Plus-Schweizer und Minus-Schweizer

24 Jahre später

Vor 24 Jahren tobte in der Schweiz eine Abstimmungsschlacht. Zu entscheiden war über die Anbindung unseres Landes an die Europäische Union.

Von Ulrich Schlüer, Flaach ZH
(publiziert in der Zürcher Woche)

Formell ging es um den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Kurz vor der heiss umstrittenen Abstimmung erschienen doppelseitige, brandrote Inserate. Auf der einen Seite wurden die Plus-Schweizer vorgestellt, gekennzeichnet mit einem riesigen Plus-Zeichen auf rotem Grund. Plus-Schweizer waren die Befürworter der EU-Anbindung. Wer ihnen folge, werde der Schweiz anhaltende Wirtschaftsblüte sichern – mit Wachstum, Wohlstand und Wohlleben im Schosse der von Wirtschaftsrekord zu Wirtschaftsrekord eilenden EU. Das Paradies auf Erden warte auf alle, die dem EWR beitreten würden, dem «Trainingslager» für die EU – wie es damals hiess.

Ja-Sager und Nein-Sager

Wer allerdings Nein sage, der gehöre – mit Minus-Zeichen gebrandmarkt – zu den «Abschottern», welche der Schweiz schwerste Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Not und Elend bescheren würden. Die Schweizer müssten, würden sie dieser EU-Anbindung die kalte Schulter zeigen, schon in wenigen Jahren buchstäblich auf den Knien nach Brüssel rutschen, um dort um Aufnahme in die EU zu flehen.

Es waren die grossen, starken Wirtschaftsverbände – jedenfalls deren Spitzenfunktionäre –, welche sich damals zu solcher «Prognose» verstiegen. Trotzdem obsiegten in der EWR-Abstimmung die «Minus-Schweizer». Mussten sie fünf Jahre später also auf den Knien um Aufnahme in die EU betteln? Nicht die Spur!

Die sich stur dem bürokratischen Zentralismus verschreibende EU verfiel bald einmal in Krise und Zwist: Überschuldung, Verarmung im Süden, Euro-Krise, Zins- und Währungsverfall, Massenarbeitslosigkeit, Asylchaos, Zerstrittenheit, Austrittsdrohung: In solche krisenhafte Unrast, in solche Auseinandersetzungen nicht mitverwickelt zu sein, das hat die Schweiz jenen zu verdanken, die 1992 von den Funktionären als «Minus-Schweizer» diffamiert wurden.

Neue Anbindungs-Gelüste

Schon bald kündigt sich wiederum eine wichtige Abstimmung an. Wiederum geht es um die Anbindung unseres Landes an die EU. Der Bundesrat plant solche Anbindung mit einem Rahmenvertrag. Dieser Rahmenvertrag würde von uns verlangen, EU-Gesetze und EU-Beschlüsse fortan automatisch – ohne eigene Beschlussfassung – zu übernehmen. Die Schweiz müsste sich dem EU-Gerichtshof – also fremden Richtern – unterstellen. Diese könnten ihr gar Sanktionen, also Strafmassnahmen aufbrummen.

Und die Funktionäre der gleichen Grossverbände wie vor 24 Jahren diffamieren jene, welche die Schweiz auch 2016 nicht an die EU anbinden wollen, bereits wieder als «Abschotter» – mit den haargenau gleichen Argumenten, die sich vor 24 Jahren als so abgrundtief falsch erwiesen haben.

Was um alles in der Welt kann die Schweiz davon gewinnen, an einen tief zerstrittenen, wirtschaftlich stagnierenden, in der Überschuldung erstickenden Koloss wie die bürokratisierte EU von heute «institutionell angebunden» zu werden?


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