Wenn der Rechtsstaat entgleist

Skandalöses Bundesgerichts-Urteil

Er hat 24 Frauen brutal vergewaltigt. In acht Fällen blieb es zwar – wie aus Gerichtsakten hervorgeht – beim Versuch.

Von Ulrich Schlüer, Flaach ZH
(publiziert in der Zürcher Woche)

Aber in allen 24 Fällen ging der Täter offenbar richtig brutal, enthemmt und rücksichtslos vor.

Vorgeschichte

Er wurde mit einer Gefängnisstrafe belegt. Anschliessend sei er der «normalen Verwahrung» unterstellt. Im Klartext: Er wurde zwar ohne genaues zeitliches Limit verwahrt, indessen in regemässigen Abständen immer wieder neu beurteilt. Günstige Beurteilung hat Freilassung zur Folge.

Ende 2010 war es soweit. Eine Neu-Beurteilung hielt fest, dass der Mehrfach-Täter – wohl aufgrund erhaltener Therapie – «harmlos» geworden sei. Dies bewirkte «Vollzugslockerung», also Entlassung in die Freiheit.

Des Täters amtlich attestierte Harmlosigkeit erwies sich allerdings als von kurzer Dauer: Er beging schon bald nach der Freilassung zwei weitere Vergewaltigungen, wobei er – das war neu – seine Opfer einschläferte, bevor er sich über sie hermachte.

Erneute Verhaftung

Es folgte die erneute Verhaftung, die Strafuntersuchung in Basel, das Gerichtsverfahren, die Verurteilung: Er erhielt eine weitere Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren und anschliessend Verwahrung lebenslänglich: Genau nach der von Volk und Ständen vor über zehn Jahren angenommenen Verwahrungsinitiative, die – zum Schutz der Öffentlichkeit – lebenslange Verwahrung für nicht-therapierbare schwere Gewalt- und Sexualstraftäter verlangte.

Der Täter rekurrierte. Das Bundesgericht kam schliesslich zum Zug. Und dieses fällte vor wenigen Tagen ein Urteil, das sprachlos macht: Die lebenslange Verwahrung gegen den 26fachen Vergewaltiger wurde aufgehoben. Dies, weil die letzten beiden Opfer vor der Vergewaltigung eingeschläfert worden seien; damit seien diese beiden Untaten «weniger schlimm». Sie rechtfertigten keine lebenslange Verwahrung…

Nun dürfen also 26 Vergewaltigungs-Opfer in der ständigen Furcht leben, ihrem Peiniger, wenn er irgendwann wieder frei kommt, plötzlich auf der Strasse wieder zu begegnen. Denn gemäss «normaler Verwahrung» kann er – wie es vor seiner Rückfälligkeit Tatsache wurde – nach Neu-Beurteilung wieder freigelassen werden.

Unhaltbare Begründung

Der Entscheid des Bundesgerichts ist wohl – mit Ausnahme spitzfindiger Paragraphen-Akrobaten – für niemanden nachvollziehbar. Dass für die erneute Gefängnisstrafe nur die beiden letzten Straftaten ins Gewicht fielen – für die früheren Vergewaltigungen hat er die Gefängnisstrafe ja abgesessen – ist noch plausibel. Doch ein Verwahrungsentscheid muss doch immer die ganze kriminelle, von schwerer Gewalt begleitete «Karriere» des Vielfach-Vergewaltigers, also alle 26 vom Täter verübten Vergewaltigungen ins Auge fassen. Aufgrund solcher Gesamtbeurteilung wird die Unheilbarkeit dieses ja auch rückfällig gewordenen Täters offenkundig. Und dies muss doch entscheidend sein für die Verwahrung – die lebenslange Verwahrung!

Wer jetzt Ausreden präsentiert, aufgrund geltender Paragraphen sei kein anderes Urteil in Lausanne möglich gewesen, wartet mit einer haltlosen Rechtfertigung auf. Im Urteil von Lausanne manifestiert sich, dass bei Richtern Täter-Verständnis selbst gegenüber schwersten Gewalttätern offensichtlich viel wichtiger ist als der Schutz der Öffentlichkeit vor notorisch rückfälligen Gewaltstraftätern.

Und das muss jeden Staatsbürger erschrecken.

Ulrich Schlüer


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