Zusammenarbeit mit Osteuropa und den Staaten - GUS

Eintretensvotum
Nationalratsdebatte vom 1. März 1998

Die SVP-Fraktion ist an sich für Eintreten. Grundsätzlich unterstützt sie die Osthilfe weiterhin; sie unterstützt aber auch den Rückweisungsantrag der Minderheit Frey Walter; es gibt sehr gute Gründe, diesem Rückweisungsantrag zuzustimmen.

Die Botschaft erläutert, weshalb wir neu insbesondere auch Russland in die Osthilfe mit einbeziehen. Dazu muss man sagen: Auch wenn man für die Osthilfe eintritt, ist es unabdingbar, dass die Lagebeurteilung, die für die zu erbringende Leistung ausschlaggebend ist, stimmt. In bezug auf Russland stimmt diese Lagebeurteilung in der Botschaft nicht. Sie lesen auf Seite 9, Ziffer 123, der Botschaft: "Für Russland sind die wirtschaftlichen Perspektiven am vorteilhaftesten, doch auch in Belarus und in der Ukraine zeichnet sich eine Trendwende des Produktionsrückgangs ab."

Alles wendet sich also zum Guten! Nun, die Botschaft datiert vom vergangenen August; seither ist die Russlandkrise mit aller Schärfe eingetreten, und seither hat sich die Entwicklung in Belarus und in der Ukraine deutlich zum Schlechteren gewendet. Wir müssen also feststellen: Die Lagebeurteilung stimmt nicht.

Wie kommt man eigentlich dazu, von Wachstum zu sprechen? Wie wird in Russland Wachstum überhaupt ausgewiesen? In Russland, in Belarus und in der Ukraine wird vermehrt auch unter grossen Firmen Tauschhandel betrieben - sozusagen Naturalwirtschaft auf höherer Ebene -; und diesem Tauschhandel unterlegt man fiktive Zahlen, die künstlich ein Wachstum zum Ausdruck bringen. Diese Praktik wird fleissig betrieben - und es gibt Leute, die diese Praktik nicht durchschauen. Auch Grossbanken haben den Zahlen geglaubt und aufgrund des damit ausgewiesenen fiktiven Wachstums Kredite gegeben. Wir wissen, wie es der CS ergangen ist, die auf solcher Grundlage Kredite gegeben hat: Sie musste schliesslich fast eine Milliarde Franken abschreiben, weil sie dem buchhalterischen Trick, der in Russland angewendet worden ist, auf den Leim gekrochen ist.

Wir können doch nicht einfach sagen, es wende sich dort alles zum Besseren! Gleichzeitig lesen wir Uno-Berichte - ich verweise auf einen "Tages-Anzeiger"-Artikel darüber -, die belegen, dass die Geldspritzen aus dem Westen wirkungslos sind: Die Finanzhilfe des Westens werde nicht für Wirtschaftsreformen eingesetzt, sondern verliere sich in dunklen Kanälen der Mafia. Es handelt sich um einen ernst zu nehmenden Bericht, dem exaktes Problemstudium zugrunde liegt.

Das Problem ist offenbar auch hier bekannt. Ich habe diesen Zusammenhang bezüglich fiktiver Wachstumszahlen schon in der Kommission aufgezeigt, und niemand hat widersprochen. Die Fachleute in den beiden Bundesämtern wissen offenbar genau Bescheid, wie es geht, und trotzdem schreibt man einen solch beschönigenden Satz, der keinerlei reale Grundlage hat, in eine Botschaft.

Das ist ein Grund dafür, zu fordern, dass mindestens der Teil der Osthilfe, der Russland betrifft, noch einmal neu und sorgfältig überprüft wird. Es darf nicht sein, dass wir einfach eine positive Entwicklung annehmen und Kredite sprechen - wobei wir uns dann sogar noch anhören müssen, die Kredite, die wir da geben, seien "mickrig".

Frau Hollenstein, wer einen Betrag von 900 Millionen Franken als mickrig bezeichnet, weiss offenbar nicht, unter welchen Bedingungen kleine und mittlere Betriebe in diesem Lande Geld verdienen, welches sie danach versteuern, damit andere sich damit verlustieren können, dieses Geld wieder auszugeben.

Das Problem ist, dass die wohlklingenden Sätze über die angeblich positive Entwicklung in Russland abgeschrieben werden: Sie finden sich auch in EU-Berichten und in Berichten des Währungsfonds.Indem wir sie abschreiben, obwohl wir es besser wüssten - diesen Eindruck habe ich jedenfalls aufgrund der Äusserungen der Herren Experten in der Kommission -, begehen wir einen Fehler. Wenn man in der Botschaft weiterblättert, kommt man darauf, weshalb wir diesen Fehler begehen. Wir lesen, dass die Schweiz, verglichen mit der durchschnittlichen Leistung aller EU-Mitglieder, deutlich abfalle. Das mag sein, aber unser Massstab sind nicht die EU-Mitglieder, unser Massstab sind die Steuerzahler hier in diesem Land, deren Geld wir für die Osthilfe einsetzen.

Einzig und allein gegenüber den Steuerzahlern haben wir Rechenschaft abzulegen. Und für die Steuerzahler zählt nicht, ob andere mehr geben bzw. mehr in zweifelhafte Kanäle fliessen lassen. Wir haben den Nachweis zu erbringen, dass unsere Projekte, auch die Russlandprojekte, gut sind und dass diese auf einer Lagebeurteilung beruhen, die stimmt.

Interessanterweise wendet man z. B. im Fall Belarus andere Kriterien an als im Fall Russland. Man hat dort aus Gründen der sogenannten Konditionalität das Grundbuchprojekt gestoppt, weil man sagte, das Regime von Belarus sei zu zweifelhaft, entwickle sich in eine Richtung, angesichts welcher wir es nicht verantworten könnten, dort weiterhin Projekte zu unterstützen. Das Grundbuchprojekt war ein hervorragendes Projekt; es wurde von der Schweiz aus sehr gut geleitet. Das muss hier einmal gesagt werden. Ich habe aber Verständnis dafür, dass man aufgrund der politischen Situation die Zusammenarbeit mit diesem Land suspendiert. Ein Grundsatz muss dabei aber beachtet werden: Es geht nicht, dass man die Konditionalität nur gegenüber kleinen Ländern zur Anwendung bringt, im Fall von Russland aber sagt, da gälten andere Massstäbe, das sei ein grosses Land, eine Weltmacht, da dürften wir nicht die gleichen Massstäbe anwenden wie gegenüber Belarus.

Es gibt ein entscheidendes Element als Grundlage dafür, ob Projektarbeit sinnvoll ist oder nicht; es kommt indirekt auch in der Botschaft zur Geltung: Man stellt fest, dass beispielsweise in den baltischen Staaten die Entwicklung äusserst positiv verläuft. Man kann deswegen mit Hilfeleistungen im Baltikum zurückfahren. Weshalb verläuft die Entwicklung in den baltischen Staaten positiv? Weil sich die baltischen Staaten, zwar nicht alle dreigleich konsequent, aber im wesentlichen doch ganz klar, zum Recht auf den Besitz von Grund und Boden bekennen und die Privatisierung von Grund und Boden zulassen. Das ist ein wesentliches Element, denn es gibt denjenigen, die produzieren, Leistungen erbringen, die Sicherheit, dass ihr Eigentum respektiert wird. Es gibt ihnen die Grundlage, um an die Zukunft zu denken, die Zukunft zu planen und tatsächlich eine Entwicklung einzuleiten. Das ist das ganze Geheimnis des Fortschritts in den baltischen Staaten.

Wenn wir diesen gleichen Massstab im Sinne der Konditionalität nicht auch gegenüber Russland anwenden und diese Forderung dort, wo wir Projekte unterstützen, konkret erheben, dann wird vieles, das wir fördern, leider auf Sand gebaut sein.

Ich möchte Sie im Namen der SVP-Fraktion bitten, auf diese Vorlage einzutreten, aber den Rückweisungsantrag der Minderheit Frey Walter im Sinne einer nochmaligen Überprüfung der Projekte in Russland zu unterstützen.

Ich bitte Sie dagegen, die Anträge Cavalli und Wiederkehr sowie den Antrag der Mehrheit zu Artikel 1 Absatz 1bis und den Antrag der Minderheit Vollmer zu Artikel 1 Absatz 1ter abzulehnen.

Meinen Antrag darf ich dann noch selber begründen.

Antrag vom 1. März 1999

Art. 1

3 Wiederaufbau- und Starthilfe-Projekte, welche die Rückführung von in die Schweiz gelangten Asylsuchenden aus Osteuropa erleichtern sollen, geniessen im Rahmen der schweizerischen Zusammenarbeit mit Osteuropa Priorität.

Begründung dieses Antrags

Ich vertrete hier einen Antrag, den ich in der Kommission, der ich angehöre, noch nicht vertreten habe. Das hängt damit zusammen, dass es schon einige Zeit her ist, seit wir in der Kommission über dieses Geschäft gesprochen haben, und dass sich der Gang der Weltgeschichte manchmal eben nicht unbedingt an den "Fahrplan" hält, wie wir ihn für unsere Beratungen festlegen. Es hängt insbesondere auch mit Eindrücken zusammen, die ich aufgrund von intensiven Gesprächen erhalten habe, die ich vor einem Monat mit den Vertretern des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps in Kosovo geführt habe. Ich bitte Sie, sich nun eben mit einem Antrag zu befassen, der in der Kommission nicht vorberaten worden ist, zu dem Sie jetzt mit einer gewissen Spontaneität Stellung nehmen müssen. Ich bin der Überzeugung, dass er gut begründbar ist.

Der Antrag beinhaltet, dass Wiederaufbau- und Starthilfeprojekte in jenen Ländern, in welche Rückführungen von Flüchtlingen aus der Schweiz stattfinden - oder gegebenenfalls noch stattfinden werden -, im Rahmen der Osthilfe Priorität erhalten. Ich bin mit diesem Antrag in der Nähe des Antrages Müller-Hemmi. Ich verzichte aber darauf, darin eine genaue Zahl geplanter Aufwendungen oder ein Land zu erwähnen, weil ich davon ausgehe, dass wir einen Rahmenkredit zu sich verändernden Verhältnissen zu bewilligen haben, wobei zuweilen kurzfristige Anpassungen nötig werden können.

Ich bin überzeugt, dass diejenigen Persönlichkeiten, die mit der Umsetzung dieses Rahmenkredites befasst sind, in der Lage sind, die Prioritäten richtig zu setzen. Es könnte sogar sein, dass wir in den kommenden vier Jahren für Bosnien mehr als 50 Millionen Franken benötigen würden. Diese Freiheit muss bei einem Rahmenkredit doch gegeben sein; deshalb sprechen wir ja einen Rahmenkredit! Ich beziehe mich auch auf Ausführungen, die Kollege Mühlemann schon oft gemacht hat: Wenn irgendwo ein Konflikt ausbricht, müssen wir sofort an Ort und Stelle Mittel einsetzen können. Darum geht es in meinem Antrag.

Woher nehmen wir denn das Geld für Soforteinsätze in Gebieten, wo dringend gehandelt werden muss? Man kann die Auffassung vertreten, wir sollten es vom Kredit des Bundesamtes für Flüchtlinge abzweigen. Aber wir haben vor wenigen Monaten im Rahmen der Beratungen am "runden Tisch" festgelegt, dass die BFF-Mittel deutlich heruntergefahren werden müssen. Das wurde vom Rat so akzeptiert. Wir haben dort keine Mittel verfügbar.
Deshalb müssen wir eine Grundlage schaffen, damit wir mit Geld aus einem anderen Bereich, eben aus der Ost-
hilfe, prioritär solche dringlichen Aufgaben anpacken können, die sich aus Krisenlagen, die nun einmal entstehen können, ergeben.

Wir haben uns persönlich darüber ins Bild gesetzt, wie in Kosovo vom Schweizerischen Katastrophenhilfekorps sehr gute Arbeit geleistet wird. Diese Arbeit wird noch für lange Zeit geleistet werden müssen, und es ist klar, dass die dafür erforderlichen Mittel langfristig nicht vom Katastrophenhilfekorps aufgebracht werden können. Sie müssen aus ordentlichen Quellen kommen, und dafür müssen wir eine Grundlage haben. Ich bin der Auffassung, dass sich nur der Rahmenkredit für die Osthilfe dafür eignet, Mittel für solche Anschlussprojekte in Krisengebieten freizugeben. Es ist auch festzuhalten, dass es dabei nicht nur um Hilfe an zurückgekehrte Flüchtlinge geht. Das haben wir in Kosovo feststellen können. Es geht auch um Hilfe an jene, die nicht nach Westeuropa gingen, sondern im Land blieben. Sie sind zu ermutigen; ihnen ist zu helfen, damit sie bleiben und auch eine Zukunft sehen. Mittel für entsprechende Aufbauhilfe müssen wir langfristig sichern, und deshalb müssen wir entsprechenden Projekten in diesem Rahmenkredit für die Osthilfe Priorität einräumen.

Wir verfolgen damit klar eigene Interessen, die die Schweiz in Zusammenhang mit der Osthilfe hat, Interessen der Bevölkerung in unserem Land. Um die Rückführung von Flüchtlingen vornehmen zu können, müssen wir uns bemühen, sie mit den richtigen Massnahmen zu begleiten.

In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass ich von der Art und Weise sehr beeindruckt bin, wie das Katastrophenhilfekorps in Bosnien und in Kosovo arbeitet. Es weist sich über eine äusserst glückliche Hand in bezug auf den Personaleinsatz aus. Ich möchte Herrn Fust bitten, das seinen Leuten zu sagen. Das ist eine Arbeit, die sich sehen lassen darf.

Ich möchte Sie noch auf etwas hinweisen, das in diesem Zusammenhang wichtig ist: Das Uno-Flüchtlingshochkommissariat, das über Mittel, aber offenbar nicht über Spezialisten verfügt, um seine Mittel richtig einzusetzen, ist Auftraggeber des Katastrophenhilfekorps in Kosovo; es anerkennt, dass das Katastrophenhilfekorps gute Fachleute hat, die die Arbeit gut bewältigen.

Wir müssen es in unserem ureigenen Interesse ermöglichen, dass diese Arbeit fortgeführt wird. Ich bin froh, dass Kollege Loeb ein Bekenntnis zur Flexibilität abgelegt hat. Wir können hier nicht sagen: so viele Franken dafür und so viele dafür. Wir können nur sagen: Dieser Art von Projekten ist Priorität einzuräumen; wir vertrauen darauf, dass die tüchtigen Spezialisten, die am Werk sind, im richtigen Moment die Weichen stellen und festlegen, wo mit Nachdruck an die Arbeit gegangen werden muss. Ich vertraue darauf, dass auch die Verwaltung in Bern die entsprechende Flexibilität aufbringen kann. Anerkennen wir diese Arbeit! Schaffen wir die Grundlage, damit diese wertvolle Arbeit weitergeführt werden kann, indem wir ihr auch die notwendigen Mittel sichern!

Abstimmung

Antrag der Kommission, Zustimmung zum Entwurf des Bundesrates: angenommen.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch