Vom unstillbaren Drang nach Grösse

Die Classe politique und die Freiheit der Schweiz
Kurzvotum für die Schützen-Landsgemeinde am 12. Mai 2001 im Zürcher Albisgüetli

Der oberste Beamte, der in der Schweiz landauf, landab für Ausland-Einsätze der Armee weibelt, steht im Rang eines Botschafters. Allerdings nur in der Schweiz. Im Ausland glänzt er mit dem Titel "Staatssekretär". Der Entscheid des Souveräns, der vor wenigen Jahren seinen Staatsdienern die Führung dieses im Ausland in der Tat geläufigen Titels verwehrte, gilt ab Landesgrenze offensichtlich nicht. Ob sich die, die unser Land nach aussen zu vertreten haben, der Absage des schweizerischen Souveräns an aussenpolitischen Pomp denn schämen?

Dieser seltsame Umgang mit Titeln ist ein bezeichnendes, den gegenwärtigen Zustand des Landes trefflich charakterisierendes Abbild der helvetischen Wirklichkeit. Dass der Bürger nach Dienern am Staat verlangt, denen auch wenn sie unser Land gegen aussen zu vertreten haben - Freiheit und Unabhängigkeit, das Bekenntnis zu unseren Eigenheiten und Besonderheiten, zu unserem Sonderfall Schweiz mehr bedeutet als Glanz im Schatten von Mächtigen, diese Tatsache scheint unsere hohen Vertreter auf dem internationalen Parkett in Verlegenheit zu versetzen. Statt dass sie - zur Politik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, in den Verkehrsverhandlungen mit Nachbarstaaten, in der Auseinandersetzung um die Zukunft unseres Flughafens - nachdrücklich und zäh schweizerische Interessen vertreten und durchsetzen, flüchten sie allzu oft in eine Haltung devoter, händeringen der Entschuldigung vor internationalen Instanzen. Ihr Katzbuckeln paart sich mit zunehmend dreister, sich skrupellos aus Steuergeldern bedienender einseitiger amtlicher Beeinflussung von Stimmbürgern - im Vorfeld des Urnengangs vom 10. Juni besonders ausgeprägt.

Nicht einmal vor den Schützen machen die unwürdigen Einschüchterungsversuche halt. Da sollen verdiente, langjährige, mit Begeisterung und Treue den Anliegen der Schützen dienende Ehrenmitglieder, die als freie Eidgenossen ihre Stimme erheben zu einer die Eigenständigkeit unseres Landes bedrohenden Entwicklung, eines amtlichen, von Funktionären zu erteilenden Attests bedürfen, bevor sie ihre Meinung selbstbewusst als Schützen zu erkennen geben dürfen. Da wird Offizieren, die sich der internationalistischen Tendenz der hohen VBS-Funktionäre als freie, selbstbewusste Bürger zu widersetzen getrauen, ganz unverblümt mit vorzeitigem Karrieren-Ende gedroht. Daraus wird klar: Die Schweiz steht vor einer wegweisenden Entscheidung. Suchen wir - im Schatten und Schlepptau der Grossen - einen Platz auf der Weltbühne? Oder gilt unser ganzes Streben der Freiheit, der Unabhängigkeit, der Eigenständigkeit unseres Landes?

Hat uns überlegtes Nutzen der vom Sonderfall Schweiz ausgehenden Möglichkeiten nicht zu einer ganz eigenständigen Stellung in dieser Welt verholfen? Wir wollen damit nicht prahlen, aber wir lassen es auch nicht zu, im Blick auf die beeindruckenden Leistungen des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps und des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes als unsolidarisch und kleinlich beschimpft zu werden. Nutzen wir vielmehr die Möglichkeiten, die der neutrale Staat in einem bewaffneten Konflikt nutzen kann. Nicht mit Militär, nicht durch Einreihung in eine Front von sich in Konflikte einmischenden grossen Staaten.

Nein! Die bewusste Nicht-Einmischung in Konflikte erlaubt es dem neutralen wie keinem andern Staat auf dieser Welt, seine humanitäre Hilfeleistung allein auf die Not in einem Konflikt- oder Katastrophengebiet auszurichten. Der Neutrale ist nie Partei. Er hat nicht auf parteiische Interessen Rücksicht zu nehmen. Sein Einsatz galt und gilt allein den in Not Geratenen. Diese humanitäre Tradition verpflichtet uns. Diese humanitäre Tradition gilt es fortzuführen.

So wie der Schütze zum Symbol geworden ist für Freiheit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Landes, so ist der allein an aufgetretener Not orientierte humanitäre Einsatz der aussenpolitische Charakterzug des Sonderfalls Schweiz. Beides wollen wir aufrechterhalten: Unsere Freiheit, unsere Unabhängigkeit und unsere Neutralität, gleichzeitig auch unsere humanitäre, zivil geleistete Hilfe an Notleidende in dieser Welt.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch