Dem Souverän das letzte Wort!

Gesetzliche Verankerung des Referendums-Rechts
Sondersession des Nationalrats vom 30. August bis 3. September 1999

Im Namen der SVP stellte Ulrich Schlüer in der Debatte über den Genehmigungsbeschluss zu den sieben Bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU drei Anträge.

Der erste Antrag verlangte die gesetzliche Verankerung der Referendumsmöglichkeit anlässlich einer Verlängerung des Vertrags über den Freien Personenverkehr, dessen Gültigkeit zunächst auf sieben Jahre begrenzt wurde.

Beim ersten Antrag geht es darum, dass das Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr nach sieben Jahren verbindlich einem referendumsfähigen Beschluss unterstellt wird. Der Bundesrat hat bis heute in all seinen Erklärungen immer versprochen, das Volk könne sieben Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens über die Freizügigkeit im Personenverkehr mit fakultativem Referendum zur Weiterführung dieses Abkommens Stellung nehmen. Dies wurde in allen bisherigen bundesrätlichen Erklärungen festgehalten. Wenn wir nun aber den Vertragstext studieren, den der Bundesrat in Brüssel unterzeichnet hat, dann sagt dieser Vertrag nicht dasselbe aus. Gemäss Vertragstext nimmt die EU die Erklärung der Schweiz zur Kenntnis, wonach die Schweiz im siebten Jahr des Abkommens ihren Standpunkt zu dessen Verlängerung festlegen wolle. Nach sieben Jahren entscheidet der Bundesrat aber was er machen will. Macht er nichts, dann läuft der Vertrag einfach weiter, und niemand hat etwas dazu zu sagen.

Wenn der Bundesrat der Bevölkerung schon mehrfach in Erklärungen versprochen hat, sie könne nach sieben Jahren mittels Referendum zur Weiterführung Stellung nehmen, dann wird dieses Versprechen nicht erfüllt mit dem Hinweis auf die blosse Möglichkeit der Landesregierung, in sieben Jahren irgend ein Prozedere wählen zu können.

Das Versprechen, das dem Volk abgegeben worden ist, ist verbindlich, es muss eingehalten werden, indem heute gesetzlich festgeschrieben wird, dass in sieben Jahren ein referendumsfähiger Beschluss über die Weiterführung des Abkommens vorgelegt wird. Das Volk soll in jedem Fall die Möglichkeit haben, einen Entscheid zu treffen, wenn es einen soliden Entscheid mittels Referendum verlangt.

Herr Bundesrat Couchepin, Sie haben vorhin bezüglich der Unauflöslichkeit der sieben Abkommen eben wieder von "Guillotine" gesprochen, weil die EU gegen unseren Willen - diese Tatsache freut uns nicht, ist aber hinzunehmen - die Parallelität dieser Abkommen unauflöslich festgeschrieben hat. Wenn man damit die Bevölkerung solchen "Annehmlichkeiten" aussetzt, wie sie eine Guillotine verspricht, dann ist im Gegenzug dazu verbindlich festzulegen, dass das Volk nach sieben Jahren die fest zugesagte Möglichkeit haben soll, im Sinne einer Notbremse aus den Verträgen wieder auszusteigen, wenn es dies als unumgänglich erachtet. Das wollen wir mit unserem Antrag festschreiben.

Für das Parlament geht es darum, den Bundesrat in dieser Frage beim Wort zu nehmen, also die Einhaltung eines Versprechens zu erzwingen, das abgegeben worden ist. Dies sind wir unserem Souverän schuldig. Das hat nichts mit Angst zu tun. Das hat mit elementarer Fairness zu tun in einem Land, das sich der direkten Demokratie verschrieben hat, das den Souverän als solchen anerkennt.

Ich komme zum zweiten Minderheitsantrag: Dieser geht von den Konsequenzen aus, welche die Erweiterung der EU auf unser Abkommen im Rahmen des freien Personenverkehrs hat. Sie wissen aus dem Inhalt der Verträge, dass wir sechs Verträge mit der EU abschliessen. Den siebten - jenen über die Personenfreizügigkeit - schliessen wir indessen einzeln mit den 15 EU-Staaten ab, zusätzlich aber - das bitte ich Sie besonders zu beachten auch mit der EU: Also sowohl mit der EU als auch mit den 15 Einzelstaaten.

Nun gibt es Leute, die uns immer wieder zu erklären pflegen, die EU sei ein dynamischer Prozess. Sie entwickle sich, sie sei morgen schon anders, als sie heute ist. Diese Charakterisierung ist durchaus anzuerkennen.

