Schlepperunwesen in Italien zu Lasten der Schweiz

Einfache Anfrage vom 7. Dezember 1998

Frage Schlüer:

Ist der Bundesrat bei der italienischen Regierung vorstellig geworden, seit die italienischen Behörden Tausende von Flüchtlingen, die über die Adria nach Italien gelangt sind, unter Missachtung aller gültigen Regeln nicht etwa registrieren, sondern unter offensichtlicher Duldung von Schlepperaktivitäten an die Landesgrenzen transportieren lassen, auf dass sie in andere Länder – vor allem in die Schweiz – eingeschleust werden können?

Antwort Bundesrat Koller:

Richtig ist, dass eine Lücke im neuen italienischen Einwanderungsgesetz es den Schleppern ermöglicht, straflos von Italien aus Menschen illegal ins Ausland, namentlich auch in die Schweiz, zu schmuggeln. Das wurde in einem Urteil eines Gerichtes in Como in diesem Frühjahr bestätigt. Der Bundesrat ist nach Bekanntwerden dieser neuen Rechtslage verschiedentlich beim italienischen Innen- und Aussenministerium vorstellig geworden. Die unverständliche Gesetzeslücke wurde anlässlich meines Besuches beim italienischen Innenminister Giorgio Napolitano am 10. September dieses Jahres eingehend erörtert.

Am 12. November dieses Jahres wies ich zudem seine Nachfolgerin, Rosa Russo Jervolino, in einem Brief erneut auf das ungelöste Problem hin. Ich erinnerte die Innenministerin in diesem Schreiben unter anderem an den Vorfall auf dem 2000 Meter hohen San-Jorio-Pass am 9. November dieses Jahres, als eine Gruppe von Asylbewerbern, darunter eine Mutter mit einem zwei Wochen alten Mädchen, nach Überquerung des Passes von der Bündner Polizei aufgegriffen wurde. Diese Gruppe wurde erwiesenermassen von Schleppern von Italien aus in die Schweiz geschickt. Auf Vorschlag der neuen italienischen Innenministerin hat der Ministerrat an seiner Sitzung vom 27. November einen Gesetzentwurf verabschiedet, der nun auch die Schleppertätigkeit zu Lasten des Auslands, also auch der Schweiz, unter Strafe stellt. Die Vorlage wird nun vom italienischen Parlament behandelt.

Gemäss unseren Informationen aus dem Innenministerium sollte die Gesetzesänderung vom Parlament innerhalb von drei bis vier Monaten genehmigt werden.

Zusatzfrage Schlüer:

Herr Bundesrat, ich danke Ihnen für diese Antwort. Aber ich erlaube mir eine Zusatzfrage: Gehört es denn nicht zu den selbstverständlichen Grundlagen akzeptabler oder guter Nachbarschaft von Ländern, dass jedes Land in seinem Land gültige Gesetze einhält? Es ist doch nicht so, dass hier eine Gesetzeslücke bestünde! Sie, Herr Bundesrat, gehören ja auch zu jenen, die immer wieder gerne darauf hinweisen, wir seien eben leider nicht dem Dubliner Abkommen unterstellt! Dieses Dubliner Abkommen würde aber von Italien ganz klar verlangen, dass eintreffende Asylanten registriert werden. Ich meine, dass Italien hier sogar ein Menschenrecht verletzt, wenn es dies nicht tut. Da kann man doch nicht von einer «Gesetzeslücke» sprechen. Die Frage ist schon zu stellen, ob da nicht endlich energisches Vorsprechen bei der nachbarlichen Regierung am Platze wäre.

Antwort Bundesrat Koller:

Herr Schlüer, es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Anwendung eines Abkommens unter den EU-Staaten zu verlangen; wir sind ja bedauerlicherweise nicht Mitglied. Im Gegenteil: Wir sollten jetzt froh und dankbar sein, dass sich die Innenministerin bereit erklärt hat, diese Lücke zu schliessen und dem Parlament auf meinen Brief hin sofort eine entsprechende Novelle zu präsentieren, die hoffentlich möglichst bald vom italienischen Parlament verabschiedet wird.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch