Bilanz einer privaten Iranreise

Wenn Medienschaffende kollektivem Amok verfallen

Von Ulrich Schlüer, Chefredaktor Schweizerzeit

Vier amtierende und zwei ehemalige SVP-Nationalräte bereisten vom 16. bis 26. April privat Iran. Dabei wurden aber auch Kontakte mit iranischen Politikern der Legislative und der Exekutive möglich – was kollektive Hysterie bei Dutzenden hiesiger Medienleute entzündet hat.

Shiraz: Hunderte Iraner strömen ins Mausoleum des iranischen Nationaldichtes Hafis, des Schöpfers des «Diwan», der auch Goethe inspiriert hat. Viele sind an diesem Donnerstagabend – am Abend vor dem Freitag – bereits in Feststimmung. Viele mit einem Buch in Händen. Es ist das Buch mit den Gedichten Hafis‘. Sie setzen sich auf Mauern und Bänke. Schlagen das Buch auf. Lesen. Lassen die Lehren des Hafis auf sich wirken.

Es ist ein Erlebnis, solches Verhalten am ersten Abend im Iran zu beobachten.

Es sei, erfahren wir, auch ein alter Mann zugegen, der sämtliche Gedichte des Hafis aus dem Kopf zu rezitieren wisse. Unser Reiseführer findet ihn. Mit tiefer, wohlklingender Stimme rezitiert er – sofort von Dutzenden umringt …

Hochkultur

Die Iraner sind Erben einer jahrtausendealten Hochkultur. Sie ehren diese Kultur. Sie reagieren – darin den Chinesen vergleichbar – gereizt, beleidigt, wenn eine herrische Weltmacht, sich demonstrativ um Geschichte und Kultur dieses riesigen Landes foutierend, ihnen Verhaltensregeln aufzwingen will, über die zu entscheiden sie sich selbst vorbehalten – dem Erbe ihrer jahrtausendealten Kultur verpflichtet.

Die Iraner sind stolz auf ihre Kultur. Mit nie nachlassendem Eifer erklären sie interessierten Besuchern die Zeugen ihrer Hochkultur: Shiraz, Persepolis und Nekropolis, Isfahan, Kashan …

Isoliert

Man stellt auch als Besucher rasch fest: Die Iraner unterscheiden sich deutlich von den Arabern. Nicht nur kulturell, auch im Alltag. Davon später.

Politisch ist der Iran – obwohl die grösste und mächtigste Nation im Mittleren Osten – isoliert. Sowohl zum Osten (Pakistan, Afghanistan) als auch zum Westen (zu Saudiarabien – im Syrienkrieg aufseiten der Aufständischen –, zur Türkei, zum Irak) sind die Beziehungen frostig, teilweise gespannt.

Die anderen Nationen der Region verfolgen das Handeln der Iraner argwöhnisch. Viele scheinen sich vor ihnen zu fürchten.

Krieg mit dem Irak

In den Achtzigerjahren kam es zu einem achtjährigen, erbittert und für den Iran äusserst verlustreich geführten Waffengang mit dem Irak. Die Iraner (Schiiten) führten diesen ihnen aufgezwungenen Krieg allerdings nicht gegen den Irak (Hochburg der Sunniten). Sie führten ihn, wie sie sorgfältig betonen, gegen Saddam Hussein, den Diktator des Irak.

Tief eingegraben ins Weltbild der Iraner hat sich die Tatsache, dass in diesem Krieg alle grossen Mächte dieser Welt – also die USA, die Sowjetunion, die Engländer, die Franzosen, die Deutschen – damals Saddams Armee mit den modernsten Waffen ausgerüstet haben. Ein zwar sehr grosses, offenbar auch hochmotiviertes, waffentechnisch indessen weit schlechter ausgerüstetes iranisches Infanterieheer stand der technologisch weit überlegenen Kriegsmaschinerie Saddams gegenüber. Aber die Infanterie hielt stand – wenn auch unter mörderischen Verlusten. Saddams weit besser ausgerüstete Armee wurde nach achtjährigem, verbissenem Ringen zurückgeschlagen, besiegt.

«Nie wieder!»

Die Erfahrung aus diesem Krieg: «Nie wieder!» solle es geschehen, dass das iranische Heer sich ohne Hilfe von aussen erdrückender waffentechnischer Überlegenheit eines Feindes erwehren müsse.

Deshalb – und daraus entstand der tiefe Konflikt mit den USA – beansprucht der Iran die Entscheidung über Ausrüstung, Aufstellung und Einsatzdoktrin seiner Armee uneingeschränkt für sich selber. Sie, die Iraner, hätten ihre Armee nie offensiv gegen Nachbarn in Marsch gesetzt. Ihre Armee sei einzig in einem verzweifelten Abwehrkampf, allein zur Verteidigung der eigenen Grenzen eingesetzt worden. Erfolgreich eingesetzt worden. In einem Krieg, in dem alle Weltmächte den Gegner der Iraner unterstützt hätten.

Wie und womit der Iran seine Grenzen verteidigen wolle – dazu verbitte man sich nach gemachter Erfahrung im Krieg gegen den Irak jede Einmischung von aussen – zumal die, die Iran heute Rüstungsbeschränkung auferlegen wollten, damals allesamt Saddam unterstützt hätten.

Das ist die Argumentation der Iraner – wobei sie die Aktivitäten sowohl der Hisbollah als auch der Hamas als «Anstrengungen eigenständiger Bewegungen» allerdings ausklammern. Wie diese Bewegungen ohne Unterstützung durch Teheran operieren könnten, dazu sind keine Kommentare erhältlich.

Sanktionen

Der iranische Wille, über die Bewaffnung des eigenen Heeres – mit der Kriegserfahrung gegen Saddam im Hinterkopf – eigenständig zu entscheiden, klammert die atomare Bewaffnung nicht aus. Die unablässige Betonung der Iraner, eine mögliche Atombewaffnung würde bloss zur Abschreckung, also zu Verteidigungszwecken in Erwägung gezogen, lassen die USA allerdings nicht gelten. Während sie dem Nachbarland Pakistan zu atomarer Bewaffnung verholfen haben, dulden sie vonseiten Teherans keinerlei Vorbereitungen, die zu atomarer Bewaffnung verhelfen könnten. Deshalb die Sanktionen. Sie sind äusserst widersprüchlicher Natur. Angeblich zielen sie allein auf Rüstungsgüter. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.

Nadelstiche

Warum darf die Iran Air Frankfurt anfliegen, schweizerische Flughäfen aber nicht? Spielt da «Abwehr gegen Kriegsvorbereitungen» eine Rolle? Unsinn!

Fast noch grotesker: Die Iran Air fliegt Frankfurt in fünfstündigem Direktflug an. Auf dem Rückflug erfolgt eine Zwischenlandung in Belgrad. Niemand steigt dort aus. Niemand steigt zu. Der Stopp erfolgt allein zur Betankung des Flugzeugs, das in Frankfurt nicht aufgetankt wird, dessen Treibstoff-Fassungsvermögen für Hin- und Rückflug nach Teheran aber nicht ausreicht.

Die Deutschen verweigern den Iranern keineswegs den Treibstoff. Aber der Iran ist durch Verfügung der USA vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Für jede Maschine, die in Frankfurt auftanken müsste, müsste der Treibstoff bar bezahlt werden.

Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr mit dem Iran ist mit den heutigen, an den Dollar gebundenen internationalen Regelungen für den Zahlungsverkehr unmöglich. Das haben die USA durchgesetzt.

Strangulation

Wirtschaftliche Sanktionen konnten dem Iran wenig anhaben; für benötigte Güter, auch für Exportgüter liessen sich immer Aus- und Umwege finden. Aber der Ausschluss Irans vom internationalen Zahlungsverkehr – der Massnahme vergleichbar, welche die Bank Wegelin zur Strecke gebracht hat – wirkt.

Im Klartext: Der Iran kann weiterhin Öl zum Beispiel nach Japan liefern. Aber keine Bank der Welt würde die Bezahlung des gelieferten Öls in den Irak überweisen – weil sie, würde sie solche Zahlung abwickeln, der Bannstrahl der USA träfe. So summieren sich nicht überweisbare Guthaben iranischer Gesellschaften in Milliardenhöhe auf Bankkonten in aller Welt. Der iranische Ölexport aber bricht ein. Das bewirkt die Alleinherrschaft der USA über den an den Dollar gebundenen internationalen Zahlungsverkehr. Eine Alleinherrschaft, die skrupellos zur Strangulation jener eingesetzt wird, deren Politik Washington missfällt. Wirtschaftskrieg in reinster Ausprägung.

Gespräche

Entwicklungen, die verständlicherweise Diskussionen auslösten. Die Schweizer Parlamentarier erklärten iranischen Parlamentariern die Prinzipien schweizerischer Neutralitätspolitik – welche in konsequenter Nicht-Parteinahme der Schweiz in internationalen Konflikten zum Ausdruck kommt. Diese Neutralitätspolitik der Schweiz würde von der SVP – der grössten Partei der Schweiz, die allein aber nicht über eine Mehrheit verfüge – vorbehaltlos unterstützt. Die Sanktionswaffe, so wie sie derzeit gegen Iran zur Anwendung komme, wurde von den sechs Schweizern mit Wirtschaftskrieg in Zusammenhang gebracht. Auch Parteinahme in einem Wirtschaftskrieg komme für die Schweiz aus Sicht der SVP nicht infrage. Wenn solche Massnahmen Menschen, die keinen Einfluss auf kritisiertes Geschehen haben, zu Zehntausenden in die Arbeitslosigkeit, in den materiellen Ruin stürzen, dann sind sie so unmenschlich wie die Belagerung einer Stadt zwecks Aushungerung ihrer zivilen Bevölkerung. Ein neutraler Staat darf sich mit Methoden aktueller Kriegführung, bei der die Hungerwaffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird, nicht identifizieren. Das wäre Parteinahme in einem Wirtschaftskrieg.

Diesen Standpunkt vertritt die SVP in der Schweiz seit Jahren. Zu jeder Forderung an die Adresse der Schweiz, irgend welche Sanktionen mitzutragen, wurde dieser Standpunkt seitens der SVP in den letzten Jahren immer wieder bekräftigt. Die SVP vertrat und vertritt diese Position im Inland wie im Ausland – ausgerichtet allein auf die Glaubwürdigkeit schweizerischer Neutralitätspolitik. Diese darf nicht nur in der Erinnerung an bewaffnete Konflikte von gestern postuliert werden. Sie muss auch in modernen Konflikten von heute gelten.

Israel

Iranische Politiker vermeiden in Gesprächen sorgfältig jede Bezugnahme auf Israel. In der Diskussion über die gegen den Iran verhängten Sanktionen fiel indessen auch der Name des Landes Israel: Ob die Schweiz, wurden die sechs SVP-Politiker gefragt, als Antwort auf die gegen Iran verhängten Sanktionen wenigstens auch Sanktionen gegen Israel unterstützen würde.

Dies gab Gelegenheit, den Neutralitätsstandpunkt zu verdeutlichen: Neutral sei die Schweiz nie aus Sympathie zu irgendeinem Land. Die Neutralität sei vielmehr aussenpolitisches Prinzip der Schweiz. Ein Prinzip, das jedem Staat gegenüber gleich anzuwenden sei. So, wie die Sanktionierung des Iran und seiner Bevölkerung aus Sicht der SVP neutralitätswidrig wäre, dürften auch Sanktionen gegen Israel seitens der neutralen Schweiz nie in Erwägung gezogen werden.

Reaktionen

Interessant: Die iranischen Gesprächspartner bekundeten zumindest Verständnis für diese prinzipielle Haltung. Sie wurde von keinem Gesprächspartner irgendwie in Zweifel gezogen.

Dass einzelne iranische Redaktoren und ein Kamerateam bei diesen Gesprächen zugegen waren, ist, ja konnte den Schweizer Besuchern während keiner Minute entgehen. Der Niederschlag der Ausführungen der schweizerischen Politiker in den iranischen Medien war indessen – so wie er in den englischsprachigen Organen zu verfolgen war – durchaus sachlich, keineswegs verzerrend. Dass die Gesprächspunkte, welche die Iraner am stärksten interessierten, auch breitesten Niederschlag in ihren Medien fanden, war voraussehbar.

Nur in der Schweiz, wo es ausgerechnet dem Islamischen Zentralrat vorbehalten war, ein «bestimmtes Feuer der Berichterstattung» zu entfachen, bliesen alsbald Dutzende von Journalisten in dieses Feuer – bis ein eigentlicher medialer Amoklauf Tatsache wurde, getragen von ahnungslosen Besserwissern, die allein am vermeintlichen Knüller, keine Sekunde aber an sachgerechter Berichterstattung über gewichtige Probleme interessiert schienen.

Ulrich Schlüer

In einer nächsten Folge sollen die in den Gesprächen diskutierten Chancen zur Herbeiführung eines Ausgleichs zwischen Iran und den USA beurteilt und weitere politische Entwicklungen im Mittleren Osten kommentiert werden. Ausführungen zum gesellschaftlichen Alltag, auch zur Stellung der Frau im Iran von heute sollen ebenfalls zur Sprache kommen. Schliesslich sollen auch Möglichkeiten von Investitionen im Iran beleuchtet werden.


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