Bis heute vertraten die EU-Staaten Brüssel gegenüber die Meinung, dass Brüssel nicht die Kompetenz habe, abschliessend über den freien Personenverkehr zu bestimmen. Da hätten die einzelnen EU-Staaten mitzubestimmen. Es ist aber durchaus denkbar, dass dies im Lauf der nächsten Jahre ändert, dass in der EU der Gesetzgebungsprozess weitergeht und die EU-Staaten Brüssel für die Frage des freien Personenverkehrs als allein und abschliessend zuständig erklären. Wenn dann ein neuer Staat der EU beitritt, dann kann die EU dann natürlich den Standpunkt vertreten, Freizügigkeit im Personenverkehr sei jetzt allein Brüsseler Hoheit, womit sich am Vertrag mit der Schweiz nichts ändere. Wir aber sind der Auffassung, wenn die EU heute 15 Abkommen, 15 Genehmigungen in 15 EU-Staaten zum Personenverkehrsabkommen verlangt, dann haben wir im Gegenzug auch mitzureden, wenn eine EU-Erweiterung auf einen sechzehnten, einen siebzehnten oder einen achtzehnten Staat stattfindet. Nicht nur so, wie uns vor wenigen Minuten erklärt worden ist, dass das Parlament zur Erweiterung unseres Abkommens auf weitere Staaten Stellung nehmen kann, dass vielmehr ein referendumsfähiger Beschluss zu fassen sei, so dass auch der Souverän in aller Freiheit entscheiden kann, ob wir die Personenfreizügigkeit auch mit Polen, Tschechien, Ungarn oder weiteren Staaten vereinbaren wollen, weil sich dabei in jedem Fall für jenes Land mit dem höchsten Ausländeranteil in Europa neue Probleme stellen.

Diese beiden Anträge, die ich damit begründet habe, sind für die SVP-Fraktion Schlüsselanträge. Wenn diese beiden Anträge nicht genehmigt werden - beide beinhalten Versprechungen, die abgegeben worden sind, nicht irgend etwas ganz Neues -, wird es uns äusserst schwer fallen, den bilateralen Verträgen überhaupt zuzustimmen.

Ich komme zum dritten Antrag, zum obligatorischen Referendum über das gesamte Vertragspaket. Hier können wir uns über Paragraphen unterhalten, was im Rahmen des Staatsvertragsreferendums dem obligatorischen Referendum zu unterstellen ist und was nicht. Ich gebe zu, da ist die Position des Bundesrates stark. Ich meine trotzdem: So wie beim EWR, so wie beim EWG-Freihandelsvertrag im Jahre 1972, als man das Entscheidende, Wichtige, Wegweisende schwerer gewichtete als die Paragraphen, so hat Bundesrat Couchepin soeben bezüglich bilateralen Verträgen von "einem historischen Schritt" gesprochen. In diesem Land sollten «historische Schritte» mit dem Souverän gemacht werden. Nicht so, dass der Souverän zuerst gegen das Abkommen Unterschriften sammeln muss, sondern dass man ihm grosszügig zubilligt: "Dieses Ergebnis haben wir ausgehandelt, stimme zu oder lehne ab!"

Noch etwas: Wir ändern mit diesem Abkommen in einem ganz wesentlichen Bereich unsere Verfassung. Wir haben vor wenigen Jahren im Rahmen des Alpenschutzartikels (Art. 36sexies BV) bestimmt, dass der Transitverkehr von Grenze zu Grenze auf die Schiene verlagert werden solle. Der Bundesrat hat uns dann erklärt, dies sei gegenüber der EU nicht durchsetzbar; das mag stimmen. Aber damit ist doch nicht die Kompetenz gesprochen, kurzerhand diese Verfassungsbestimmung abzuändern! Der Bundesrat hat nicht die Kompetenz, den Begriff "von Grenze zu Grenze" einfach anders zu interpretieren, indem er ihn auch auf Transportfahrten innerhalb der Schweiz anwendet.Das ist vom Volk so nicht angenommen worden!

Ich bin der Auffassung, es ist jetzt vors Volk zu treten mit der Erklärung, wir könnten die Bestimmung des Alpenschutzartikels in ihrer ursprünglichen Fassung gegen die EU nicht durchbringen. Somit hat das Volk den Entscheid zu treffen, ob deshalb der Verfassungsartikel modifiziert werden soll oder nicht.

Ich muss Sie daran erinnern, dass der Souverän solche Umwandlung nie gebilligt hat. Der Souverän hat einzig die Verladung des Strassengüterverkehrs von Grenze zu Grenze verlangt; wir haben diese Bestimmung auch so in die neue Verfassung übernommen.

Meines Erachtens ergibt sich daraus ganz klar folgende Verpflichtung: Wenn wir mit den bilateralen Verträgen einen Volksentscheid abändern, dann nur unter der Bedingung, dass wir die Verträge obligatorisch dem Referendum unterstellen und damit sagen: Es liegt am Souverän, in aller Freiheit zu entscheiden, ob er mit dieser Änderung des Alpenschutzartikels im Blick auf diese Verträge einverstanden ist oder eben nicht. Das wäre ein fairer Umgang mit dem Souverän, und darum bitte ich mit meinem Antrag die gesetzliche Verankerung des Referendumsrechts anlässlich zeitlicher Verlängerung und räumlicher Erweiterung der Bilateralen Verträge werde vom Rat unterstützt.

Der Antrag auf obligatorisches Referendum wurde dagegen abgelehnt.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch