Über hundert Wehrmänner nicht eingerückt

In der Nationalrätlichen Fragestunde vom 30. September kam das Nichteinrücken einer grossen Zahl Genfer Wehrmänner zur Sprache.

Frage Schlüer:

Am 5. August 2002 haben 100 Wehrmänner des Schützen Bat 13 und 70 Wehrmänner des Füs Bat 121 einem Aufgebot nach Walenstadt keine Folge geleistet. Welche Sanktionen sind gegen diese 170 Marschbefehl-Verweigerer ergriffen worden und was haben diese Sanktionen bewirkt?

Antwort von Bundesrat Samuel Schmid:

Vorerst ist anzumerken, dass nicht 170, sonder 105 von 853 aufgebotenen Soldaten der beiden Bataillone am ersten Tag ihres WK nicht eingerückt sind. Nun, das macht die Sache nicht wesentlich anders. Aber immerhin, wenn wir von Zahlen ausgehen, dann wollen wir von den korrekten ausgehen.

Mehrere dieser Soldaten sind kurz vor dem Dienst administrativ oder ärztlich dispensiert worden. Zudem sind mehrere Einheiten kurz vor dem Dienst umorganisiert oder zusammengelegt worden. Beides hat die Kontrolle beim Einrücken erschwert. Ich gehe davon aus, dass die Kontrollführung suboptimal
organisiert war. Es sind somit 77 Soldaten, die unentschuldigt nicht eingerückt sind. Die Militärdirektion des Kantons Genf hat die betroffenen Angehörigen der Armee aufgefordert, die Gründe ihrer Abwesenheit darzulegen. Einige haben nachträglich Arztzeugnisse beigebracht, andere hatten unangemeldet den Wohnort gewechselt und deshalb keinen Marschbefehl erhalten. Diese Fälle werden administrativ, disziplinarisch oder militärstrafrechtlich geregelt.

Es lässt sich heute abschätzen, dass es sich um etwa 40 Personen handelt, die dem Dienst aus heute noch unbekannten Gründen ferngeblieben sind. Wie es dem üblichen Vorgehen entspricht, wird der Kanton Genf nach Abschluss seiner Vorabklärungen diese Personen dem Oberauditor der Armee melden. Dieser wird die entsprechenden Militärstrafverfahren einleiten, sodass die Personen, die ungerechtfertigt nicht eingerückt sind, angemessen bestraft werden.

Es kann höchstens noch bemerkt werden, dass es sich vermutlich um Dienstversäumer gemäss Artikel 82 Militärstrafgesetz und nicht um Dienstverweigerer gemäss Artikel 81 Militärstrafgesetz handeln wird. Der Bundesrat wird diese Angelegenheit weiterhin aufmerksam verfolgen. Im Übrigen erlaube ich mir den Hinweis, dass wir die Dispensationspraxis mit der neuen Militärgesetzgebung zentralisieren, weil wir auch in der Praxis der einzelnen Kantone Unterschiede feststellen und wir das regeln möchten.

Zusatzfrage Schlüer:

Herr Bundesrat, ich danke Ihnen für diese Antwort. Es war ja auch schwierig, die genauen Zahlen zu eruieren.

Als einer, der persönlich einmal erlebt hat, dass er am Tag vor dem Einrücken in einen WK aus einem offensichtlichen Grund medizinisch dispensiert wurde ­ wobei ein gewaltiger Apparat ins Laufen kam, weil die Kompanie das im Moment des Einrückens nicht nicht wusste ­, muss ich mich natürlich schon fragen: Weshalb braucht es zwei Monate, bis man teilweise befriedigende Auskünfte über den von mir angesprochenen Vorgang erhält?

Ich möchte dazu die sehr ernst gemeinte Frage stellen: Was tut der Bundesrat, damit wir in diesem Land nicht in eine Entwicklung kommen, die zur Folge hat, dass mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, sie würden bestraft und schikaniert z.B. wenn sie einmal ein Abstimmungsplakat an einem Ort aufhängen, wo es die örtliche Behörde nicht will, dass aber bei einem Verstoss, der gegen die Bundesverfassung gerichtet ist, nach zwei Monaten noch nicht mit Klarheit beantwortet werden kann, was eigentlich die Gründe für diese Dienstversäumnisse oder diese Einrückungsverweigerung gewesen sind?

Zweite Antwort Bundesrat Schmid:

Herr Schlüer, Unrecht hier rechtfertigt nicht Unrecht dort. Ich beantworte mit anderen Worten die Frage, die in meine Kompetenz fällt, soweit sie das jetzt, gestützt auf die militärgerichtlichen Verfahren, überhaupt noch tut. Ich kann Ihnen versichern, dass wir hier Rechtsgleichheit durchsetzen wollen und der Wehrgerechtigkeit Nachachtung verschaffen wollen. Deshalb bin ich allen dankbar, die mich bei der laufenden Militärgesetzrevision unterstützen, weil wir das nur über die Zentralisierung dieses Dispensationaswesens endlich auch zentral steuern können. Sonst sind verschiedene Massstäbe leider an der Tagesordnung. Die Bandbreite ist nicht mehr ganz so eng, wie das vor Jahrzehnten noch der Fall war. Also ist Ihre Frage eigentlich ein flammender Beweis dafür, dass Sie der Militärgesetzrevision mit Überzeugung zustimmen sollten.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch