Seeräuberjagd ohne Grundlage

Stell Dir vor, es ist Krieg…
Nationalratsvotum vom 24. September 2009 zur «Atalanta»-Vorlage

Stell dir vor, es ist Krieg – und jetzt soll sich auch noch die Schweiz unvorbereitet ins Getümmel stürzen. Stell dir vor – ich schaue auf die linke Ratsseite – es ist Krieg – und jetzt wollen solche, die bis vor kurzem noch für die Abschaffung der Armee warben, sich plötzlich hinter der roten Bannerträgerin ins Gefecht stürzen. Stell dir vor, es ist Krieg – und die Mitteparteien leisten die Helferdienste dafür, dass man die Volksbefragung dazu umgehen kann.

Keine Notwehr

Es ist noch nicht lange her, dass das Volk zu Auslandeinsätzen befragt wurde. Es ist dem Volk klar gesagt worden, unter welchen Umständen und in was für Einsätzen Waffengebrauch möglich sei und angeordnet werde. Es wurde von Notwehr gesprochen, es wurde von unvorhergesehenen Situation gesprochen, die in Gewalttätigkeit ausarten, die eskalieren. Wenn es für den Soldaten darum geht, das eigene Leben zu schützen, dann darf die Waffe eingesetzt werden.

Aber nie und nimmer wurde dem Volk gesagt, mit der damaligen Vorlage werde grünes Licht dafür gegeben, dass sich die Schweiz gelegentlich auch auf Seeräuberjagd begeben würde. Nie und nimmer wurde dem Volk gesagt, es werde ein Grundsatzentscheid dafür gefällt, dass die Schweiz plötzlich im Indischen Ozean – in einer Region, die derzeit zu den weltpolitisch umstrittensten überhaupt gehört – Einsätze auf Kriegsschiffen fahren würde.

Da sind Sie dem Volk etwas schuldig: Wenn Sie solche Änderung wollen, muss das Volk wenigstens etwas dazu sagen können.

Militärisch fragwürdig

Die vorgesehenen Atalanta-Einsätze sind auch in militärischer Hinsicht fragwürdig. Ich möchte an das anschliessen, was Kollege Borer soeben gesagt hat. Nicht nur, wenn ein deutsches Schiff in einen gewollten Einsatz fährt, kann es auch für Schweizer brenzlig werden. Die Schweizer werden ja deutschen Schiffen zugeteilt. Ein solches Schiff kann auch plötzlich, unvorhergesehen in eine gefährliche Situation geraten, plötzlich zu Handlungen mit Waffeneinsatz gezwungen sein. Was sagt dann der deutsche Kommandant? Sagt er dann: «Schweizer, in die Kabinen!» Es wurde schliesslich vertraglich festgelegt, dass Schweizer auf deutschen Schiffen keine aktiven Einsätze leisten dürfen; wir Deutschen machen die Arbeit, die gemacht werden muss, allein. So etwas können Sie einer Armee oder auch nur einem Armeekontingent niemals ernsthaft zumuten.

Rechts-Irrweg

Noch abenteuerlicher ist – und da geht es nun auch um die Rechtstradition der Schweiz –, wie mit allfälligen Gefangenen umgegangen werden soll. Dazu wurde uns von Völkerrechtlern gesagt, die EU habe ein Abkommen abgeschlossen, wonach man gefangengenommene Seeräuber nach Kenia ausliefern könne. Da wird also auf einem Schiff irgend jemand – von welcher Staatsangehörigkeit auch immer – festgenommen, und es wird ihm gesagt: Wir fragen dich nicht, du wirst kurzerhand nach Kenia ausgeliefert. Sind Sie sich bewusst, was für absurde Ideen Sie hier verfolgen? Haben Sie auch schon einmal gehört, dass zum Bestand der elementaren Rechte die Habeas-Corpus-Akte gehört – die zwar nicht in der Schweiz erfunden wurde, aber allgemeines Rechtsgut ist. Sie verbietet kategorisch, irgend jemanden an irgend einen Staat auszuliefern, nachdem man ihn gefangen genommen hat! Wie kann man nur auf eine derart abstruse Idee verfallen? Wenn jemand, der sich auf Völkerrechtskenntnisse etwas einbildet, so etwas beantragt, dann gibt er höchstens zu verstehen, dass er in der Lage ist, jedes Gesetz auf jede Art und Weise zu biegen, wenn seine Chefin dies will.

Die Schweiz darf sich auf eine solche Rechtsbiegung niemals einlassen. Diese Vorlage ist unüberlegt, diese Vorlage ist nicht durchdacht. Deshalb ist das Nichteintreten die einzig richtige Antwort.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch