Armee-Entwicklungsschritt 08/11

Verzicht auf Eigenleistung untergräbt Glaubwürdigkeit der Armee
Nationalrats-Votum vom 11. Juni 2007

SP, CVP und FDP verhalfen dem sogenannten "Entwicklungsschritt 08/11" zum Durchbruch. Namens der SVP zeigte Nationalrat Ulrich Schlüer, dass dieser auf "Aufwuchs-Konzepten" beruhende Entwicklungsschritt in Wahrheit den Eigenleistungs-Auftrag an die Armee in Frage stellt. Das Votum vom 14. Juni im Wortlaut:

Wir stimmen für Eintreten auf die Vorlage, in der Hoffnung, dass möglicherweise doch noch etwas korrigiert werden kann. Ist das nicht der Fall, werden wir am Schluss gegen die Vorlage stimmen.

Die Linke setzt den Tarif

Es ist richtig, und da kann ich meinem Vorredner zustimmen, dass wir in der Kommission nochmals viel Zeit für diese Vorlage aufgewendet haben. Nur: Wirklich debattiert haben wir dabei nicht mehr. Was eingetreten ist, ist, dass die Linke den Tarif durchgegeben hat, wie die Vorlage durchzubringen sei, und die sogenannte Mitte hat dann dafür gesorgt, dass dieser SP-Tarif erfüllt wurde. So wurde das Mitte-Links-Päckli Wirklichkeit. Die Spannung ist draussen, die Vorlage wird so durchkommen. Herr Divisionär Müller konnte seine Modelle noch so überzeugend vortragen, das hat an sich gar niemanden mehr interessiert. Die Meinungen waren gemacht; man hat am Schluss entsprechend abgestimmt.

Die Schwächen des Aufwuchs-Konzepts

Immerhin können wir noch einmal die Schwächen dieser Vorlage beleuchten. Der Bundesrat beschwört uns ja, diese Vorlage anzunehmen, sonst könne er bei der Katastrophenhilfe, bei der Bereitschaft usw. nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Dagegen haben wir ja nichts. Nur: Dazu sind nicht Brigaden zu verändern. Das alles wäre auch ohne diese Vorlage machbar, weil das Parlament ja erst etwas zu sagen hat, wenn es um Veränderungen auf Brigade-Ebene geht. Das ist also nicht der Kern der Vorlage. Der Kern liegt anderswo. Zu diesem Kern hat der Bundesrat ein Gutachten anfertigen lassen. Dieses ist interessant zu lesen. Man sollte allerdings nicht nur die Schlussfolgerung lesen, sondern das Gutachten insgesamt - auch wenn dieses Gutachten über die Verfassungsmässigkeit des Aufwuchses enttäuschend oberflächlich abgefasst ist.

Da werden moderne Gefahren beschworen. Frau Glanzmann-Hunkeler hat das eben auch wieder getan. Was ist denn das Charakteristikum moderner Bedrohungen? Ein ganz wesentliches Charakteristikum moderner Bedrohung besteht darin, dass die Vorwarnzeiten gegen Null sinken können, unter Umständen sogar Null erreichen. Den Kern des Entwicklungsschrittes aber bildet nach wie vor ein Aufwuchsmodell. Mit Aufwuchs reagieren zu wollen, wenn die Vorwarnzeit für ein Ereignis Null ist - das ist pure Hilflosigkeit. Sicher keine ernstzunehmende Antwort auf etwas, was eintreten könnte. Dass den Gutachtern Lienhard und Häsler nicht einmal eine Frage zu diesem Konzept eingefallen ist, dass sie dazu bloss getreulich repetiert haben, was ihnen die Armeeführung vorgekaut hat, ist doch eher schon bejammernswert.

Unfähigkeit zur Entschlussfassung

Genau da zeigt sich die Krise - ich spreche dieses Wort bewusst aus -, in der die Armee heute steckt. Man braucht dazu bloss dieses Gutachten zu lesen. Es wird darin gesagt - immer gestützt auf Ausführungen der Armeeführung -, die Bedrohungslage sei heute derart diffus, vielfältig und widersprüchlich, dass es nicht möglich sei, daraus abzuleiten, was heute konkret vorzukehren sei. Wenn Sie einen Blick in die Weltgeschichte werfen, dann stellen Sie fest, dass das Entscheiden für denjenigen, der eine militärische Entscheidung treffen musste, immer ausserordentlich schwierig war. Doch Entschlussfassung auf der Basis einer Lagebeurteilung - das ist das Kerngeschäft des Strategen, das Kerngeschäft jeder Armeeführung. Entschlussfassung im Blick auf erkannte Bedrohungen - das hat jede Armeeführung zu leisten. Die Aussage "Das können wir heute nicht, wir operieren deshalb mit Aufwuchsmodellen, die unsere Vorstellungen wiedergeben, die wir auch durchrechnen und die wir in Computern abspeichern": Das ist eine Antwort der puren Hilflosigkeit auf das, was militärisch tatsächlich erforderlich wäre. Die Armeeführung hat die Pflicht und die Aufgabe, bis zur Entschlussfassung vorzudringen: Das ist ihr Kerngeschäft.

Wenn sie zu dieser Entschlussfassung nicht fähig ist, dann genügt sie ihrem Auftrag nicht. Dieser schwere Mangel zeigt sich im Konzept, das uns die Armeeführung vorlegt.

Verfassungsrechtlich unbedenklich?

Und genau dazu wäre dann die entscheidende verfassungsrechtliche Frage zu stellen, die Lienhard und Häsler leider nicht einmal aufgegriffen haben. Die Frage nämlich: Wenn die Entschlüsse nicht oder nur theoretisch in gespeicherten Computermodellen vorbereitet sind, was unternimmt die Armeeführung dann tatsächlich, wenn ein Ereignis eintritt? Sie hat dann nur eine Chance, nur einen Ausweg: Sie muss sich irgendwo anschliessen. Wenn Eigenleistung nicht vorbereitet ist, muss sie sich einem Bündnis anschliessen. Genau dazu stellt sich die Verfassungsfrage, die im hochgelobten Gutachten Lienhard/Häsler indessen nicht einmal angesprochen wird.

Wir können für Abermilliarden Führungselektronik einkaufen; wir können uns auf modernste Mittel abstützen. Wenn die Kraft zur Entschlussfassung schliesslich fehlt, dann nützt selbst erstklassige Führungselektronik nichts. Das ist das Ungenügen in dieser Vorlage, das im Aufwuchsdenken zum Ausdruck kommt, indem man der Theorie glaubt, man könne sich zwar auf alles theoretisch vorbereiten, tut dies aber praktisch nicht. Gelehrter ausgedrückt, wenn das "savoir faire" vermeintlich beherrscht werde, beherrsche die Armee auch das "pouvoir faire": Reine Theorie, die vor der Praxis nie bestehen wird!

Enttäuschendes Konzept

Das ist unsere Lagebeurteilung zum Aufwuchs-Phantom. Wir sind enttäuscht, dass die lange Diskussion zu nichts geführt hat als zu stereotyper Repetition von Standpunkten, die gegenüber dem, was eine Armee heute leisten sollte, nicht haltbar sind. Wir sind der Auffassung, die Armee und das Land hätten eigentlich Besseres verdient.

Nach wie vor hoffen wir, dass wir vielleicht in der Detailberatung das eine oder andere noch verbessern können; andernfalls wird die SVP die Vorlage am Schluss ablehnen.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch