Dienen - nicht glänzen!

Bundesfeierrede in Urdorf - 1. August 2006
Nachdem Ulrich Schlüer vor Jahresfrist als Bundesfeierredner von der Gemeinde Urdorf im Zürcher Limmattal kurzfristig wieder ausgeladen wurde, veranlasste die SVP Urdorf für 2006 erneut seine Einladung als Festredner. Und 2006 schritt niemand dagegen ein.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Ich freue mich natürlich, ausrechnet hier in Urdorf zu stehen am 1. August 2006, um Gedanken zur Freiheit und zur Unabhängigkeit der Schweiz vorzutragen. Ist doch nichts so untrennbar mit Freiheit verknüpft wie die freie Rede, die Freiheit des Wortes.

Der 1. August ist ein Jubliläumstag. Man blickt zurück, befasst sich mit den Wurzeln unserer Freiheit und unserer Unabhängigkeit. Wenn man zu entscheiden hat, wohin man gehen will, ist wichtig zu wissen, woher man kommt. Und Sie als Bürgerinnen und Bürger, liebe Bundesfeiergemeinde, dürfen einen aktiv im Tagesgeschehen stehenden Politiker nie davon dispensieren, sein tägliches Tun immer wieder zu messen an jener Idee, welche die Schweiz hat entstehen lassen. An jener Idee von Freiheit und Unabhängigkeit, aus der, zunächst zwar von bloss wenigen Weitsichtigen erarbeitet, dann aber von Zehntausenden mitgetragen, im Lauf der Jahrhunderte schliesslich die Schweiz von heute hervorgewachsen ist.

Die Gemeinde: Noch immer Urzelle der Demokratie?

Wenn ich die vor Jahresfrist für Urdorf verfasste Bundesfeier-Rede noch einmal begutachte, gerate ich tatsächlich in Versuchung, wieder mit den genau gleichen Worten anzufangen: Hervorzuheben, dass die Schweiz am 1. August nicht einen Nationalfeiertag mit glänzender Regierungs-Kundgebung und martialischem Truppenvorbeimarsch begeht. Die Schweizer Bundesfeier findet in der Gemeinde statt, in der - wie man sagt -Urzelle der Demokratie. Dort, wo jede und jeder am Geschehen teilnimmt, seine Meinung, seine Ansicht, seine Interessen unmittelbar selber vorbringt, wo das politische Geschehen transparent ist. Woraus die Demokratie im Kanton, im Bund erst herausgewachsen ist. Diese Verwurzelung der Demokratie in der Gemeinde feiern wir als Stärke, als Sonderfall, als lebendigen Föderalismus in der direkten Demokratie.

Nur: Stimmt das Bild von der "lebendigen Urzelle" Gemeinde-Demokratie überhaupt noch? Warum, fragen manche beklommen, finden sich kaum mehr Mitbürgerinnen und Mitbürger für die Umsetzung dieser Demokratie in Gemeinde-Ämtern? Warum sind stürmische Wahlkämpfe um Gemeinde-Ämter bestenfalls noch Nostalgie? Steckt die Gemeinde-Demokratie nicht eher in der Krise? Ist Faulheit der Bürgerinnen und Bürger die Ursache dieser Krise?

Ich warne vor oberflächlichen Urteilen. Denn Tatsache ist auch, dass der politische Gestaltungsraum für Gemeinden äusserst eng geworden ist und immer noch enger wird. Gezielt werden die Gemeinden in die Rolle bloss noch ausführender, bloss noch zahlender Erfüllungsgehilfen verwiesen.

Öffentlicher Verkehr? Meinungen von Gemeinden zu dessen kostenbewusster - Nachfrage-, nicht Ideologie-orientierter - Ausgestaltung sind nicht gefragt. Die Gemeinden sollen schweigen und zahlen. Fürsorge? Da wurden - von direkt davon profitierenden Funktionären, nicht von politischen Instanzen - Einheits-Richtlinien, die sog. SKOS-Richtlinien festgelegt, die, auf dass alle denkbaren Fälle abgedeckt sind, sich immer am obersten Bedarf auszurichten haben. Die Gemeinden haben sie anzuwenden, zu schweigen und zu bezahlen. Einzelfall-Betreuung, oft zweifellos sowohl billiger als auch menschlicher, ist nicht gefragt. Normen ersticken die Demokratie.

Ins Korsett der Normen-Erfüllung eingeschnürt zu werden, mit verbundenem Mund bloss als Erfüllungsgehilfe von Funktionären zu wirken - was soll an solcher Amtstätigkeit denn noch attraktiv sein? Wo die Gemeinde demokratischer Gestaltungsfreiheit beraubt wird, da fehlen ihr auch die Bürger, die solche Freiheit nutzen. Das ist die Krise der Gemeinde-Demokratie.

Minarett-Entscheid: Der Demokratie entzogen?

Eine aktuelle, in mehreren Schweizer Gemeinden akut gewordene Streitfrage mag diese Entwicklung verdeutlichen: Da haben Gemeinden in mehreren Kantonen in demokratischem Entscheid mit deutlicher Mehrheit entschieden, dass auf ihrem Gemeindegebiet kein Minarett gebaut werden soll. Umgehend meldeten sich einige selbsternannte "Weitsichtige" zu Wort: Dieser Entscheid sei Ausfluss von Hinterwäldlertum, zeige rassistische Anflüge - er müsse umgehend korrigiert werden. Und er wurde korrigiert. Demokratie wurde annulliert. Sich selbst als moralisch überlegen einstufende Besserwisser zwingen verschiedenen Gemeinden genau das Gegenteil von dem auf, was zuvor in freier demokratischer Ausmarchung Beschluss geworden ist.

Wohlgemerkt: Ein Minarett hat mit der in der Bundesverfassung gewährleisteten Glaubensfreiheit nichts zu tun. Wer Nein sagt zu einem Minarett, verbietet niemandem, seinen eigenen Glauben zu leben. Er spricht auch niemandem das Recht ab, sich mit Menschen gleichen Glaubens zur gemeinsamen Ausübung des Glaubens zu versammeln. Gegen solches ist nichts einzuwenden.

Das Nein gilt dem Symbol eines religiös-politischen - dem Christentum alles andere als gewogenen - Machtanspruchs. Solches hat unsere Bundesverfassung nie geschützt. Im Gegenteil: Der Grundsatz "Ja zur Glaubensfreiheit", aber "Nein zu religiös-politischen Machtanspruchs-Symbolen", die andere provozieren oder gar bedrohen - diese sorgfältige Unterscheidung hat in der Schweiz die konfessionellen Gegensätze, jahrhundertelang blutig ausgetragen, schliesslich überwunden, den inneren Frieden entscheidend gestärkt. Wenn eine Gemeinde solche Zurückhaltung gegenüber religiös-machtpolitischen Symbolen auch heute ernst nimmt - wer um alles in der Welt nimmt sich die Willkür heraus, ihr dies zu verbieten?

Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich fordere nicht ein generelles Verbot. Ich verlange nur, dass jede Gemeinde auch in solch zweifellos brisanter politischer Frage gemäss ihrem Mehrheitswillen frei entscheiden kann. Ohne dass sich eine selbsternannte "Obere Instanz" eine Korrektur dagegen anmasst. Wer wollte sich denn erkühnen, die Gemeinde-Demokratie auf Zonengrenzen, auf Gebäudekubaturen, auf Dachneigungen einzuschränken? Niemand hat das Recht, der Demokratie solche Zügel anzulegen. Fusst doch die Bundesverfassung auf der Gleichberechtigung aller, nicht auf Elite-Dünkel und Besserwisserei.

Einbürgerung: Bloss noch Verwaltungsakt?

Auch bezüglich Einbürgerungsentscheid erleben wir einen Angriff auf die autonome Gemeinde-Demokratie. 1999, vor erst sieben Jahren, wurde die neue Bundesverfassung in Kraft gesetzt. Die Bundesverfassung ordnet die Berechtigung zur Erteilung des Bürgerrechts den politischen Rechten der Bürger zu. Sie setzt sie also auf die gleiche Ebene wie das Wahlrecht, wie das Stimmrecht in Verfassungsfragen und bei Referenden zu Gesetzen. Seine politischen Rechte übt der Bürger aus als oberste, letzte Instanz, als Souverän. Der Mehrheitsentscheid gilt. Niemand hat dagegen ein Rekursrecht. Und nie und nimmer muss sich die Bürgerin oder der Bürger für die persönliche Stimmabgabe rechtfertigen. Der Bürger ist schliesslich oberste Instanz. Er ist der Souverän.

Und völlig unangetastet blieb auch in der neuen Bundesverfassung die Regelung, wonach die Einbürgerung in der Gemeinde geschieht - als politisches Recht der Bürger, ohne Rechtfertigungspflicht, ohne Rekursrecht. Den Bürgerrechtsentscheid - wie das die Zürcher Regierung neuerdings versucht - zur "Verwaltungs-Verfügung" (vergleichbar der Erteilung einer Baubewilligung mit Einsprachemöglichkeit) abzuwerten - für solches fehlt in der Bundesverfassung jede Grundlage. Auch das dazu ergangene Bundesgerichtsurteil, auf das sich heute alle Gegner der Gemeinde-Autonomie berufen, steht klar ausserhalb der Bundesverfassung.

Kein Zweifel: Wir haben anzutreten, der Demokratie und der Gemeinde-Autonomie wieder zu ihrer vollen Geltung zu verhelfen. Die Bundesverfassung, das Fundament unseres in der Demokratie verankerten Zusammenlebens, verpflichtet uns dazu.

Funktionäre: Effizienter als Demokratie?

Oder sind, müssen wir uns angesichts solcher Entwertung der Demokratie fragen, Probleme in den Händen von Funktionären besser aufgehoben, als wenn sie demokratisch durch Parlamente oder durch den Souverän entschieden werden?

Um diese Frage zu beantworten, streifen wir kurz einen Bereich der staatlichen Tätigkeit, wo Funktionäre heute praktisch alles bestimmen, die Gemeinden nur auszuführen und zu bezahlen haben: Das Asylwesen. Da geschieht doch so manches, was nachzuvollziehen dem Einzelnen äusserst schwer fällt. Wenn sich zum Beispiel an einer Empfangsstelle an der Grenze ein Mann meldet, der Mazedonien als seine Heimat angibt. Papiere habe er keine. Aber er werde verfolgt und beantrage Asyl. Behauptet der angebliche Mazedonier. Viermal hat er sich gemeldet, viermal wurde er als unglaubwürdig befunden. Viermal wurde ihm Asyl verweigert. Da taucht er tatsächlich ein fünftes Mal auf. Erstaunlicherweise plötzlich mit einem gültigen Pass. Nur weist ihn sein Pass nicht als Mazedonier aus. Sondern als Türken.

Solch unbegründet betrügerisches Spiel mit der eigenen Identität hätte wohl vor keiner Gemeindebehörde verfangen. Doch Funktionäre auf Bundesebene entschieden anders: Der als angeblicher Mazedonier viermal abgewiesene, plötzlich zum Türken mutierte Einlassbegehrer erhielt das Recht zu bleiben - auf Kosten der Schweiz. Treu und Glauben, unverzichtbares Fundament einer freiheitlichen Rechtsordnung, auf der die Demokratie gedeiht, ist suspendiert. Höchste Zeit, dass sich der Souverän zu Asylrechtsfragen demnächst äussern kann. Nutzen Sie die Gelegenheit!

Es geht dabei ja auch um die humanitäre Schweiz. Um die Schweizer Tradition, die Hilfe anbietet, wo Not gross ist. Wo Menschen wirklich bedroht sind. Leisten können wir Hilfe angesichts wirklicher Verfolgung allerdings bloss, wenn im Ernstfall die Plätze wirklich frei sind für die von Verfolgung ernsthaft Bedrohten. Sind die für sie freigehaltenen Plätze im entscheidenden Moment aber besetzt von andern, die keineswegs Not leiden, aber bessere Lebensbedingungen suchen und Asylrecht zu Tausenden missbrauchen, um Einwanderungsgesetze zu umgehen - dann ist das auch Verrat an der Humanität.
Die humanitäre Tradition

Die Welt ist auch heute wieder Tag für Tag mit Bildern des Krieges konfrontiert. Wir haben mit diesen Bildern umzugehen. Wir haben uns zu fragen, wie sich unser Land, wenn es seiner humanitären Tradition treu bleiben will, diesem heutigen Geschehen gegenüber zu verhalten hat.

Unwillkürlich kommt uns die Leistung eines grossen Schweizers, der in Zeiten weltweiter Not Wegweisendes geleistet hat, in den Sinn. Es ist angebracht, seiner zu gedenken, wenn es heute einmal mehr um kluge Aussenpolitik der auf ihre Neutralität und ihre Humanität bedachten Schweiz geht. Ich denke an Walter Stucki.

Walter Stucki? Manch einer wird sich fragen, wer dieses Namens sich denn um die Schweiz besonders verdient gemacht habe. Einige erinnern sich vielleicht des knorrigen, grossgewachsenen Emmentalers aus Konolfingen, den Bundesrat Max Petitpierre als schweizerischer Aussenminister unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg als "nicht nur den besten Diplomaten in seinem Departement", sondern als "die überragende Persönlichkeit in der Schweizer Aussenpolitik überhaupt" bezeichnet hat. Drei markante Eigenschaften Stuckis, die seine durch und durch schweizerische Art zu handeln und zu denken charakterisieren, lassen sich an drei Stationen im vielfältigen Wirken von Walter Stucki illustrieren.

Walter Stucki - ein grosser Schweizer

1935 war Stucki aufgrund besonderer Umstände für kurze Zeit Mitglied des Nationalrats. Damals, vier Jahre vor Kriegsausbruch, lancierte er einen ebenso unerwarteten wie teilweise heftig angefeindeten Vorstoss: Als Freisinniger forderte er 1935 die Aufnahme der Sozialdemokraten in den Bundesrat. Nicht weil er Sozi-Freund war. Sondern weil er den Krieg kommen sah. Und damit eine äusserst schwierige Bewährungsprobe auf die Schweiz zukommen sah, die das Zusammenstehen aller, die Unabhängigkeit und Freiheit vor dem übermächtigen, gewalttätigen Nachbarn retten wollten, erforderlich machte. Das war Stuckis Beweggrund. 1935 wurde er noch nicht verstanden. Obwohl die Sozialdemokraten schon damals von ihrer früheren Fundamentalopposition gegen die Landesverteidigung abzurücken begannen. Es wurde 1943, bis sich Stuckis Idee durchsetzte. Er war damals längst wieder Diplomat.

Das zweite herausragende Ereignis aus der Biographie Walter Stuckis: Er war, wie Einzelne vielleicht noch wissen, während des Zweiten Weltkriegs Schweizer Gesandter im von den Deutschen besetzten Frankreich, im sogenannten Vichy-Frankreich. Die Schweiz hatte dort auch die Interessen der USA zu vertreten, die nach Kriegseintritt keine diplomatischen Beziehungen mehr mit Deutschland unterhielten. Als deutsche Truppen gewaltsam die dem Schweizer Gesandten anvertraute amerikanische Botschaft in Besitz nehmen wollten, trat Stucki dem kommandierenden deutschen Offizier mit offenem Offiziersmesser entgegen, um diesen unmissverständlich an seine Pflicht völkerrechtlich geschützten Institutionen gegenüber zu erinnern. Nicht dass Stucki damit die Deutsche Wehrmacht besiegt hätte. Aber seine energisch dokumentierte Wehrbereitschaft verschaffte ihm Respekt - Respekt, der auch unserem Land zugute kam.

Immerwährende Neutralität

Die Voranstellung gemeinsamer Interessen einerseits, kompromisslose Wehrbereitschaft anderseits und dazu seine sprichwörtlich zähe Verfechtung der Landesinteressen als Diplomat liessen Stucki zum herausragenden Vertreter der Schweiz in seiner schwierigsten Mission werden: Bei der Aushandlung des sogenannten Washingtoner Abkommens unmittelbar nach dem Krieg, als es die neutral gebliebene Schweiz, die in Freiheit und Unabhängigkeit den Krieg in Europa überdauert hatte, vor etwas allzu platter Sieger-Allüre Washingtons zu schützen galt.

Damals, als Stucki die Amerikaner buchstäblich "auf Granit beissen" liess, setzte er Massstäbe für das aussenpolitische Verhalten der neutralen Schweiz den Grossmächten, allen Grossmächten gegenüber. Eine von Stuckis Lehren aus jenen Jahren, die Stellung der Schweiz zum Krieg festlegend, ist auch im Rahmen heutiger, von Neutralität und Humanität geprägter Schweizer Aussenpolitik von ungebrochener Gültigkeit: Nur dann, so positionierte Walter Stucki die Schweiz, kann unser Land in internationalen Konflikten Vermittler sein, wenn es von beiden, zumindest von allen wichtigen Kriegsparteien um solche Vermittlung angegangen wird. Dann kann, dann muss sie diese Aufgabe im Namen der Humanität, im Dienste des zu schaffenden Friedens übernehmen - zäh und zielorientiert, nie aber bloss den Interessen nur einer Seite dienen wollend.

