Auf Schlingerkurs

Zum Stand der Zürcher Verfassungsrevision
Einleitungsvotum an der Pressekonferenz der SVP-Fraktion im Verfassungsrat des Kantons Zürich vom 18. Oktober 2002

Man kann es drehen und wenden, wie immer man will: Das Vorhaben «Neue Verfassung für den Kanton Zürich» erscheint zwei Jahre nach seinem Start zunehmend gefährdet. Drei Gründe sind dafür verantwortlich:

Erstens steht die Erarbeitung der neuen Kantonsverfassung finanziell vor einer regelrechten Entgleisung. Die Kosten könnten sich gegenüber dem vom Kantonsrat seinerzeit gesetzten Rahmen von fünf Millionen Franken ohne weiteres etwa verdreifachen.

Zweitens begünstigt die Tatsache, dass sich die Verfassungsräte nie mehr vom Souverän in ihrem Amt bestätigen lassen müssen, eine zunehmend ansteckend wirkende Wirklichkeitsblindheit dieses Gremiums.

Und drittens setzt sich das zielgerichtete, offensichtlich eine verstärkte Zentralisierung anstrebende Unterlaufen von Verfassungsratsbeschlüssen durch die Zürcher Regierung fort, was die Öffentlichkeit zunehmend am Sinn des ganzen Verfassungsvorhabens zweifeln lässt.

Der Kanton Zürich heute und morgen

Eine Verfassung steht nicht im luftleeren, abstrakten Raum. Sie hat auf fundamentale, langfristige Bedürfnisse der Öffentlichkeit gültige Antworten zu finden. Im Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und voraussehbare Zukunft ist die Verfassungsberatung im Kanton Zürich mit folgendem grundlegendem Erfordernis konfrontiert:

Der für Wohlstand, Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen, für das Tragen des sozialen Netzes usw. ausschlaggebende Wirtschaftsplatz Zürich muss seine frühere Leistungsfähigkeit zurückgewinnen.

Er kann dies nur, wenn die Zürcher Wirtschaft und das Zürcher Gewerbe insgesamt von Steuern, Abgaben und Gebühren deutlich entlastet werden. Die öffentliche Hand hat diese Entlastung selbst dann herbeizuführen, wenn die Steuereinnahmen zeitweise sinkende Tendenz zeigen sollten. Dies ist ohne Konzentration des Staates auf primäre Aufgaben nicht erreichbar. Dafür ist insbesondere der übergrosse Verwaltungs- und Vorschriftenapparat endlich zu lichten und zu entschlacken. Dies ist unverzichtbar, weil die Wirtschaft insgesamt, insbesondere die die Wirtschaft zur Hauptsache tragenden KMU-Betriebe so zu entlasten sind, dass sie ihre generell viel zu starke Abhängigkeit von Fremdkapital, also ihre zu hohe Verschuldung kontinuierlich abbauen können. Nur so gewinnen sie Eigendynamik und die Kraft zur Nutzung von Entwicklungsmöglichkeiten zurück.

Weniger Verwaltung ­ weniger Kosten

Für die neue Verfassung bedeutet das: Konsequente Abkehr von allzu viele Details fixierenden, die Verwaltung übermässig aufblähenden Einzelbestimmungen. Abkehr vom Staat der ausufernden Regulierungen, Rückkehr zu Grundsätzen, die dem Gesetzgeber die Freiheit belassen, die konkrete Aufgabenerfüllung den Erfordernissen der Zeit rasch anpassen zu können.

Verschuldungskrise

Unser Land steckt - bezüglich öffentlicher Hand wie bezüglich Wirtschaft ­ in einer die weitere Entwicklung lähmenden, schweren Verschuldungskrise. Diese zu beheben ist keineswegs eine kurzfristige, in zwei bis drei Jahren zu bewältigende Aufgabe. Es handelt sich angesichts des Ausmasses der Verschuldung von Staat und Wirtschaft vielmehr um eine Generationenaufgabe. Sie hat damit ganz klar «Verfassungs-Dimension».

Wir gewinnen zunehmend den Eindruck, dass dieser Frage im Verfassungsrat ausserhalb der SVP-Fraktion kaum Beachtung geschenkt wird. Nur so lässt sich der ungebrochene Drang nach detailversessener Aufblähung der neuen Verfassung erklären. Die Tendenz, gleichsam den Zeitgeist in Marmor meisseln zu wollen, verdrängt offensichtlich jede Verantwortung den Kostenfolgen dieser Detailversessenheit gegenüber.

Wird diese Tendenz nicht gebrochen, dürfte die neue Verfassung von allem Anfang an zum Scheitern verurteilt sein. Weil Detailversessenheit dazu führt, dass die neue Verfassung schliesslich einer ganzen Fülle von Oppositionsgruppierungen gegenüber stehen wird, die, je auf eine einzelne oder auf ein Konglomerat von Bestimmungen fixiert, in der Addition ihrer Verneinungspotentiale diese Verfassung zu Fall bringen werden.

Nur ein Sitzungsgeld pro Sitzungstag

Um auch ein Zeichen zu setzen gegen die massive Überschreitung des eigenen Budgets durch den Verfassungsrat wird die SVP-Fraktion demnächst den Antrag einbringen, dass ­ analog der Regelung auf eidgenössischer Ebene ­ ein Mitglied des Verfassungsrats pro Sitzungstag höchstens ein Taggeld erhält. Wir wollen es damit jenen nicht allzu leicht machen, welche sich im Blick auf die Aufwandexplosion beim Verfassungsrat selbst gerne als «leidende Opfer» der durch den Kantonsrat beschlossenen Erhöhung aller Spesenentschädigungen zu sehen belieben...

Zweideutige Haltung der Regierung

Nach wie vor zweideutig verhält sich aus SVP-Sicht die Zürcher Regierung dem Verfassungsrat und den von diesem getroffenen Beschlüssen gegenüber. Dies zeigt sich erneut in der Frage der Regionen und der Wahlkreiseinteilung.

Als sich im Verfassungsrat eine Mehrheit gegen die Schaffung von Regionen und grössere Wahlkreise durchsetzte, schien die offenbar andere Ziele verfolgende Regierung diesen Entscheid zunächst zu respektieren. Wenige Tage nach dem Verfassungsrats-Entscheid legte sie indessen ein neues Wahlkreismodell vor, welches genau das Gegenteil ­ nämlich die politische Unterordnung der kleinen Bezirke unter die grossen Agglomerationen ­ anvisiert. Solches Vorgehen von Regierung und Verwaltung kann nur eines bewirken: Zunehmende Verständnislosigkeit in der Öffentlichkeit den Bemühungen des Verfassungsrats gegenüber, dessen Entscheide, so sie endlich einmal fallen, von der Regierung postwendend unterlaufen werden.

Wenn die Verfassung schon zu Fall gebracht werden soll, könnte dies zumindest billiger erreicht werden.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch