Frontex


Stäfliche Vernachlässigung der Grenzkontrolle

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 5. November 2010

Frontex nennt sich jene Agentur der Europäischen Union, welche für die Überwachung der sogenannten Schengen-Aussengrenze verantwortlich ist.

Innerhalb der EU gilt bekanntlich Personenfreizügigkeit. Die Grenzen zwischen EU-Ländern werden nicht mehr überwacht. Stattdessen müsste die Aussengrenze – und dafür ist Frontex zuständig – um so sorgfältiger vor illegaler Einwanderung geschützt werden. Die Schweiz hat sich mit den bilateralen Verträgen zu Schengen und zur Personenfreizügigkeit dem Frontexregime unterworfen.

In den ersten Jahren leistete Bern Jahreszahlungen an Frontex zwischen 2,3 und 2,7 Millionen Franken. Weil Frontex bis heute aber nicht befriedigend funktioniert, wurde von der EU eine Zusatzfinanzierung dekretiert. Daran hat die Schweiz jährlich zusätzlich rund 15 Millionen Franken zu leisten. Sie erhält davon rund 3 Millionen Franken wieder zurück an ihren Aufwand mit der Kontrolle der Schengen-Aussengrenze an den Schweizer Flughäfen.

Während die Schweizer Landesgrenze keine Schengen- Aussengrenze ist, kommen auf den Flughäfen der Schweiz auch Passagiere aus Ländern von ausserhalb des Schengen- Raumes an, die folgerichtig weiterhin von der Passkontrolle kontrolliert werden.

Information aus Brüssel

Vor genau einem Jahr absolvierte die damalige Nationalratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi (CVP TI) einen offiziellen Besuch bei der Europäischen Union, wobei Sie gängiger Tradition gemäss von je einem Mitglied aller vier Bundesrats-Fraktionen begleitet wurde. Als Mitglied der SVP Fraktion gehörte der Verfasser dieses Kommentars zur Schweizer Besucherdelegation.

Im Zug der durchaus interessanten und informativen Gespräche, die von dieser Delegation in Brüssel geführt werden konnten, wurden die Schweizer Nationalräte auch vom für Schengen und die Aussengrenze der EU verantwortlichen EU-Kommissar ausführlich darüber orientiert, dass die Überwachung der Schengen Südgrenze, also der Mittelmeer-Grenze Europas „ausser Kontrolle geraten sei“. Die Probleme mit den auf baufälligen Booten das Mittelmeer überquerenden, dabei nicht selten hohem Seegang zum Opfer fallenden Schwarzafrikanern, die um jeden Preis illegal nach Europa einwandern wollten, bewegten damals die Öffentlichkeit. Der Eu-Kommissar orientierte die Schweizer, dass insbesondere das schwerer Krise entgegentrudelnde Griechenland ausserstande sei, seine Schengen- Aussengrenze auch nur annähernd genügend zu kontrollieren. Dies würde die notorische Überforderung sowohl Maltas als auch Italiens bezüglich Mittelmeergrenzen-Überwachung massiv verschärfen. Die Einwanderungsströme verlagerten sich in den Osten des Mittelmeers. Insbesondere via Türkei gelange ein täglich zunehmender Strom illegaler Einwanderer nach Griechenland um von dort aus in den völlig offenen EU Raum. Brüssel sei vorderhand machtlos, Athen rege sich nicht.

Warnungen vom Flughafen Kloten

Schon zu jenem Zeitpunkt wurde die für die Grenzkontrolle in Zürich Kloten zuständige Kantonspolizei Zürich in Bern vorstellig. Es sei, warnte die Zürcher Kapo, davon auszugehen, dass mit den aus Athen in Zürich eintreffenden Flugzeugen in zunehmendem Mass kriminelle Elemente in die Schweiz gelangen würden. Die Zürcher Flughafenpolizei ersuchte das für den Schengenvollzug zuständige Departement Widmer-Schlumpf nachdrücklich um die Ermächtigung, aus Athen in Zürich eintreffende Flugpassagiere genauerer Kontrolle zu unterziehen, da sie der Kontrolle an der Schengen-Aussengrenze zuviel entgangen seien.

Ein persönlicher Besuch bei der Zürcher Flughafenpolizei im Spätherbst 2009 erlaubte es, sich umfassend zu orientieren. Die Hinweise, dass es sich bei vielen dieser aus Athen Einreisender um „mutmasslich Kriminelle“ handelt, waren erdrückend..

Umso unverständlicher, enttäuschender, ja schockierender die Reaktion von Berns: Das EJPD untersagte der Flughafenpolizei ausdrücklich jede genauere Kontrolle der Flugreisenden aus Athen, obwohl das EJPD umfassend im Bild darüber war, dass in Griechenland die Kontrolle der Schengen-Aussengrenze zusammengebrochen war.Das EingeständnisAm 25. Oktober 2010 – ziemlich genau ein Jahr nach dem Besuch der Schweizer Nationalratsdelegation beim für Schengen verantwortlichen EU-Kommissar- lässt Griechenland offiziell verlauten, dass es ausserstande sei, die Aussengrenzen-Kontrolle gemäss Schengen-Vereinbarung wahrzunehmen. Erst jetzt, erst nach diesem Eingeständnis wird die EU aktiv. Hektischer Konferenztourismus setzt ein: Die EU plant „gemeinsame Sofortmassnahmen“.

Die Schweiz soll für den erforderlichen Notfall-Einsatz 30 Grenzwächter für unbestimmte Zeitdauer stellen. Selbstverständlich zeigt sich Bern "solidarisch". Das gleiche Bern, das in Zürich Kloten genauere Personenkontrolle untersagte, womit die Schweiz für hunderte von Kriminellen zum Land der offenen Türen wurde, schickt jetzt als Notoperation auf Steuerzahlers Kosten 30 Grenzwächter an die griechische Schengen-Aussengrenze.

Die Schweiz zu schützen, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, verweigerte Bundesrätin Widmer-Schlumpf, damit sie jetzt für eine sündenteure, vermutlich wenig wirksame aber Solidaritäts-Übung der EU "Solidarität demonstrieren kann". Dass während dem vollen Jahr ihres Nichtstuns zweifellos hunderte von Kriminaltouristen aus Rumänien und Bulgarien via Athen die weit geöffneten Eingangstore in die Schweiz benützen konnten – darüber verliert die verantwortliche Bundesrätin nicht ein einziges Wort.

Der Sachverhalt, das Geschehen an der EU-Aussengrenze zwischen Griechenland und der Türkei ist sowohl im Nationalratsplenum als besonders auch in verschiedenen Kommissionen des Parlaments im lauf dieses aber "des Jahres des Nichtstuns" mehrfach zur Sprache gebracht worden, mehrfach in Anwesenheit der verantwortlichen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Zum Schutz der Schweiz vor importierter Kriminalität, rührte diese keinen Finger. Als umso berufener erachtet sie sich indessen, in diesen Wochen mit Argumenten, deren Wahrheitsgehalt teilweise unter aller Kritik ist, Land auf Land ab gegen die Ausschaffungsinitiative zu missionieren.

Ist unser Land nicht in" guten Händen"?

Ulrich Schlüer


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