieder von neuem für eine gerechte Ordnung im demokratischen Staat einsetzen muss. Jede Generation entwickelt die Rechtsordnung weiter, passt sie veränderten Bedingungen an. Die Rechtsordnung ist nie abgeschlossen. Und vor allem: Die Rechtsordnung darf nie erstarren!

Erkenntnisse, die heute allerdings nicht mehr selbstverständlich respektiert werden. Versuche sind im Gang, über Konventionen internationaler Organisationen, über der Demokratie entrückte Gremien irgend welcher Fachexperten oder sogenannter "Weiser" dem von der Verfassung im demokratischen Staat bestimmten Souverän die Kompetenz zur weiteren Ausgestaltung der Rechtsordnung zumindest zu beschränken. Die Konsequenzen würden nicht ausbleiben: Wo dem Einzelnen die Gewissheit verloren geht, dass einerseits die geltende Ordnung ein Höchstmass an Gerechtigkeit garantiert, dass ihm anderseits als Teil des Souveräns, die uneingeschränkte Freiheit garantiert ist, dort, wo er Ungerechtes feststellt oder auch nur vermutet, mittels persönlicher, im demokratischen Staat entfalteter Initiative selber an den Souverän zu gelangen, ihn zum Überdenken von Zuständen, gegebenenfalls zu neuer Entscheidung gewinnen zu können - wo solche Gewissheit verloren geht, kann ein Nährboden für Aggressivität entstehen.

Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat gedeihen, wo die Souveränität des einzelnen, in aller Freiheit das staatliche Geschehen mitentscheidenden Bürgers respektiert wird. Wo dem Souverän, der sich nie für Gewalt gegen andere entschieden hat, die Stellung als oberste, letztentscheidende Instanz im Staat gesichert bleibt.

Dem Bürger und den Bürgerinnen diese heute von verschiedenen Seiten zunehmend bestrittene Souveränität im Staat zu bewahren - mit diesem Ziel vor Augen tritt die Fraktion der SVP in die materielle Beratung der neuen Zürcher Kantonsverfassung ein.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch