Renten für Mörder

Nachrichten aus dem Reich der Paragraphen-Fetischisten

Der aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 8. Juli 2011
von Nationalrat Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»

Die Diskussion um die Umsetzung der von Volk und Ständen im vergangenen November befürworteten Ausschaffungs-Initiative ist voll entbrannt. Sie fördert juristisch begründete Tatsachen zu Tage, die sprachloses Staunen auslösen.

Unglaublich, was die Justizbürokratie an juristisch begründeten Mechanismen auch in der Schweiz in den letzten Jahren durchzusetzen vermochte.

Problem «Wiedereinreiseverbot»
Die Ausschaffungs-Initiative sieht bekanntlich vor, dass überführte ausländische Straftäter nach Verbüssung ihrer Strafe unser Land ohne Verzug zu verlassen haben, wobei die Ausgewiesenen gleichzeitig mit einem Wiedereinreiseverbot belegt werden.

Dagegen haben Juristen interveniert: Selbst in jenen Fällen, wo eine Ausweisung verfügt werde, sei ein generelles Wiedereinreiseverbot «unverhältnismässig», argumentieren sie – und lösen damit bei Nicht-Juristen verständnisloses Kopfschütteln aus: Was in aller Welt spricht denn gegen ein Wiedereinreiseverbot an die Adresse überführter ausländischer Mörder, Vergewaltiger, Räuber, Gewalttäter?

Die Antwort der Paragraphen-Funktionäre vergrössert die Verwirrung: Es sei die «Rentenberechtigung» dieser Straftäter, welche ihre gelegentliche Wiedereinreise in die Schweiz von Zeit zu Zeit erforderlich mache. Würden die Renten dieser Straftäter lediglich an die Regierungen oder Verwaltungen ihrer gegenwärtigen Aufenthaltsstaaten überwiesen, sei die Gefahr gross, dass die Renten von den Staatsverwaltungen zurückgehalten, den Berechtigten also nicht ausgehändigt würden.

Wofür denn Renten?
Wofür – so dürften mit solcher «Rentenproblematik» konfrontierte Schweizer spontan fragen – erhalten denn überführte ausländische Mörder, Vergewaltiger, Räuber, Gewalttäter von der Schweiz noch Renten? Eine Frage, die Juristen zu herablassender Belehrung an die Adresse «rechtsunkundiger Laien» veranlasst: Das Sozialversicherungsrecht, dozieren sie, sei grundsätzlich anderes und damit selbständig anzuwendendes Recht – es habe mit Strafrecht, das gegen die gleiche Person zu vollziehen sei, nichts zu tun. Sozialversicherungsrecht habe eigenständige Gültigkeit – völlig unabhängig vom Tun und Lassen eines Rentenberechtigten, wo immer dieser auch Wohnsitz habe.

Mit anderen Worten: Jene Ausländer, die hier in der Schweiz zu Mördern, zu Vergewaltigern, zu Räubern, zu Gewalttätern geworden sind und die hier für solche Verbrechen verurteilt und bestraft worden und nach Verbüssung ihrer Strafe des Landes verwiesen worden sind – selbst solch ausländische Kriminelle behalten ihre Rentenberechtigung gegenüber der Schweiz. Und alle, deren Berechtigung zum Bezug einer Rente aus der Schweiz bürokratisch anerkannt ist, erhalten sowohl ihre IV-Renten als auch ihre AHV-Renten. Geltendes Sozialversicherungsrecht erzwinge dies glasklar.

Separat katalogisiertes Recht
Dass eine schwere, die Ausweisung des ausländischen Täters nach sich ziehende Straftat einen Rentenanspruch gegenüber der Schweiz annullieren könnte – solches mag zwar jeder mit hinreichender Vernunft begabte Laie erwarten. Die Paragraphen-Fetischisten unter den staatlichen Funktionären haben für solch laienhafte Vernunft aber höchstens ein mitleidiges Lächeln übrig. Da gelte, dozieren sie, die reine juristische Logik. Und diese juristische Logik diktiere, dass Rentenberechtigung vollkommen unabhängig sei von Lebenswandel, von korrektem Verhalten, von Gesetzestreue oder andern Eigenschaften der Empfänger. Selbst der übelste ausländische Straftäter habe, wenn seine IV-Berechtigung oder seine AHV-Berechtigung aufgrund eines einmal amtlich anerkannten Tatbestandes ausgewiesen sei, Anspruch auf seine Rente – gegebenenfalls lebenslänglich. Und die Schweiz – beziehungsweise der schweizerische Steuerzahler – habe für diese Rente aufzukommen.

Um zu verhindern, dass die Rente dem ausgewiesenen Verbrecher in seinem jetzigen Aufenthaltsland vorenthalten werde, müsse sich der Rentenberechtigte von Zeit zu Zeit in der Schweiz persönlich zeigen, weswegen ein Wiedereinreiseverbot selbst für ausländische Schwerstverbrecher «unverhältnismässig» sei…
In Abwandlung des bekannten Asterix-Ausrufes kann man da nur noch sagen: «Die spinnen, die Schweizer…!»

Bleiberecht für illegale Kriminelle
Der Gipfel der Groteske ist mit derart definierter Rentenberechtigung allerdings noch nicht erreicht. Die von Bundesrätin Simonetta Sommaruga eingesetzte Arbeitsgruppe zur Prüfung der Umsetzbarkeit der Ausschaffungs-Initiative hat bekanntlich das Eidgenössische Statistische Amt damit beauftragt, genau zu eruieren, wie viele in der Schweiz verurteilte ausländische Straftäter im Jahre 2009 tatsächlich hätten ausgeschafft werden müssen, wenn damals die Ausschaffung ausländischer Verbrecher gemäss SVP-Initiative bereits in Kraft gewesen wäre. Das Amt lieferte eine Zahl, welche die ganze Schweiz erstaunen liess: 24‘000 ausländische Straftäter hätten allein 2009 ausgewiesen werden müssen. Die korrekte Umsetzung der von Volk und Ständen beschlossenen Ausschaffungs-Initiative wird unser Land also Jahr für Jahr von mehr als zwanzigtausend ausländischen Kriminellen befreien! Was für eine Errungenschaft für die Sicherheit der Schweiz und ihre Bewohner!

Das Statistische Amt lieferte zusätzliche Details; auch diese lassen die Schweiz staunen: Von den 24‘000 ausländischen Straftätern, deren Ausweisung die Ausschaffungs-Initiative der SVP 2009 bewirkt hätte, waren 16‘000 Ausländer legal in der Schweiz anwesend, 8‘000 aber illegal.

Auch diese grosse Zahl illegal anwesender ausländischer Straftäter rief die Paragraphen-Fetischisten auf den Plan: Auch bezüglich der illegal anwesenden Verurteilten mit ausländischen Staatsbürgerschaften müsse die Schweiz gemäss völkerrechtlicher Verpflichtung prüfen, ob ihre Ausweisung nach Verbüssung ihrer Strafe «verhältnismässig» sei. Illegale Anwesenheit von Straftätern dürfe keineswegs deren automatische Ausweisung bewirken. Die Prüfung der Verhältnismässigkeit der angeordneten Massnahme gehe dem Vollzug jeder Massnahme vor; so dozieren die Rechtsgelehrten.

Mit anderen Worten: Ein illegal Anwesender kann, indem er hier kriminelle Handlungen begeht, gegebenenfalls seine Anwesenheit hier in der Schweiz – allenfalls sogar auf Lebenszeit – erwirken…
Hat – fragt man sich – so angewandtes Recht auch nur entfernt noch mit Gerechtigkeit, allenfalls gar mit von Vernunft geprägtem Menschenverstand zu tun? Oder wird auch hier in der Schweiz Paragraphen-Fetischismus zum bürokratischen Selbstläufer fern aller Vernunft – wo Bürokraten alleine noch dafür sorgen, dass zwecks Paragraphen-Umsetzung in einem im Paragraphen-Fetischismus erstarrenden Land täglich neue Heerscharen von Funktionären eingestellt werden müssen…?

Ulrich Schlüer, Nationalrat

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch