So lügen sie

Personenfreizügigkeit und Weltwirtschaftskrise
Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 6. Februar 2009

Osteuropa: Da gehe – posaunen derzeit alle Marktschreier der Economiesuisse in unser Land – «wahrhaft die Post ab», seit die dortigen Länder Anschluss an die Europäische Union gefunden hätten. Dort seien die Wachstumsmärkte Europas. Wer dort nicht dabei sei, verpasse hoffnungslos die Zukunft. Wer sich dort, wo markante Wachstumsraten auf Jahre hinaus gesichert seien, nicht engagiere, gehöre wahrhaft in die Kategorie der ewigen Verlierer. So predigen sie unermüdlich im Abstimmungskampf zur Personenfreizügigkeit. So hämmern sie es in die Köpfe der Stimmbürger ein mittels Inserat- und Plakat-Kampagnen, für die sie zweistellige Millionenbeträge locker machen.

Wer Wachstum wolle, müsse sich nach Osteuropa öffnen. Die Personenfreizügigkeit sei der wohlfeile, von der Schweiz leicht aufzubringende Preis für vollen Anschluss an jenen Wachstumsmotor, der von Osteuropa her ganz Europa mitziehe. Allein das vorbehaltlose Mitmachen mit dieser Wachstumsmaschine sichere uns jene Einnahmen, die wir benötigten, um unsere teuren Sozialapparate in die Zukunft zu retten.

So haben wir es vernommen in den letzten Wochen. Landauf, landab. Tagein, tagaus. Verbreitet von den Propagandisten der Economiesuisse. Nur mittels Zustimmung zur Personenfreizügigkeit auch gegenüber Rumänien und Bulgarien sei unser Zugang zum Ost-Schlaraffenland auch für die Zukunft gesichert.

Korruption und Kriminalität in jenen beiden Ländern seien vernachlässigbar angesichts der Milch- und Honigströme, die aus dem Osten in die Münder aller Schweizerinnen und Schweizer fliessen werden. Man brauche nur Ja zu sagen zur Öffnung der Grenzen auch für Bulgaren und Rumänen...

Und das ist die Wahrheit

Ein paar Tatsachen blenden sie aus, die Verführungskünstler der Economiesuisse. Zum Beispiel, dass die Aufträge, die aus Osteuropa bei uns eingingen, nur bezahlt werden konnten dank der aus Westeuropa – die «Schweizer Ostmilliarde» lässt grüssen – zuvor in Milliardenhöhe in den Osten gelenkten «Kohäsionszahlungen», wie sie im Rahmen der EU vereinbart worden sind. Dass Osteuropa den über ihm niedergehenden Goldregen sogleich als ewigen Goldregen einstufte, mit dem man sich unbeschränkt die schönsten Dinge auf dem Wunschzettel leisten könne, z.B. Sozialwerke in einer Komfortstufe, die menschlichem Verstand eigentlich als unbezahlbar erscheinen würde. Über solche Dinge schwiegen die «Wirtschaftsexperten» der Economiesuisse beharrlich. Wie sie auch verschwiegen, dass sich die EU-Ostländer, statt profitorientiert zu produzieren, trotz der aus Brüssel eintreffenden Milliardengeschenke schlechterdings masslos verschuldeten – im Vertrauen auf ewigen Goldregen aus Brüssel. Und weiter blendeten die Marktschreier der Economiesuisse aus, dass Einkünfte, die man sich in Osteuropa für die Zukunft erhoffte, in überbordendem Konsumrausch bereits verbraucht wurden, bevor die erste Leistung auch nur angepackt wurde. Das braucht das Schweizer Publikum nicht zu wissen, entschieden die Chefideologen der Economiesuisse, vom EU-Goldregen scheinbar nicht minder besoffen wie dessen Profiteure im Osten.

Jetzt aber ist das Desaster Tatsache. Mehrere Oststaaten – auch Rumänien! – stehen am Rande des Staatsbankrotts. Für einmal ist es der Tages-Anzeiger, der das von Economiesuisse zwecks Einlullung zögernder Schweizer verbreitete Trugbild über die Wirtschaftslage in Osteuropa entlarvte. Am 31. Januar verbreitete der Tages-Anzeiger den folgenden ungeschminkten Bericht über den tatsächlichen Zustand der Wirtschaft im europäischen Osten:

«Tatsächlich erleben die EU-Staaten in Ost- und Mitteleuropa zum ersten Mal seit Einführung der Marktwirtschaft einen massiven Konjunktureinbruch. Die Krise trifft diese Länder besonders hart, weil ihre Volkswirtschaften zum einen sehr stark auf ausländische Investitionen angewiesen, zum anderen vornehmlich auf den Export ausgerichtet sind. Ausgerechnet jetzt, in der schlimmsten Finanzkrise seit 1930, müssen diese Länder aber schmerzlich feststellen, dass sie jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt haben. Ausgerechnet in dem Moment, in welchem ihre Währungen einbrechen, steigen die Zinsen für neue Kredite, die Einnahmen brechen ein und die Verschuldung wächst. Am schlimmsten traf es Ungarn, wo sich Defizite in der Leistungsbilanz und im Staatsbudget mit geringen Währungsreserven und einer starken privaten und öffentlichen Verschuldung kumulierten. Das Land musste internationale Hilfe von zwanzig Milliarden Euro in Anspruch nehmen, um den drohenden Bankrott abzuwenden. … Die Politiker (haben) ihren Wählern Wunder versprochen und die öffentlichen Ausgaben mit unbezahlbaren Renten, Kinder- und Mutterschaftsgeldern massiv belastet.»

Soweit der Zustandsbericht aus dem Tages Anzeiger. Sicher: Auch Schweizer Firmen konnten sich an den nach Osteuropa geflossenen Subventionsmilliarden laben. Jetzt aber, wo diese Märkte unter der aufgehäuften Schuldenlast regelrecht zusammenbrechen, will man mit Lügenpropaganda die Schweizer zur Grenzöffnung gegenüber Rumänen und Bulgaren verführen. Als Kniefall vor Brüssel.

Grenzöffnung heisst in Zeiten der Weltwirtschaftskrise: Die hier in langen Jahren unter Opfern aufgebauten Sozialwerke werden all jenen zugänglich gemacht, deren Volkswirtschaften im Schuldensumpf Osteuropas versinken. Zusätzlich jetzt auch noch den Rumänen und Bulgaren. Dazu will Economiesuisse die Schweizerinnen und Schweizer verführen. Mit einer Propaganda-Lawine, die meilenweit von Tatsachen und Wahrheit entfernt ist.

Schweizervolk! Hüte dich vor der Lügenpropaganda der Economiesuisse.

Ulrich Schlüer


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