Im Gegensatz zur über den Parteien stehenden Vermittlung ist einseitige Interessenvertretung - so Stucki - ein Weg, den ein neutraler Kleinstaat um seines eigenen Überlebens willen nie, unter gar keinen Umständen begehen darf. Weil er auf solchem Weg nicht über den Kriegsparteien stehen kann, sondern unrettbar zwischen deren Fronten zermalmt wird.

Eine aussenpolitische Lektion, die auch den Verantwortlichen heutiger Aussenpolitik wieder energisch in Erinnerung zu rufen ist. Wenn diese sich im vermeintlichen Glanz von Medienkonferenzen damit brüstet, vom Iran angefragt worden zu sein, eine Konferenz zur Beilegung der Atomfrage im Nahen Osten zu organisieren, dann ist Absender dieses Versuchsballons kein anderer als der eigentliche Angreifer im Konflikt. Der einem andern Land in dieser unruhigen Weltregion unverblümt das Existenzrecht abspricht, der Terror-Organisationen ausrüstet, auf dass diese ihrem tödlichen Geschäft nachgehen können, der allerdings mit solch aggressiver Politik bei andern Mächten auf sich verhärtenden Widerstand stösst. Einem solchen Regime zwecks Umgehung des von anderen Mächten organisierten Widerstands eine Konferenz auf neutralem Boden zu organisieren - das würde den über den Parteien stehenden Vermittler fahrlässig zu einem für andere Zwecke als für den Frieden instrumentalisierten Parteigänger abwerten. Eine Rolle, in welche sich die Schweiz nur aus Profilierungssucht ihrer Aussenministerin nie und nimmer drängen lassen darf.

Dienen - nicht glänzen!

Dazu rufe ich Ihnen die dritte hervorstechende Eigenschaft Walter Stuckis in Erinnerung: Er wurde, als er aus dem diplomatischen Dienst altershalber ausschied, von seinem grossen Freundeskreis und vielen weiteren Zeitgenossen eindringlich gebeten, Memoiren zu verfassen. Stucki hätte wahrlich äusserst Interessantes zu berichten gehabt von der Zeit unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg, während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Vom Verhältnis der Schweiz zu den in jenen schicksalhaften Jahren dominierenden, zumindest in einem Fall die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzenden Grossmächten, zunächst zu Nazideutschland, dann zu den Vereinigten Staaten.

Stucki winkte ab. Von Memoiren wollte er nichts wissen. Die Person des Diplomaten, die Person des Vermittlers aus dem Kleinstaat, so argumentierte er, hat nie im Vordergrund zu stehen. Der Diplomat soll als Diener der Interessen seines Landes seinen Auftrag erfüllen. Profilierungssucht eines Einzelnen beeinträchtige an Schweizer Interessen ausgerichtete Politik auf internationaler Ebene nur.

Dienen sei seine Aufgabe, nicht glänzen!

Zeitlos gültige Worte zur Rolle der Schweiz auf internationaler Ebene. Fast fünfhundert Jahre vor Walter Stucki hat ein anderer grosser Schweizer diese schweizerische Zurückhaltung dem internationalen, von Grossmächten angetriebenen Geschehen gegenüber in gleichem Sinn in Worte gefasst. Mit diesen Worten des Niklaus von Flüe, im Blick auf die Welt von heute von ungebrochener Gültigkeit, schliesse ich meine Gedanken zur Lage der Schweiz am 715. Geburtstag der Eidgenossenschaft:

"Macht den Zaun nicht zu weit, damit Ihr um so besser in Frieden, Ruhe und Einigkeit Eure sauer erworbene Freiheit erhalten könnt. Belastet Euch nicht mit fremden Sachen, verbindet Euch nicht mit fremder Herrschaft, hütet Euch vor Entzweiung und Eigennutz. Behütet Euer Vaterland. Bleibt ihm treu. Suchet nicht den Krieg. - Sollte aber jemand Euch überfallen, dann kämpft tapfer für Freiheit und Vaterland. Gott sei mit Euch."

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch