Fahrlässiges Laisser-faire

Der Bundesrat und die Bergier-Kommission
Kommentar zur Interpellation vom 6. Oktober 1998

Eine unbefriedigende Interpellations-Antwort des Bundesrates, wie er mit der Rechenschaftspflicht der Bergier-Kommission der Landesregierung gegenüber umgehen will, löst skeptische Kommentare aus.

Nationalrat Ulrich Schlüer gab dieser Skepsis wie folgt Ausdruck:

«Der Bundesrat sagt, er könne zu den Erkenntnissen der Bergier-Kommission erst Stellung nehmen, wenn der Schlussbericht vorliege. Ja, weshalb lässt er dann zu, dass Zwischenberichte verfasst werden? Entweder hat man Zwischenberichte zugelassen, weil man gewisse Probleme prioritär beurteilt haben will - dann muss man aber auch umgehend dazu Stellung nehmen. Oder man will nur einen einzigen Bericht - das ist dann der Schlussbericht -, der vorgelegt wird, wenn er definitiv ausgearbeitet ist. Wenn jetzt Einzelberichte portionenweise vorgelegt werden, dann stellen sich doch Fragen, zu denen sich der Bundesrat äussern muss, bevor der Schlussbericht vorliegt.

Beispielsweise haben wir äusserst saloppe - äusserst saloppe! - Ausführungen der Bergier-Kommission zu ihren Kontakten mit sogenannten «Zeitzeugen» gehört. Nun gibt es Zeitzeugen und Zeitzeugen. Es gibt heute noch lebende Verantwortungsträger von damals. Die werden offensichtlich von der Bergier-Kommission bewusst gemieden. Uns wurde der Gold-Zwischenbericht vorgelegt, der zu den wirtschaftlichen Bemühungen der damaligen Verantwortungsträger Stellung nimmt, die unserem Land das Überleben ausserhalb des Nazireiches zu sichern hatten - beileibe eine schwierige Aufgabe! Doch die Verantwortungsträger von damals sind nie - nie! - von der Bergier-Kommission in Konsultation gezogen worden.

Ich möchte Sie fragen, Herr Bundesrat: Was sagen Sie dazu, dass alt Bundesrat Schaffner - immerhin verantwortlich für die damalige wirtschaftliche Koordination der Überlebensmassnahmen - von der Bergier-Kommission nie angehört worden ist? Der Sohn des kurz nach dem Krieg ins Amt gewählten Bundesrat Feldmann - weiss Gott ein sehr objektiver, gerechter und genauer Beurteiler der damaligen Flüchtlingssituation! - hat die Tagebücher dieses Bundesrates zur Verfügung gestellt - die Bergier-Kommission erklärte sich als an diesen Tagebüchern nicht interessiert. Was sagen Sie als Aufsichtsbehörde dazu? Was sagen Sie als Aufsichtsbehörde dazu, dass Herr alt Staatssekretär Paul Jolles, der Teilnehmer an den Washingtoner Verhandlungen von 1946 war, der also à fonds weiss, um was dort gerungen worden ist, im Zusammenhang mit dem Goldbericht von der Bergier Kommission nicht angehört worden ist? Der Bundesrat muss doch als Nachfolgebehörde der damaligen Verantwortungsträger darauf pochen, dass die Verantwortungsträger von damals ihre Meinung, ihr Wissen, ihr umfassendes Wissen einbringen können! Es ist mir unverständlich, wie der Bundesrat im Wissen um solche Tatbestände sagt, er nehme dazu Stellung, wenn der Schlussbericht vorliege. Wenn Zwischenberichte zugelassen werden, dann hat der Bundesrat auch bezüglich dieser Zwischenberichte Verantwortung zu übernehmen.»

Antwort von Bundesrat Cotti (Auszüge)

Je comprends très bien que vous puissiez avoir des dissensions par rapport à certaines conclusions de la commission Bergier. Le Conseil fédéral a toujours dit que la commission Bergier ne doit pas être interprétée comme une espèce d'évangile de la nouvelle époque et que ses résultats ne sont pas le dogme biblique auquel il faut s'attacher. La commission Bergier fournit des travaux et vous avez toutes les Suissesses et tous les Suisses ont le droit de critiquer ses travaux. N'oublions pas que l'histoire absolue n'est jamais donnée, et n'oublions pas non plus - permettez-moi de le dire - que le Parlement, d'ailleurs de pleine entente avec le Conseil fédéral, a laissé à la commission Bergier toute l'indépendance nécessaire. Il serait en effet inimaginable, je dois vous le dire, que le Conseil fédéral essaie d'influencer la commission Bergier par quelque voie que ce soit, même en allant dire quels personnages elle doit écouter et lesquels elle ne doit pas écouter.

Il y a quelques divergences concernant l'application de l'arrêté fédéral que vous avez voulu. Par exemple une divergence est apparue, Monsieur Schlüer, lors de la rencontre de Washington parce que les représentants de la Task Force croyaient que la commission Bergier était obligée de présenter le court rapport de trois pages au Conseil fédéral avant de le présenter là-bas. La commission Bergier est de l'opinion qu'il ne s'agit pas là d'un rapport, mais simplement de quelques indications factuelles qui ne reposent pas sur ses études. Elle s'engage donc, elle l'a dit, à présenter ses rapports le moment venu.

Je tiens à vous dire que le Conseil fédéral ne partage pas cet avis. Nous aurons, le 13 mars 1999, si je ne me trompe pas, une réunion avec la commission Bergier pour essayer d'éclaircir ces éléments. Peut-être encore un mot pour éclaircir la situation en fonction des différentes réponses que le Conseil fédéral a données dans ces secteurs. Je me permets de citer en particulier la réponse du Conseil fédéral à l'interpellation Stamm Luzi: "In einer demokratischen, offenen Gesellschaft ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte auch eine Bewertung der damals geltenden Wertmassstäbe."

Das hat der Bundesrat gesagt, und ich bleibe dabei, Herr Schlüer. Das bedeutet natürlich selbstverständlich, dass bezüglich dieser Bewertungen ganz verschiedene Meinungen herrschen werden. Die grosse Bedeutung der Arbeit der Kommission ist, dass hier innerhalb des ganzen Landes eine breite Diskussion entsteht, und Sie tragen dazu bei, diese Diskussion weiterzuführen. Im Moment, wo die Schlussresultate der Kommission Bergier vorliegen werden, werden Sie noch mehr dazu beitragen.



Interpellation vom 6. Oktober 1998
Die Tätigkeit der Kommission Bergier

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch