Minarettverbot: Auch in Langenthal?

Fragestunde Nationalrat vom 27. September 2010

Frage von Nationalrat Ulrich Schlüer:

Nachdem eine Rekordzahl von rund 1 430 000 Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern im November 2009 dem Minarettverbot per Volksinitiative zugestimmt haben und der Bundesrat dessen sofortige Inkraftsetzung bekanntgegeben hat, unterläuft die Berner Regierung diesen klaren Volksentscheid mit der Minarettbewilligung in Langenthal.

Was unternimmt der Bundesrat, um dem Ja des Souveräns zum Minarettverbot auch in Langenthal Nachachtung zu verschaffen?

Antwort von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf:

Am 30. Juni 2009 erteilte die Gemeinde Langenthal die Bewilligung für den Umbau des dortigen islamischen Kultus- und Begegnungszentrums, in dessen Rahmen auch die Errichtung eines Minaretts mit Dachkuppel vorgesehen ist. Dagegen wurde von verschiedener Seite bei der Baudirektion des Kantons Bern Beschwerde eingereicht. Fünf Monate später, am 29. November 2009, hiessen Volk und Stände die Volksinitiative "gegen den Bau von Minaretten" gut. Der neu eingefügte Absatz 3 von Artikel 72 der Bundesverfassung trat am selben Tag in Kraft.

Am 21. September 2010 hat die kantonale Baudirektion eine Beschwerde gegen das geplante Minarett und die Dachkuppel abgewiesen. Sie stellte sich auf den Standpunkt, das Baugesuch sei vor dem Inkrafttreten von Artikel 72 Absatz 3 der Bundesverfassung bewilligt worden; bei einer Rechtsänderung während des Beschwerdeverfahrens komme grundsätzlich, so die Baudirektion des Kantons Bern, das alte Recht zum Zuge.

Die Beschwerdeführer haben die Möglichkeit, diesen Entscheid an das bernische Verwaltungsgericht weiterzuziehen; die Angelegenheit unterliegt demnach nun der richterlichen Überprüfung. Der Bundesrat seinerseits hat keinen Anlass und auch - das möchte ich betonen - keine Kompetenz, sich in ein laufendes Rechtsmittelverfahren, das von den zuständigen kantonalen Justizbehörden geprüft worden ist und später allenfalls auch vom Bundesgericht zu beurteilen ist, einzumischen oder dazu Stellung zu nehmen.

Nachfrage von Nationalrat Ulrich Schlüer:

Ich danke Ihnen für diese Antwort.
Sie wissen, dass wir als Initianten nie die rückwirkende Inkraftsetzung der Initiative verlangt haben. Aber Sie haben unmittelbar nach der Abstimmung - das wurde jetzt in der Sonntagspresse wiederholt - ausdrücklich gesagt, die Initiative gelte ab sofort auch für Verfahren, die noch nicht abgeschlossen seien. Das waren Ihre Worte. Sie sind doch verfassungsmässig jenes Organ, das den Willen des höchsten Organs dieses Landes, nämlich des Souveräns, zu vertreten und zu vollziehen hätte. Machen Sie Einsprache gegen die ergangene Bewilligung! Sie wären als Bundesrätin dazu verpflichtet. Die Frage ist: Stehen Sie aufseiten jener, die die Demokratie verhindern wollen? Oder sind Sie die Anwältin derer, die zugestimmt haben?

Zweite Antwort von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf:


Das sind vor allem eine Frage, die aus verschiedenen Teilen besteht, und eine Bemerkung, die in dieser Form nicht ganz sachgerecht ist.

Ich habe nicht gesagt, wie man das zu entscheiden hätte - (Zwischenruf Schlüer: Doch!) Nein, Sie können das nachlesen -, sondern ich habe gesagt, dass ich nach einer ersten Auslegung davon ausgehen würde, dass hängige Beschwerdeverfahren dann nach dem neuen Recht entschieden würden. Aber ich habe das wohlwissend der Tatsache gesagt, dass Gerichte gelegentlich etwas anderes entscheiden, als was sich politisch Verantwortliche vorstellen. Und das war in diesem Fall offensichtlich auch so.

Ich sage Ihnen: Ich warte jetzt dieses Verfahren ab. Es ist ein Rechtsverfahren mit der ganzen Rechtswegmöglichkeit. Wenn Sie die Diskussion etwas verfolgt haben, sehen Sie, dass auch unter Rechtsgelehrten, unter Professoren, die Meinungen auseinandergehen. Also wir werden sehen, was das Gericht am Schluss entscheidet. Das Gericht ist massgebend und nicht meine persönliche Meinung. (Zwischenruf Schlüer: Das Volk ist massgebend!) Ja, das Volk ist selbstverständlich massgebend. Herr Schlüer, ich wäre froh, wenn Sie dem Volk vor der Abstimmung gesagt hätten, wie das dann in einem solchen Verfahren auszulegen sei; ich habe dazu, wie es mit hängigen Verfahren geht, vor der Abstimmung nirgends eine Äusserung von Ihnen gesehen. Also wir werden das sehen; das Bundesgericht wird das letztendlich entscheiden.

Bern, 27. September 2010

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch