Merz müsste gehen – sofort!


Glaubwürdigkeits-Defizit wird immer grösser

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 5. Februar 2010

Was immer das Finanzdepartement verlauten lässt: Die Zahl derer, die seinen Mitteilungen auf Anhieb noch Glauben schenken, wird je länger desto kleiner. Während Merz in Davos vollmundig die «Ausräumung aller Differenzen» mit Frankreich feiert, meldet das gleiche Frankreich «volle Übereinstimmung» mit andern EU-Staaten in der Zielsetzung, innert eines Jahres das Bankkundengeheimnis aus Europa zum Verschwinden gebracht, die lückenlose Meldepflicht bezüglich grenzüberschreitend getätigter Finanzanlagen dafür vollumfänglich durchgesetzt zu haben. Wem soll man da was glauben?

Wo sind die Daten?

Von noch grösserem Gewicht ist, dass das Bundesverwaltungsgericht den vom Justizdepartement unter Eveline Widmer-Schlumpf mit Assistenz aus dem Finanzdepartement von Hans-Rudolf Merz ausgearbeiteten Datenübermittlungs-Vertrag mit den USA als rechtswidrig erklärt hat. Zur Verblüffung der Öffentlichkeit erklärte Merz wenig später in der Sonntagspresse vom 24. Januar, es seien noch gar keine Daten in die USA ausgeliefert worden. Schaden sei also noch keiner eingetreten.

Im Sommer 2009 hat Bundesrat Merz den Inhalt des mit den USA abgeschlossenen Vertrags den parlamentarischen Kommissionen zur Kenntnis gebracht. Justiz- und Finanzdepartement erklärten dabei, dass von den an die USA auszuliefernden Dossiers mindestens fünfhundert bis Ende November 2009 (innerhalb von 90 Tagen) übermittelt sein müssten. Die gleiche Aussage machte Merz auch gegenüber den Medien. Sie ist nachzulesen z.B. in der «NZZ» vom 26. August 2009.

Im Rahmen einer Kommissionsberatung vor wenigen Tagen wurde Bundesrätin Calmy-Rey zu dieser vertraglichen Termineinhaltungs-Zusage des Finanzdepartements befragt. Konkret: Wie die bundesrätliche Aussage, es seien noch keine Daten ausgeliefert worden, mit der Vertragspflicht zu verbinden sei, wonach bis Ende November 2009 fünfhundert Personendossiers nach Washington hätten übermittelt werden müssen. Die Antwort Calmy-Reys verblüffte: Solche Abmachung sei ihr nicht bekannt. Gleichentags erfuhr man von der Eidgenössischen Steuerverwaltung, dass eben doch bereits Daten in die USA übermittelt worden seien – es seien aber nur wenige, eine Zahlenangabe unterblieb.

Was stimmt jetzt?

Entspricht eine angeblich vertraglich zugesicherte Etappierung der Datenauslieferung an die USA also den Tatsachen? Oder hat es diese Zusicherung, obwohl Merz nachweisbar davon berichtete, gar nie gegeben? Diese zweifellos ein sehr wichtiges Vertragsdetail ansprechende Frage kann im Moment nicht beantwortet werden. Es will in Bern offensichtlich niemand darauf eingehen.

Beunruhigend in diesem Zusammenhang ist: Dass die gemäss gerichtlicher Feststellung illegal vereinbarte und teilweise allenfalls schon durchgeführte Datenauslieferung elementare Persönlichkeitsrechte von Anlegern geschädigt hat, ist zu Bern überhaupt kein Thema. Ein Grundrecht von Bürgern, nämlich die zu respektierende Privatsphäre bezüglich Geldanlagen freier Bürger ist in Bern offenbar keinen Pfifferling mehr wert.

Alles Bemühen Berns – nahezu lückenlos unterstützt von der veröffentlichten Meinung – zielt einzig darauf ab, dem Willen der USA nach Auslieferung aller geforderten Daten zu entsprechen. Irgendwie! Mittels irgendwelcher Drehs! Am Recht der Bürger auf Privatsphäre vorbei, koste es was es wolle. Der Finanzplatz Schweiz, der in der Vergangenheit nicht unwesentlich von der Respektierung der Privatsphäre gelebt hat, dürfte ob des schnöden Verrats dieser Privatsphäre heute noch nicht einschätzbaren Schaden erleiden. Die Konkurrenten der Schweiz reiben sich darob die Hände, derweil die Schweiz ihre Glaubwürdigkeit vorsätzlich zertrümmert.

Parlament als «Rechts-Zurechtbieger»?

Der Bundesrat ergeht sich in widersprüchlichen Erklärungen und liebäugelt bereits öffentlich damit, das Parlament zu überreden, die von der Landesregierung verschuldete Rechtswidrigkeit nachträglich in geltendes Recht zu verwandeln – und dieses neue «Recht», um den Bundesrat von Rechtswidrigkeit reinzuwaschen, gleich auch noch rückwirkend in Kraft zu setzen. Putschisten in Bananenrepubliken haben solche Willkür bisher als «Rechtsetzung» zu verkaufen versucht. Jetzt übt sich auch der Bundesrat, vor den USA im Staube liegend, in der Kunst des Rechts-Zurechtbiegens, beim Parlament dafür um Unterstützung hechelnd.

Man stelle sich einmal vor, was von Bern aus inszeniert worden wäre, hätte man für das von Volk und Ständen am 29. November letzten Jahres angenommene Minarettverbot rückwirkende Inkraftsetzung durchsetzen wollen, was den Abriss bestehender Minarette bewirkt hätte. Bern hätte Heerscharen fremder Richter mobilisiert, um den Souverän, hätte er je solches beabsichtigt, massivst in den Senkel zu stellen. Bezüglich Liquidierung der Privatsphäre der Bürger in Vermögensangelegenheiten aber wandelt das gleiche Bern auf den Spuren von Bananenrepubliken.

Das Mass ist voll

Ein Finanzminister, der den eigenen Rechtsstaat derartiger Willkür aussetzt, erhält zwar kurzfristig von solchen, die von seiner Rechtsbeugung profitieren, gewissen Applaus. Als Verhandlungspartner aber wird er unglaubwürdig und unberechenbar. Dies in politischen Streitfällen, deren Ausgang für die Schweiz, ihre Souveränität, ihre Rechtsstaatlichkeit und Vertrauenswürdigkeit schicksalhaft sein dürfte.

Merz müsste, wenn nach den Interessen der Schweiz gefragt würde, seinen Sitz in der Landesregierung räumen. Das wissen mittlerweile fast alle in unserem Land.

Aber diejenigen, die bezüglich Bundesratswahl das Monopol innehaben, können von jenen «Spielchen» nicht lassen, welche die Zusammensetzung der Landesregierung begleiten, solange die Classe politique und nicht das Volk über diese Zusammensetzung bestimmt. Das gegenwärtig laufende «Spielchen» ist ein Spielchen der FDP. Sie befürchtet den Sitzverlust für die FDP, wenn der durch und durch angeschlagene Merz jetzt zurücktreten würde.

Das Interesse des Landes gilt dabei nichts. Die Classe politique hat in neuerer Zeit nie, wenn sie sich genüsslich in ihren Machtgelüsten erging, das Interesse des Landes in den Mittelpunkt gestellt.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch