HarmoS: Nein zur Zentralisierung der Volksschule

Referat für den SVP-Sonderparteitag «Volksschule» am 23. August 2008 in Sursee

Die Regierung des Kantons Luzern, wo am 28. September 2008 über HarmoS abgestimmt wird, glaubt im Vorfeld dieses Urnengangs eiligst das kantonale Bildungsgesetz revidieren und damit vermehrte Elternmitsprache bezüglich Einschulung der Vierjährigen versprechen und gesetzlich festlegen zu müssen. Damit beweist sie zweierlei:

Erstens ist offensichtlich auch Luzerns Regierung von HarmoS alles andere als überzeugt. Ohne zusätzliche Lockvögel hält man HarmoS zu Luzern nicht für mehrheitsfähig. Zweitens setzt die Regierung auf die Tatsache, dass Konkordatsrecht den Bürgern noch eher fremd ist. Deshalb glaubt sie, die Information schlicht unterschlagen zu können, dass all jene kantonalen Bestimmungen, die HarmoS widersprechen, unter Fristansetzung zwingend an HarmoS angepasst werden müssen.

Die Schwächen von HarmoS

Was ist der Inhalt, was sind die Schwächen von HarmoS? HarmoS, aufgezogen als Konkordat, institutionalisiert den Schulzwang für Vierjährige. Wohlgemerkt: Es geht um Schulzwang. Das Wort «Kindergarten» taucht im HarmoS-Konzept nicht auf. Basisstufe mit Hochdeutsch-Pflicht – einzelne Kantone sagen das offen – ab erster Schulstunde ist vorgesehen.

Zweitens verlangt HarmoS die obligatorische flächendeckende Schaffung von Tagesstrukturen für die ganztägige Kinderbetreuung. Die Nutzung des Angebots ist – wenigstens anfänglich – freiwillig. Das Angebot aber ist obligatorisch. Der Kanton Aargau rechnet für diesen neuen Sozialapparat mit Zusatzkosten zu Lasten der öffentlichen Hand von hundert Millionen Franken, der Kanton Solothurn mit vierzig Millionen Franken. Andere Kantone verweigern Zahlen. Hochgerechnet auf die ganze Schweiz ist mit Zusatzkosten von sicher zwei Milliarden Franken zu rechnen.

HarmoS zementiert drittens – wenn man die Umsetzungsabsichten der beitrittswilligen HarmoS-Kantone studiert – den sogenannt «integrativen Unterricht», der die Abschaffung aller Sonderklassen für schwächer begabte und verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler vorsieht. Stundenweise Sonderförderung im Normalunterricht durch zusätzliche Therapeuten soll die Sonderklasse ersetzen. Dauernde Unruhe im Klassenzimmer, Anpassung des Leistungsniveaus nach unten sind die Folgen, die Qualität der Volksschule leidet. Fahrlässig ist die Idee, auch bisher in Kleinklassen unterrichtete Verhaltensgestörte in Regelklassen unterzubringen. Da droht – würde man auf Lehrer mit Erfahrung hören – Blockierung ganzer Schulklassen.

Viertens bewirkt HarmoS die Entmachtung von Eltern, Gemeinden und Kantonen mitsamt ihrer Kantonsparlamente in allen die Volksschule betreffenden Fragen. HarmoS wird als Konkordat umgesetzt. In einem Konkordat schliessen sich Kantone zur Umsetzung eines gemeinsamen Anliegens zusammen – bezüglich HarmoS des Volksschulwesens. Ein Konkordat darf Bundesrecht zwar nicht widersprechen. Es darf aber zusätzliches Recht schaffen – im Beispiel HarmoS in Form der obligatorischen Tagesstrukturen. Für Tagesstrukturen zur Kinderbetreuung gibt es keine Grundlage in der Bundesverfassung. Was dann bedeutet: Die Kosten für die Tagesstrukturen sind vollumfänglich Kantons-Angelegenheit. Dem Bund fehlt jede Rechtsgrundlage zur Kostenübernahme.

Konkordatsrecht bricht kantonales Recht

Von grosser Wichtigkeit ist: Konkordatsrecht bricht kantonales Recht. Kantonale Bestimmungen, selbst in Kantonsverfassungen niedergelegte Bestimmungen, müssen – wenn sie HarmoS widersprechen – innert sechs Jahren angepasst werden. Deshalb können Kantone – siehe Beispiel Luzern – heute im Abstimmungskampf alles versprechen, auch zu HarmoS offen Widersprüchliches. HarmoS zwingt danach – nach der Abstimmung – zur Anpassung. Innert sechs Jahren. Das gilt auch für den neuen Luzerner Gesetzesartikel über das Mitentscheidungsrecht von Eltern bezüglich Einschulung mit Vier. HarmoS verlangt die Einschulung mit Vier. Und HarmoS sieht keine Ausnahmen vor – auch nicht für Luzern.

Die Erziehungsdirektorenkonferenz, die HarmoS geschaffen hat, beschäftigt heute 52 Beamte. Auch wenn ein Grossteil dieser vom Steuerzahler entlöhnten Funktionäre derzeit im Kanton Luzern als HarmoS-Prediger im Abstimmungskampf stehen, so sind es diese vorläufig 52 Beamten, welche die (zur Zeit noch nicht vorliegenden) Ausführungs-Bestimmungen zu HarmoS schaffen werden. Kein Parlament kann diese Bestimmungen beraten oder abändern. Die Kantons-Parlamente können nur über Beitritt oder Austritt zu HarmoS beschliessen. Detailberatungen sind ihnen verwehrt. Damit sind auch Referenden ausgeschlossen.

Die EDK-Verwaltung wird von keinem Parlament kontrolliert. Ein eklatanter Verstoss gegen die Gewaltenteilung. Zentralismus pur! Im übrigen drohen die HarmoS-Befürworter für den Fall von HarmoS-Ablehnung an der Urne mit einer Bundes-Intervention. Eine ebenso unfaire wie leere Zentralisierungs-Drohung. Zwar könnte der Bund gewisse Schulharmonisierungs-Grundsätze gesamtschweizerisch durchsetzen. Aber nur solche, die eine Grundlage in der Bundesverfassung haben. Das gilt für die obligatorischen Tagesstrukturen in allen Gemeinden ausdrücklich nicht. Also kann der Bund solches ohne Verfassungsänderung (mit obligatorischer Volksabstimmung) nicht anordnen.

Keine Vollstreckungs-Bestimmungen?

Seit der Widerstand gegen HarmoS sichtbar wird, scheint man auch in einzelnen Kantonsregierungen die Schwächen im HarmoS-Konzept zu erkennen – und erfindet dazu seltsame Ausflüchte. Einer der Kantone mit schlechtem Gewissen stellt fest: Im HarmoS-Konzept stünde nichts von Zwangsvollstreckungs-Massnahmen gegen nur teilweise kooperationswillige HarmoS-Mitglieder. Damit liesse sich – zumindest für einige Jahre – der Kindergarten doch noch gegen die Basisstufe verteidigen. Ein klägliches, ja jämmerliches Argument. Die EDK-Verwaltung, welche die Details zu HarmoS in alleiniger Kompetenz festlegt, kann – ohne dass sie jemand daran hindern könnte – von heute auf morgen Vollstreckungsbestimmungen festlegen. Nur die EDK müsste solche genehmigen. Kein Kanton, kein Parlament, kein Stimmvolk könnte sich dazu äussern. Übrigens nehmen wir den Hinweis auf die Verteidigungsfähigkeit des Konzepts Kindergarten durch renitentes Verhalten im HarmoS-Verbund gerne entgegen als Eingeständnis, dass die Kantone – auch wenn sie im Abstimmungskampf das Gegenteil behaupten – ganz genau wissen, dass die Tage des Kindergartens gezählt sind, weil HarmoS den Kindergarten ausmerzen will.

Föderalismus wird liquidiert

Ein anderer Erziehungsdirektor, Vertreter eines Kleinkantons, hat mir, obwohl er zum HarmoS-Entscheid der EDK noch immer steht, kürzlich gestanden, er sei recht froh über den SVP-Widerstand gegen HarmoS. In der EDK würden ohnehin die grossen Kantone – Zürich, Bern, Waadt – diktieren. Das fange schon an bei der Traktandenliste für EDK-Sitzungen. Die Kleinen würden zwar angehört, die Entscheidungen würden aber von den Grossen durchgesetzt.

Das illustriert, was mit HarmoS auf die Schweiz zukommt. Während auf Kantons- und auf Bundesebene durch Gewaltentrennung und Föderalismus die Rücksichtnahme auf die kleinen Kantone mit dem Ständemehr, mit dem die kleinen Kantone vor dem Überfahren-Werden im Bundesparlament schützenden Zwei-Kammer-System institutionalisiert wurde, kennt das ausserhalb der Gewaltentrennung stehende Konkordatsrecht keinerlei Rücksicht auf die kleinen Kantone. Da gilt unverblümter, nackter Zentralismus, diktiert von den Grossen. Diejenigen, die HarmoS erfunden haben, schliessen die Stimmbürger, wenn sie sich einmal zu einem Ja zum HarmoS-Beitritt haben überreden lassen, von jeder weiteren Mitsprache in Volksschul-Angelegenheiten aus.

Nein zu HarmoS

Offensichtlich halten sie das, was sie bereits angerichtet haben, und das, was sie noch im Schilde führen, für derart unverdaulich, dass sie sich damit nicht mehr vor die Eltern und die Bürger getrauen. Deshalb: Nein zum Volksschul-Zentralismus, Nein zur Entmachtung der Eltern, Nein zur Schulpflicht für Vierjährige, Nein zur flächendeckenden Kinderbetreuung durch staatliche Funktionäre.

Nein zu HarmoS.

Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch