«Reisediplomatie»


Das aussenpolitische Versagen des Bundesrates

Frontseiten-Kommentar für die "Spalte rechts" in der "Schweizerzeit" 19. Februar 2010

Der italienische Aussenminister stürmt vor die Medien. Und überhäuft die Schweiz mit grobschlächtigen Vorwürfen. Weil diese dem irren Geiselnehmer Gaddafi und seiner sauberen Familie jegliches Einreisevisum verweigert – übliche Sanktion gegen Menschenrechts-Verbrecher. Seit sich die Schweiz dem Schengen-Vertragswerk der EU unterworfen hat, gilt solche Visumsverweigerung automatisch – als Solidaritäts-Geste unter Vertragspartnern – für die ganze EU. Das weckt Italiens Zorn. Denn dem an den Euro geketteten, dem Staatsbankrott entgegentaumelnden Italien ist nachgerade jedes Geschäft selbst mit Halunken willkommen, die sich noch geschäftsbereit zeigen. Deshalb die hemmungslosen Schimpf-Tiraden gegen den Nachbarn Schweiz – deren Aussenministerin dem naiven Glauben huldigt, dass auf Papier fürs gläubige Publikum deklarierte «automatische Solidarität» von den EU-Staaten tatsächlich zum Nennwert genommen werde…

Während die Jauche aus Rom das Aussenministerium zu Bern flutet, sitzt Kollege Merz mit seinen deutschsprachigen Amtskollegen in Luxemburg. Und verhandelt mit ihnen über etwas, das er – wie wenig früher das Bankkundengeheimnis – als «unverhandelbar» deklariert hat. Einmal mehr glaubt der naivste aller Unterhändler offenbar, seine Widersacher würden ihm verständnisvoll zunicken, wenn er sie mit Neuigkeiten über «grundsätzlich Unverhandelbares» eindecke.

Doch die «lieben Kollegen» wollen ans Geld, das in der Schweiz liegt. Für das die Schweiz ganz vertragskonform den Ertrag der Zinsbesteuerung jenen EU-Ländern überweist, denen diese Steuereinnahmen vertraglich zustehen. Den tief im Schuldensumpf steckenden EU-Ländern genügt das freilich nicht. Sie wollen Merz weichklopfen zum «vollumfänglichen Informationsaustausch», weil sie rückhaltlosen Zugriff auf alle bekommen wollen, die noch Vermögen besitzen. Und tatsächlich: Bundesrat Merz denkt selbst vor den Medien bereits laut darüber nach, was möglicherweise als Gegengeschäft zu holen sei, wenn man der EU-Gier «etwas nachgeben» würde. Als hätte der, der im voraus über Kompromiss und Gegengeschäft alles ausplaudert, je anderes als ein blankes Nichts nach Hause getragen.

Tolpatschiger kann man Unverhandelbares nicht verspielen. Doch Bern verteidigt seine völlig überflüssige «Reisediplomatie» weiterhin als angeblich «unverzichtbares Networking» in der globalisierten Welt von heute. Vor lauter kopflosem Durch-die-Welt-Hasten vergisst man allerdings, je eine Denkpause zwecks Bilanzierung des sich an keiner Front einstellenden Erfolgs der sinnlosen Reiserei einzuschalten.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch