Klare Worte - zielbewusstes Handeln

Ein Gemeindepräsident mit Zivilcourage

Ein «Schweizerzeit»-Interview

Die Behauptung, SVP-Politiker seien für Exekutiv-Ämter kaum wählbar, gehört zum gängigen Vokabular der zumeist linksorientierten Schweizer Medien.


Nachdem ein SVP-Gemeindepräsident den laut «Blick» unverschämtesten Profiteur des Sozialstaats offenbar zur Raison zu bringen vermochte, sah sich die «Schweizerzeit» veranlasst, mit diesem durchsetzungsstarken Gemeindepräsidenten, Andreas Glarner aus Oberwil-Lieli, das Gespräch zu suchen. Oberwil-Lieli ist im Verlauf der letzten Jahre zur steuergünstigsten Gemeinde des Kantons Aargau geworden.

«Juwel» am Mutschellen

«Schweizerzeit» (SZ): Herr Glarner, Sie bezeichnen Ihre Gemeinde Oberwil-Lieli als «Juwel» im Aargau – weil Oberwil-Lieli mit rund 4‘700 Franken die höchste Steuerkraft pro Einwohner und mit 19 Millionen das grösste Nettovermögen aller Aargauer Gemeinden ausweist. Sind es günstige äussere Faktoren, die Oberwil-Lieli diese Spitzenstellung sichern? Oder steht eine langfristig ausgerichtete politische Leistung hinter diesem Erfolg?

Andreas Glarner (AG): Beides! Die ausserordentlich attraktive Lage auf der Sonnenseite des Mutschellens mit superber Aussicht auf die Alpenkette: Das wurde Oberwil-Lieli geschenkt.

Es war zu Beginn der Achtzigerjahre – also vor rund dreissig Jahren – als sich Oberwil-Lieli seiner Chance als «Fluchtgemeinde für vermögende Zürcher» bewusst wurde. Die Stadt liegt sehr nahe, Bauland an attraktiver Lage war bei uns damals sehr günstig. Später kam eine äusserst vorteilhafte Verkehrsanbindung dazu: In fünf Minuten sind wir auf Zürichs Westumfahrung, seit 2008 in zwanzig Minuten – sofern Zürichs Nordring nicht verstopft ist – am Flughafen. Werden solch günstige Voraussetzungen geschickt genutzt, stellen sich auch Erfolge ein.

Überlegte Steuerpolitik

SZ: Wie banden Sie den Erfolg an Oberwil-Lieli?

AG: Vor acht Jahren formulierten wir das Ziel, steuergünstigste Gemeinde im Kanton Aargau zu werden. Schritt für Schritt senkten wir den Steuerfuss. Die Erwartungen erfüllten sich: Eine beträchtliche Zahl guter bis sehr guter Steuerzahler erkor Oberwil-Lieli zum Wohnsitz. Es war vor allem Mund-zu-Mund-Propaganda, die diese Entwicklung begünstigte. Die aber nur Erfolg zeitigte, weil der Gemeinderat während Jahren – bis heute – unverändert und konsequent am damals gesetzten Ziel festhält. Entscheidend ist dabei: Fast alle Zürcher, die gekommen sind, sind auch geblieben. Sie haben sich, auch als ihre Kinder «ausgeflogen» waren – nicht anderswohin begeben. Solches fällt einer Gemeinde nicht einfach in den Schoss.

Persönliche Kontakte sind wichtig

SZ: Wie haben Sie das erreicht?

AG: Mit disziplinierter Ausgabenpolitik einerseits, mit überlegter Informationspolitik andererseits.

Wir treffen uns mit Steuerzahlern und Bürgern regelmässig zum Gespräch. Wir zeigen ihnen, wie wir den Grundsatz im Gemeinde-Alltag umsetzen, wonach kein Mitglied des Gemeinderats für eine Anschaffung oder Investition eintritt, für die er sich nicht auch privat oder als Firmeninhaber entscheiden würde. Wir erläutern, wie wir die Effizienz der Verwaltung z.B. mittels gut durchdachter Kompetenz-Übertragung und -Abgrenzung steigern. Wir zeigen, wo wir mittels Zusammenarbeit (Vereinigung der Steuerämter mit zwei benachbarten Gemeinden) Einsparungen erzielen. Wir zeigen, wo wir mit dem Ziel «Einsparungen» Zweckverbände gegründet haben (Zivilschutz, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung), und was diese Zusammenarbeit finanziell gebracht hat.

Wir zeigen aber auch, wie wir bei aller Zusammenarbeit die Entscheidungshoheit bei uns behalten haben, auf dass wir immer die Lösung aus eigener Kompetenz treffen können, die uns als die beste erscheint. Und dass wir auch die Korrekturmöglichkeiten in Händen halten, wenn sich etwas anders als erwartet entwickelt.

Wir informieren auch, wie wir alle Aufgaben in der Gemeinde im Milizsystem bewältigen, mit Behördenentschädigungen, die etwa einem Drittel jener entsprechen, die Gemeinden in unserer Nähe ihren Behördenmitgliedern auszahlen. Solche Gespräche werden in unserer Gemeinde sehr geschätzt.

Privilegierung Einzelner?

SZ: Kommt nie der Vorwurf auf, Sie würden Reiche privilegiert behandeln?

AG: Zunächst ist festzuhalten: Wenn wir gezielt gute Steuerzahler nach Oberwil-Lieli holen, profitieren alle Steuerzahler, profitiert die gesamte Bevölkerung der Gemeinde.

Bisher kam der von Ihnen angesprochene Vorwurf nie auf. Wir geben aber auch nie einzelnen Reichen irgend welche Versprechungen ab. Ich muss hier auch betonen: Bisher ist kein einziger gut situierter Steuerzahler je mit einem Sonder-Ansinnen an uns gelangt, irgendein Privileg verlangend.

Wir orientieren über die Lage. Es geht nicht um Sonderwünsche. In den Gesprächen wird vielmehr das Interesse dafür geweckt, wie die Behörden in Oberwil-Lieli ihre Aufgaben anpacken und lösen. Und mancher Steuerzahler zollt – sobald er über den Ablauf der Aufgabenbewältigung näher orientiert ist – unserer Behördenarbeit ausdrücklich Respekt. Es kommt dabei sogar vor, dass sich Einzelne, die sich zuvor nie für Behördenarbeit interessiert haben, zur Kandidatur für ein Amt in der Gemeinde bewegen lassen.

«Gebundene Ausgaben»

SZ: Bezüglich Ausgabenpolitik sind den Gemeindebehörden doch zunehmend die Hände gebunden. Aufwendungen für den öffentlichen Verkehr, im Rahmen der Sozialhilfe, für die Volksschule, Beiträge an Altersheime und Spitäler sind doch zumeist sog. «gebundene Ausgaben», welche die Gemeinde leisten muss, die sie aber kaum beeinflussen kann.

AG: Schon! Aber Mitbestimmung haben die Gemeinden trotzdem. Wenn nicht direkt aus der Gemeinde heraus, dann im Grossen Rat in Aarau. Das nutzen wir gezielt. Und nicht überall sind den Gemeindebehörden die Hände gebunden. Zum Beispiel bezüglich Sozialhilfe nehmen wir als Gemeinde durchaus Einfluss: Hausbesitzer, die Wohnungen leichtfertig an «Sozialfälle» vermieten, die der Gemeinde Kosten verursachen, werden von uns kontaktiert. Wer Mieter nimmt, ohne abgeklärt zu haben, ob gegen diese bereits Betreibungen vorliegen, kann von der Gemeinde nie mit Entschädigung für nichtbezahlte Mieten rechnen. Solcher Positionsbezug gegenüber leichtfertigen Vermietern erzielt durchaus Wirkung.

Oberwil-Lieli verweigert auch die Aufnahme von Asylanten. Die Missstände bezüglich der Asylantenbetreuung hat der Bund zu verantworten. Die Gemeinde übernimmt dafür keine Lasten. Zwar auferlegt uns die kantonale Sicherheitsdirektorin dafür eine als Malus-Zahlung getarnte Busse. Die bezahlen wir eben. Dafür reduzieren sich die Kosten für den Sicherheitsaufwand, für die Schulung, für Zerstörungen an Unterkünften usw. Wir fahren gewiss viel besser als andere Gemeinden, die sich widerstandslos in die Asylantenbetreuung einbinden lassen.

Wir haben auch schon Liegenschaften die für Asylanten-Einquartierung infrage kommen, kurzerhand aufgekauft und abgebrochen. Das hat unserer Gemeinde unter dem Strich bedeutende Einsparungen ermöglicht.

Wenn man will, wenn man die Konfrontation nicht scheut, bringt man deutlich mehr zustande als viele, die sich lieber ducken, wahrhaben wollen. Übrigens: Die SVP des Kantons Zürich hat vor einiger Zeit einen Leitfaden für Behörden herausgegeben. Dieser enthält interessante, praxisbewährte Vorschläge.

Kampf gegen Bürokratie

SZ: Bekannt ist, dass alle Gemeinden der ganzen Schweiz recht stark belastet werden durch aufwändige statistische Erhebungen, Abklärungen und Berechnungen für kantonale und eidgenössische Amtsstellen. Wie schwer belasten solche, von oben auferlegte Bürokratie-Aufgaben die Gemeindefinanzen von Oberwil-Lieli?

AG: Auch dazu gilt: Der Spielraum der Gemeinde ist grösser als Obrigkeitsgläubige wahrhaben wollen. So und so viele Statistik-Auflagen werden von uns, wenn sie uns unsinnig oder abwegig erscheinen, schlicht nicht behandelt. Wir erklären das Problem, zu dem wir Abklärungen treffen sollten, als «für unsere Gemeinde nicht relevant» und schicken die Unterlagen an den Absender zurück. Folgen hatte das bis heute nie.

Auch in anderen Dingen ist unsere Obrigkeitshörigkeit eng begrenzt: Eigentlich müsste – um ein Beispiel zu nennen – jede Alkoholausschank-Bewilligung an einen örtlichen Verein für eine Abendunterhaltung oder ein anderes Vereinsfest von Aarau abgesegnet werden. Das haben wir längst abgestellt. Wir erteilen solche Bewilligungen in eigener Kompetenz – ohne jemanden zu fragen. Alles andere erachten wir als nicht zu rechtfertigende Bürokratie-Aufblähung.

Auch bezüglich Baubewilligungen sind wir in die Offensive gegangen. Wir folgen dem Grundsatz: «Das Interesse des Bauherrn steht zuoberst». Wir sind Bewilligungs-, nicht Verhinderungsbehörde. Gebührenmaximierung liegt uns fern. Wir wagen zu entscheiden. Schlimmstenfalls wird ein Rekurs ergriffen, schlimmstenfalls wird die Gemeindebehörde vom Kanton desavouiert. Das ist schon vorgekommen. Allerdings selten – seltener als in anderen Gemeinden. Wir halten, wenn solches geschieht, allerdings nie mit unserer Meinung zurück und kritisieren gegebenenfalls öffentlich und dezidiert den Bürokratismus übergeordneter Stellen. Auch solch ungeschminkte Kommentare erzielen Wirkung. Niemand hat Freude daran, öffentlich als Förderer des Bürokratismus hingestellt zu werden.

Sozialschmarotzer

SZ: Herr Glarner, Ihr öffentliches Vorgehen gegen einen Sozialschmarotzer hat kürzlich in der ganzen Schweiz Schlagzeilen ausgelöst. Worum ging es da?

AG: In unserer Nachbargemeinde Berikon ist ein junger Mann mehrfach negativ aufgefallen, weil er sich schlicht weigert, eine Arbeit anzunehmen. Dafür verlangt er Sozialhilfe, die ihm schliesslich verweigert wurde, weil er sich in jeder Beziehung unkooperativ verhielt. Nun zwingt das Bundesgericht die Gemeinde, die dem jungen Mann aufgrund der von diesem verweigerten Zusammenarbeit nicht ausbezahlte Sozialhilfe nachzubezahlen. Dazu verlautet, dass der Datenschutz verbiete, diesen Sozialhilfe-Abzocker bei seinem Namen zu nennen. Ich habe darauf – in meiner Eigenschaft als SVP-Bezirkspräsident – demjenigen, der mir Name und Adresse des Arbeitsverweigerers mitteilt, eine Prämie von tausend Franken versprochen.
SZ: Was geschah dann?

AG: Als diese Prämien-Offerte bekannt wurde, verging keine halbe Stunde, bis mir jemand die gewünschten Angaben übermittelte. Der Absender dieser Angaben hat indessen auf die ihm offerierte Prämie von tausend Franken verzichtet. Er hat mir vielmehr weitere tausend Franken in Aussicht gestellt, wenn es gelänge, den Faulpelz zum Arbeiten zu bewegen.

Ich habe diesem Arbeitsverweigerer unverzüglich ein Arbeitsangebot unterbreitet, das all das, was er dem «Blick» gegenüber als für ihn unannehmbar bezeichnet hat, berücksichtigt. Ich habe ihm dazu eine Frist gesetzt; für den Fall der Ablehnung waren Schritte bereits vorbereitet. Der öffentliche Druck hat ihn inzwischen aber veranlasst, eine Arbeitsstelle anzunehmen. Das heisst also: Ziel erreicht!

Datenschutz als Täter-Hilfe

SZ: Gerieten Sie mit diesem Vorgehen nicht in Konflikt mit dem Datenschutz.

AG: Eine schlimme Entwicklung in unserem Land ist, dass Datenschutz mehr und mehr zum Täter-Schutz degeneriert. Davon darf man sich als freier, Verantwortung wahrnehmender Bürger nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Öffentlichkeit muss wissen, wer unter Missbrauch von Steuergeldern, welche die Öffentlichkeit aufzubringen hat, diese Öffentlichkeit hintergeht und allenfalls gar betrügt.

SZ: Wie gehen Sie – jetzt wieder in Ihrer Eigenschaft als Gemeindepräsident – um mit der vom Bund durchgesetzten Zentralisierung der Sozialhilfe?

AG: Damit ist eine verhängnisvolle Fehlentwicklung eingeleitet worden. Typisch, dass als erste Konsequenz der Konzentration aller Vormundschaften bei sog. Fachleuten eine sofortige Akademisierung der Vormundstätigkeit eingeleitet wurde. Das hat nichts mehr mit Fürsorge zu tun. Da werden vielmehr Juristen, die in der Privatwirtschaft offensichtlich nicht zu gebrauchen sind, durchgefüttert. Eine unerträgliche Kostenexplosion zu Lasten der Gemeinden ist die Folge. Da muss politisch Widerstand organisiert werden.

Ich bin ein Anhänger degressiver Sozialleistungen – also des kontinuierlichen Abbaus öffentlicher Leistungen, je länger der Bezug andauert. Insbesondere gegenüber jungen Leistungsnehmern ist das der Weg, der sie rasch wieder zur Berufsaufnahme zwingt. Man muss bei der – von mir befürworteten – Einführung degressiver Zahlungen das Alter der Unterstützungsbedürftigen aber berücksichtigen. Bei älteren Sozialhilfe-Empfängern muss gegebenenfalls auf Degression verzichtet werden.

Wichtig ist, Sozialhilfe-Empfänger immer persönlich auf ihre Situation anzusprechen. Wer zum Beispiel seine Krankenkassenprämien nicht mehr bezahlt, wird von unserer Verwaltung zitiert. Seine Situation wird zusammen mit dem Nicht-Zahler genau überprüft. Meistens erfolgen danach die Zahlungen wieder korrekt. Andere ziehen es vor, die Gemeinde zu verlassen.

SZ: Und die SKOS-Richtlinien?

AG: Die SKOS-Richtlinien, verfasst von der Organisation SKOS, die in Wahrheit die Gewerkschaft der Sozialarbeiter ist, nehmen wir in Oberwil-Lieli durchaus zur Kenntnis – aber nur als Richtlinie, nicht als verbindlichen Tarif. Dann entscheiden wir mit Blick auf den konkreten Fall, für den wir eine Lösung zu finden haben. Ein Amtsgeheimnis, das als Unrechtsvertuschungs-Instrument dient, respektieren wir grundsätzlich nicht.

SZ: Herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch.

S.

Das Gespräch mit Grossrat und Gemeindepräsident Andreas Glarner führte Ulrich Schlüer.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch