Otto Normalverbraucher


Die Bundespräsidentin und der Souverän

Frontseiten-Kommentar für die "Spalte rechts" in der "Schweizerzeit" 8. Januar 2010

Würden die Medien schwerwiegende Fehlleistungen, welche die Schweiz scheinbar aber Brüssel näherbringen sollen, nicht systematisch vertuschen und beschönigen, so wäre das schweizerische Unwort für das Jahr 2010 bereits am Neujahrstag gefunden worden. Bundespräsidentin Doris Leuthard sprach es aus – in einem ihrer Neujahrs-Interviews. Noch erschreckt ob dem für den Bundesrat völlig überraschend Tatsache gewordenen Minarettverbot, plädierte Doris Leuthard für «gewisse Beschränkungen» der Direkten Demokratie. Weder Landesregierung noch Parlament könnten völlig frei handeln. Also müsse sich auch «Otto Normalverbraucher» bestimmten übergeordneten Regeln unterwerfen.

Otto Normalverbraucher: Damit meint die Bundespräsidentin jenes Organ, das gemäss Bundesverfassung das höchste im Land ist – den Souverän, die Gesamtheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, deren Mehrheitsentscheid richtungsweisend ist, bindend auch für Regierung und Parlament. Den Souverän nennt Doris Leuthard jetzt also «Otto Normalverbraucher»…
Einst, als sich die Landesregierung noch als Kollegium von Dienern an Volk und Staat verstand, bestand der Souverän noch aus freien Bürgern. Heute darf er sich als «Otto Normalverbraucher» titulieren lassen. Empfindet ihn die Landesregierung denn als Störefried, weil er den so sehnsüchtig nach glanzvollen Auftritten auf Weltbühnen lechzenden Bundesrat zwingt, ein Minarettverbot durchzusetzen, die Interessen des Volkes zäh wahrzunehmen – etwas, das sich Bundesbern in seiner heutigen Ausverkaufsstimmung im Blick auf Brüssel gar nicht mehr richtig vorstellen kann.

Die schweren Fehler der uns in Krisenzeit Masseneinwanderung bescherenden Personenfreizügigkeit korrigieren? Gewiss, meint Bern, nicht eine Aufgabe des Bundesrates. Ist doch bloss lästiges Gestänker von Otto Normalverbraucher. Endlich den wieder einreissenden Asylmissbrauch stoppen? Aber doch nicht unser Bundesrat. Ist doch nur Pauschal-Nörgelei von Otto Normalverbraucher. Die Privatsphäre bezüglich Vermögensanlagen mit dem Bankgeheimnis zäh verteidigen? Aber doch nicht Bundesbern. Ist doch lediglich haltloses Gemecker seitens Otto Normalverbrauchers.

Otto Normalverbraucher: Verächtlicher als mit diesem Namen könnte Bundesbern den Graben, der sich zwischen dem Volk, unserem Souverän, und unserer Landesregierung, die nach Verfassung Dienerin des Souveräns sein sollte, nicht übersehen.

Ulrich Schlüer


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