Es ging um den Rechtsstaat

Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 17. Juni 2011

In der Bundesanwaltschaft rissen – ohne dass damit je Erfolge erzielt worden wären – in den letzten Jahren Sitten und Gebräuche ein, die mit einem ordentlichen Rechtsstaat immer weniger zu tun hatten.

Ist es auch nur im entferntesten rechtens, zur Jagd auf mögliche Geldwäscher einen notorischen Drogen-Kriminellen aus Südamerika aus einem amerikanischen Gefängnis heraus als «Vertrauensperson» zu engagieren und auf unbescholtene Bürger, gegen die weiter kein Anfangsverdacht vorliegt, einfach anzusetzen?

Ist es rechtens, einem solchem als Agent gedungenen verdeckten Ermittler in diametralem Widerspruch zu geltendem schweizerischem Recht eine hohe Gewinnbeteiligung anzubieten an möglichen – in Tat und Wahrheit nie eingetretenen – Fahndungserfolgen, zu denen der Agent mit seinen Methoden gewisse Vorarbeit geleistet haben könnte?

Ist es haltbar, wenn der amtierende Bundesanwalt jede Mitwirkung am Engagement dieses verdeckten Agenten abzustreiten sucht – obwohl ihm aufgrund existierender Korrespondenzen schliesslich nachgewiesen werden konnte, dass er als damaliger Chef der Bundeskriminalpolizei nicht bloss beim Engagement des «Vertrauensmannes» mitbeteiligt war, dass zusätzlich die Idee der illegalen Gewinnbeteiligung des verdeckten Ermittlers an denkbarem Fahndungserfolg vom damaligen Bundeskriminalpolizei-Chef, identisch mit dem vor wenigen Tagen abgewählten Bundesanwalt, ausging?
Ist der Entscheid nachvollziehbar, dass am Engagement dieses verdeckten Ermittlers selbst dann noch festgehalten wurde, als sich die Indizien markant verdichteten, dass Agent Ramos ein gleichzeitig auch in den Diensten der USA stehender Doppelagent war?

Ist es im entferntesten akzeptabel, dass ein zuvor unbescholtener Bankier, gleichzeitig Oberst im Generalstab, verhaftet und gefangengesetzt wird allein aufgrund einer ihn anschwärzenden Behauptung des gegebenenfalls am Gewinn der Aktion beteiligten Doppelagenten?

Kann rechtsstaatlich auch nur im entferntesten verantwortet werden, dass der verhaftete Bankier fast acht Jahre lang von der Bundesanwaltschaft in einer Untersuchung behalten wird – obwohl seit Jahren klar ist, dass die vom Doppelagenten dem Bankier unterschobene angebliche Geldwäsche nie und nimmer für eine Anklage-Erhebung taugte – weil irgendwie haltbare Indizien dafür nie beigebracht werden konnten?

Darf rechtsstaatlich zugelassen werden, dass einer, der ohne hinreichenden Grund jahrelang fälschlicherweise einer Straftat verdächtigt worden ist, einfach in der Strafuntersuchung behalten wird, bis irgend etwas anderes ausgemacht werden kann, das man als Anklage-tauglich bezeichnet – obwohl das mit der neuen Beschuldigung verbundene, in Frankreich gelaufene Verfahren dort schon längst zuvor hatte eingestellt werden müssen, weil nichts dran war? Und das schliesslich dann auch in der Schweiz zu einem Freispruch in allen Punkten geführt hat?

Hat es mit Rechtsstaat noch irgendwie zu tun, wenn jemand – allein aufgrund von Anschuldigungen eines gewinnbeteiligten kriminellen Doppelagenten – so lange in Untersuchung gehalten wird, bis er seine Firma, seine Existenz und seinen Ruf verloren hat – und der dann erst acht Jahre nach Untersuchungseröffnung von allen gegen ihn erhobenen Verdachtsmomenten freigesprochen werden muss?

Das waren die hauptsächlichsten Fragen, welche diejenigen beantworten mussten, welche zur Person Beyeler als Bundesanwalt am 15. Juni 2011 Stellung zu nehmen hatten.
Die Antwort fiel aus zugunsten der Glaubwürdigkeit des Rechtstaates Schweiz und gegen Machenschaften, die offensichtlich als geringer denn bloss als zweifelhaft eingeschätzt wurden.

Ulrich Schlüer, Nationalrat


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