25 Jahre später

Nach dem Tiroler Festumzug am 20. September 2009 in Innsbruck
Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 5. Oktober 2009

Alle fünfundzwanzig Jahre gedenkt Tirol in Innsbruck mit einem an Mächtigkeit und Pracht nirgendwo übertroffenen Festumzug mit Zehntausenden Tiroler Schützen der Schlacht am Berg Isel.

1809: Die Tiroler Schützen unter ihrem charismatischen Führer Andreas Hofer schlugen zunächst die mit Napoleons Frankreich verbündeten Bayern. Danach auch ein napoleonisches Herr. Von den besiegten Österreichern fallengelassen, wurde die feindliche Übermacht zu stark. Andreas Hofer, verraten, wurde 1810 in Mantua hingerichtet – ein erschüttertes, geknechtetes Tirol zurücklassend.

1984 – 2009

1984, vor fünfundzwanzig Jahren, war Österreich noch nicht Mitglied der EU. Zu Italien bestanden, der Südtirol-Frage wegen, gewisse Spannungen. Sie kamen damals zum Ausdruck in Gestalt der im Umzug mitgetragenen Dornenkrone, ruhend auf den Schultern von Tirolern, die allesamt in Italien als Folge von Anschlägen auf Strommasten verurteilt waren.

1984 hob der Festtag an mit der im Innsbrucker Dom feierlich zelebrierten Krönungsmesse von Wolfgang Amadeus Mozart. 2009 wurde Josef Haydns «Messe mit dem Paukenschlag» gesungen und zelebriert: Ein unvergesslich eindrücklicher, bewegender Auftakt, der im gemeinsamen Gesang des Andreas Hofer-Liedes, der Tiroler Hymne seinen Ausklang fand.

1984, vor 25 Jahren, marschierten die Schützen aus Südtirol waffenlos auf. Zeichen ihrer ungeliebten Zugehörigkeit zu Italien, das ihnen die Selbstbestimmung verweigerte. Und damit Freiheit nur lückenhaft zugestand: «Schützen ohne Gewehr – Freiheit ohne Gewähr».

2009 tragen alle Tiroler Schützen ihre Gewehre. Kompagnien aus allen Teilen Tirols schiessen Ehrensalven ab. Nicht weniger als dreissigtausend Schützen marschieren in einem fast fünf Stunden dauernden Umzug an den pausenlos applaudierenden Zuschauern vorbei. Farbenprächtig in ihren Trachten, stolz in ihrem Auftritt, eindrücklich in ihrer Ausstrahlung.

Imposanter Vorbeimarsch

Imposant vor allem die Südtiroler Bataillone: In ihren traditionellen, farbenprächtigen Trachten aufmarschierend, treten die Schützen in ausgerichteter Formation und militärischem Schritt an. Da wird Selbstbewusstsein demonstriert. Selbstbewusstsein, das auch auf Transparenten zum Ausdruck kommt: «Los von Rom» liest man immer wieder von grossen Spruchbändern, wenn Südtirols Schützen vorbeimarschieren.

Und auch eine Kompagnie Ladiner aus Cortina d’Ampezzo hat sich in den Festumzug eingereiht. Auch sie trägt ein Transparent, den Willen bekundend, sich Tirol anschliessen zu wollen.

Die Osttiroler, die nach Innsbruck eine lange Fahrt zurückzulegen hatten, erlitten, wie man am Rand des Umzugs erfuhr, allerdings Schikanen: Italien habe den Schützenkompagnien ihrer Gewehre wegen die Transitbewilligung (über italienisches Gebiet durch Südtirol) nach Innsbruck verweigert. Als politischer Nadelstich wurde ihnen der Umweg über Salzburg zugemutet. Hauptsache aber: Die Osttiroler Schützen marschierten mit. Allen kleinlichen Sticheleien Roms zum Trotz.

Schützen da – Schützen dort

Dreissigtausend selbstbewusste Schützen, mehrere Ehrensalven: Was für ein Kontrast zu Vorgängen, die sich nahezu gleichzeitig im Schweizer Parlament abspielen. Weil in einem Schengen-Folgeabkommen Anpassungen an Waffenbestimmungen vorgenommen wurden, beeilt sich die Schweiz untertänigst und gefügig, ihr Waffenrecht ohne Verzug mit zusätzlichen Schikanen gegen die Schützen anzureichern. Als würde die immer engere Korsettierung der verantwortungsbewussten Schützen auch nur einen einzigen Kriminellen, für den die Waffe Tatwaffe ist, beeindrucken, von Untaten abhalten. Setzt Schengen eigentlich auf ein Waffenbesitz-Monopol für Kriminelle? Und dazu zelebriert Bern eilfertigste Unterordnung?

Derweil dokumentieren die Tiroler Schützen in Innsbruck eine ganz andere Haltung: Der Aufmarsch der dreissigtausend Schützen kündet von Stolz, Selbstbewusstsein und Freiheitswillen.

Freiheit?

Allerdings: Wirklich frei fühlen sich die Tiroler nicht. Zumindest die Südtiroler bekunden – wenn auch in aller Würde – Protest. Zwar wurde nach dem EU-Beitritt Österreichs eine «Europa-Region» gebildet – bestehend aus dem österreichischen Tirol, dem italienischen Südtirol und dem italienischen Trentino. Aber die Südtiroler möchten zurück ins echte, ins österreichische Tirol – wie sie mit ihren Spruchbändern dutzendfach bekunden. Ob das in jenem Europa, das Brüssel so penetrant als «das sich vereinigende Europa» zelebriert, ein unerfüllbarer Wunsch bleibt? Brüssel übergeht das Südtiroler Freiheitsbegehren jedenfalls mit demonstrativem Achselzucken.

Und Brüssel ignoriert noch etwas anderes, einen eigentlichen Schandfleck für Europa: Noch immer steht in Bozen das von Mussolini in der Faschistenzeit errichtete «Siegesdenkmal» – erinnernd an einen erheblich mit Betrug herbeigeführten «Sieg» nach dem Waffenstillstand 1918. Mussolinis nur Abscheu weckende Kinnladen richten sich dort weiterhin herrschsüchtig gegen Norden – aussagend, er, der Duce, werde «von hier aus» «den andern» Kultur beibringen – nicht einmal einen Namen gesteht er «den Untertanen» in Tirol zu – als wären sie Untermenschen. Solch widerwärtig-herrschsüchtiges in Stein gehauenes Gehabe, errichtet von einem Kriegsverbrecher schlimmster Sorte, bleibt den Tirolern weiterhin vors Gesicht gestellt: Eine Europa-Schande ohnegleichen, die abendländische Werte mit Füssen tritt. Mussolini lebt – in einer von Brüssel abgesegneten «Europa-Region».

Ob das Schandmal die Stadt Bozen auch im Jahr 2034, wenn Tirols Schützen ihren nächsten Innsbrucker Festumzug im Gedenken an Andreas Hofers Freiheitskampf gestalten, noch immer verschandeln wird?

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch