"Krieg!"

AKZENT

Nach den Terroranschlägen in Paris


Seit das Ausmass der ruchlosen Pariser Anschläge klar geworden ist, spricht Präsident François Hollande von «Krieg». Darüber berichteten die Medien umgehend – den starken Ausdruck entweder lobend oder kritisierend. Aber sie kommentierten allein das Schlagwort. Informationen, was für Konsequenzen der einseitigen Ausrufung von «Krieg» folgen, fehlen.


Immerhin wurden sie in Frankreich rasch sichtbar: Bei der den Anschlägen folgenden Aushebung einer Terroristen-Zelle sollen die dagegen eingesetzten Spezialkräfte der Gendarmerie fünftausend Schüsse abgegeben haben. Es kam zu Verhaftungen. Zwei Terroristen wurden getötet.

Vergleichbarer Schusswaffen-Einsatz von Ordnungskräften ist in Friedenszeiten nie möglich. Wo Krieg ist, gelten offensichtlich andere Gesetze. Die Antiterror-Einheit der Gendarmerie hatte klaren Befehl: Geschossen wird ohne Vorwarnung! Und es wird getötet. Dies aus der aus Kriegserfahrungen gewonnenen Erkenntnis: Wer als Kämpfer einer Einsatztruppe plötzlich einem zu allem entschlossenen Terroristen gegenübersteht, ist, wenn er nicht als erster schiesst, ein toter Mann.

Dieses Gesetz gilt für den Soldaten im Krieg. In Frankreich wird es offensichtlich angewendet.

Krieg heute

Krieg findet heute mitten unter der Zivilbevölkerung statt. Steht ein Abwehr-Einsatz der staatlichen Ordnungskräfte bevor, kann die andernfalls ins Schussfeld geratende Zivilbevölkerung evakuiert werden. Findet Krieg in Form eines massiven, völlig überraschenden Terroranschlags statt, können schwere Feuergefechte ohne Vorwarnungsmöglichkeit auch mitten in einer Stadt, mitten in Wohnquartieren Tatsache werden. Dann geraten Unbeteiligte in akute Gefahr, getroffen, ja getötet zu werden – nur weil sie sich rein zufällig im gefährlichsten Moment ungeschützt am Ort schwerster Kriegshandlungen befinden.

Das sind – und das darf der Öffentlichkeit nicht verschwiegen werden – unter Umständen unausweichliche Begleiterscheinungen moderner Kriege, wie sie schlagartig Tatsache werden können, wo sich brutale Terroristen als harmlose Zivilisten tarnen. Aus dieser Erkenntnis muss indessen ab sofort jedem Sicherheitsverantwortlichen jeder Stufe klar sein: Einsätze, wie sie im modernen, allenfalls gegen skrupellose Terroristen mitten unter der Zivilbevölkerung zu führenden Krieg Tatsache werden können, dürfen unter gar keinen Umständen improvisiert erfolgen – mit Kräften, denen solche Kriegführung in ihrem ersten Ernstfall-Einsatz noch völlig fremd ist.

Training ab sofort

Anders gesagt: Ab sofort, ab dieser Stunde muss das Training für Ordnungskräfte im Blick auf den Krieg von heute beginnen. Die am schwierigsten zu bewältigende Bedrohung heisst: Überraschung. Plötzlich, von einem Sekundenbruchteil auf den anderen muss ein Polizist, ein Soldat, ein Grenzwächter realisieren, dass sein Gegenüber mit grosser Wahrscheinlichkeit ein gefährlicher Terrorist ist. Innert Sekundenbruchteilen muss seine Entscheidung fallen: Schiesse ich oder schiesse ich nicht. Trifft er die falsche Entscheidung, kann es für ihn tödlich enden.

Ähnliches kann – ebenso völlig überraschend – Staaten oder Städte treffen. Buchstäblich «aus heiterem Himmel» kann ein massiver Schlag einen belebten Platz, ein Stadion, ein Theater, einen Bahnhof treffen.

Das Ereignis, das dann tragische Tatsache wird, kann zwar nicht eingeübt werden. Aber die Einsatzkräfte und die, welche die Einsatzkräfte zu befehligen haben, müssen die Reaktion auf derart völlig überraschend eintretende, brandgefährliche Grossereignisse immer wieder anhand realistischer Szenarien üben, üben und nochmals üben.

Auch der Bundesrat

Die Strategen, die mit dem Gesicht des modernen, heimtückischen, ohne Vorankündigung eintretenden Krieges vertraut sind, haben die realistischen, nachvollziehbaren Szenarien für solche Übungen auszuarbeiten. In welchen die Einsatzkräfte und die sie einsetzenden Verantwortlichen auf ihre Reaktion auf überfallartig eintretende Überraschungsschläge immer wieder trainiert werden. Aber nicht nur die Armee, nicht nur die Polizeikorps, nicht nur das Grenzwachtkorps ist solchen Übungen auszusetzen. Auch die Politik – der Bundesrat, kantonale Regierungsräte – sind in solch sorgfältigst vorbereitete, höchst anspruchsvolle Übungen als verantwortliche Entscheidungsträger miteinzubeziehen.

Wer als Einsatzleiter plötzlich ein Grossereignis zu bewältigen hat, muss die Einsatzkräfte, die er zu befehligen hat, aus gemeinsamen, bestandenen Übungen genau kennen. Damit er weiss, was er ihnen zumuten kann. Und diejenigen, welche in einem solchen Einsatz, die höchst gefährliche Front zu halten haben, müssen aus bestandenen Übungen die Kommandanten, die sie in den Einsatz schicken, und ihre Kompetenz angesichts ausserordentlicher Lagen kennengelernt haben. Gesichertes Vertrauen in gegenseitiges Können wird für den Einsatz-Erfolg ausschlaggebend sein.

Entsprechend sind solche Einsätze zu üben – immer wieder. Nicht im Sandkasten, in der Realität, mit dem im Ernstfall verantwortlichen Führungspersonal. Und mit der Mannschaft, die Ernstfall-Einsätze gegebenenfalls zu bestehen hat. Auch unsere Milizarmee kann auf solche Einsätze erfolgversprechend vorbereitet und trainiert werden.

Danach die Auswertung


Aus der sorgfältigen Auswertung solcher Übungen wird dann auch rasch klar, was Armee, Polizei, Grenzwachtkorps an Ausrüstung, Bewaffnung, Einsatzdoktrin und insbesondere auch an Mannschaft benötigen, damit sie im Ernstfall bestehen können. Nicht aus oberflächlichem Kompromiss und endlosem Feilschen in Kommissionszimmern, vielmehr aus der effektiv festgestellten Bedrohung und der daraus erforderlichen Antwort kann gültig abgeleitet werden, wie gross unsere Armee sein muss, was ihr Nachrichtendienst leisten muss, wie und womit sie erfolgversprechend in den Kampf geschickt werden kann.

Untaugliche entlassen!

Dumme Sprüche à la «Wir sind nur noch von Freunden umzingelt» sind sofort und für immer zu liquidieren. Wer an ihnen festhält, beweist lediglich seine sicherheitspolitische Untauglichkeit. Ist er Amtsträger, dann ist er als Sicherheitsrisiko umgehend zu ersetzen.

Ebenso untauglich ist, wer heute mit dem Wort «Krieg» bloss provoziert. Bloss spielt. Die Schweiz ist keineswegs zu «militarisieren». Aber sie hat ihre Ordnungskräfte und deren Kommandanten so auszurüsten und so zu trainieren, dass sie im Krieg von heute bestehen können.

Als restlos untauglich ist die «Doktrin Sommaruga» zu liquidieren. Ihr Vorgehen, bewusst auf sorgfältige Grenzkontrollen zu verzichten und auf der Grundlage gewollten Nichtwissens einfach zu behaupten, wir seien nicht stärker bedroht als andere auf dieser Welt auch – solch oberflächlich begründete Dienstverweigerung ist auszumerzen. Denn sie wirkt eher als Einladung denn als Abschreckung auf gewissenslose Terroristen.

von Ulrich Schlüer


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