Strategie der Selbstaufgabe


Die Schweiz, die EU und Gaddafi

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 3. April 2010

Den Slogan kreierte der Bundesrat vor zehn Jahren für den Sicherheitspolitischen Bericht des Jahres 2000 (Sipol 2000): «Sicherheit durch Kooperation». Damit wollte die Landesregierung ihrer Vision des «Überall-Dabeiseins» zum Durchbruch verhelfen. Im Volk weckte sie damit allerdings bloss von Jahr zu Jahr wachsende Skepsis. Aber die Armee konnte der Bundesrat angesicht ihrer damals schwachen politischen und militärischen Führung umbiegen: Bis auf die Anhängerkupplungen wurde alles kritiklos auf Nato-Normen getrimmt: Material, Kommandosprache, Handbücher, Informatik, Logistik-Konzept usw. Nato, Nato über alles…

Entzweiter Bundesrat

Zurzeit tobt im Bundesrat offener Kampf: VBS-Chef Ueli Maurer will die Verzahnung unserer Armee mit dem Ausland unterbinden. Das EDA – mit einer Gegnerin einer Schweizer Armee an seiner Spitze – will unsere Armee auf ein all ihren aussenpolitischen Eskapaden dienstbar zu machendes Interventionskorps reduzieren. Der Bundesrat, kopflos wie er gegenwärtig ist, hält mehrheitlich zu Calmy-Rey. Kaum aus strategischer Überlegung, vielmehr den Anti-SVP-Reflex pflegend: Mit dem Ziel, Ueli Maurer, indem man ihn zu weiterer internationaler Armee-Kooperation zwingt, in nicht mehr zu kittendes Zerwürfnis mit seiner Partei, der SVP, zu manövrieren.

So weitsichtig werden gegenwärtig zu Bern «die Interessen des Landes» wahrgenommen.

Nagelprobe

Dies zu einem Zeitpunkt, da Berns aussenpolitische Strategie ernsthaft auf die Probe gestellt wird – vom irren libyschen Diktator Gaddafi.

Calmy-Rey übt sich in diesem Konflikt in «Kooperation», setzt vorbehaltlos auf die Karte Brüssel. Sie spricht dort – ein einmaliger Vorgang, den man am Bildschirm verfolgen konnte – vor, flankiert von niemand anderem als jenem Vogt, den Brüssel in der Person von Michael Reiterer in Bern platziert hat. Und wird prompt und rüde abgekanzelt: Obwohl der Schengen-Vertrag mit feierlichen Worten die «Solidaritäspflicht» aller EU-Staaten beschwört, wenn ein einzelner Schengen-Staat von einer Rechtsverletzung eines Drittstaates betroffen wird, lässt Brüssel die von Gaddafis menschenrechtsverachtender Geiselnahme betroffene Schweiz deutlich spüren, dass es von schengenweit wirksamer Visa-Verweigerung für alle Mitglieder des Gaddafi-Clans (keineswegs für alle Staatsbürger Libyens) nichts wissen will. Dieser Geisel wegen an Geschäften mit dem zu den schlimmsten Politverbrechern der Gegenwart gehörenden Despoten gehindert zu werden – nein, solches lassen sich die Schengen-«Partner» von der Schweiz nicht bieten.

Und Berlusconi wird es überlassen, mit Libyens Diktator – statt die dort unter seiner Fuchtel widerrechtlich festgehaltene Geisel heimzubringen – jenen Deal zu vereinbaren, welcher der das EU das ungehinderte Geschäften erlaubt, indem der Schweiz auch noch deren letztes Druckmittel aus den Händen geschlagen wird.

Unterwerfung

So sieht in Sachen Geiselkonflikt mit Libyen also das Resultat von Bundesrätin Micheline Calmy-Reys «Kooperations-Strategie» aus, welche in der Landesregierung zu immer weiterer Blockierung des neuen Sicherheitspolitik-Berichts führt, weil Ueli Maurer die Armee nicht länger wie sein Vorgänger dem Diktat der Internationalisten im heute von Calmy-Rey geführten Aussendepartement zu unterwerfen bereit ist.

Denn Unterwerfung fordert «Kooperationspartner Brüssel» von der Schweiz. Die «Strategie der Kooperation» entpuppt sich – solange unsere Aussenministerin das üble Spiel Brüssels mitspielt – als «Strategie der Selbstaufgabe».

Alternativen

Dabei hätte es zur jetzt Tatsache gewordenen Unterwerfung unter das Brüsseler Diktat durchaus Alternativen gegeben – auch wenn der Schweiz die physische Macht fehlt, Gaddafi zu disziplinieren. Unbeirrbar ausgerichtet auf rechtsstaatliche Grundprinzipien und diese Prinzipien unablässig anrufend, hätte die Schweiz – wie es dem Bundesrat rechtzeitig und wiederholt vorgeschlagen worden ist – ihre diplomatischen Beziehungen mit dem libyschen Rechtsbrecher-Regime abbrechen, den libyschen Botschafter also nach Hause schicken müssen. Weil man mit Rechtsbrechern, mit einem willkürlich seine Rachegelüste auslebenden Diktator nicht verhandeln kann und darf.

Die Schweiz hätte – nachdem sie für die USA in Iran und in Kuba seit Jahren heikle und schwierige Interessenvertretungen mit Geschick wahrnimmt – Washington mit der Wahrung der schweizerischen Interessen gegenüber Libyen betrauen müssen – wie das Bern längst vor Ausbruch des Finanzplatz-Krieges zwischen Washington und Bern mit Nachdruck nahegelegt worden ist.

Darüberhinaus hätte Bern unmissverständlich bei der Uno vorstellig werden müssen. Mit dem Antrag, den Präsidenten der Uno-Generalversammlung – eines Libyers von Gaddafis Gnaden – in seinem Amt unverzüglich zu suspendieren. Weil der Vertreter eines willkürlichen Rechtsbrecher-Regimes nicht Präsident der sich als «Weltfriedens-Organisation» verstehenden Uno sein kann.

Vielleicht wäre die Schweiz auf Anhieb nicht durchgedrungen mit diesem Antrag. Unerschütterlich und nachdrücklich die rechtsstaatliche Position vertretend, wäre ihr Vorgehen aber gewiss nicht ohne nachhaltige Wirkung geblieben. Überlegter, konsequent am Recht orientierter Alleingang wäre der gewählten Kooperationsstrategie, aus der heraus Brüssel die Schweiz jetzt zum Katzbuckeln vor dem Wüsten-Diktator zwingt, aller Wahrscheinlichkeit nach überlegen gewesen.

Lehrstück?

Ob Bern das Scheitern seiner Kooperations-Strategie wenigstens als Lehrstück zu nutzen vermag? Als Lehrstück dafür, dass Souveränitätspreisgabe in Sicherheitsfragen einen Kleinstaat wie die Schweiz zum Spielball der Mächtigen degradiert. Der Mächtigen zu Brüssel, denen im Blick auf Libyen der Mammon weit wichtiger ist als die Menschenrechte.

Hätte Bern die Einsicht und die Grösse, solche Lehre zu beherzigen, dann wäre wenigstens dies ein Lichtblick. Steht die Schweiz doch in Sachen Verteidigung ihres Finanzplatzes aller Voraussicht nach noch weit schwierigeren Herausforderungen gegenüber als jener, in der sie gegenüber Tripolis und Brüssel nicht bestanden hat.

Ulrich Schlüer


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