Bilateral


Kuschen vor Brüssel

Frontseiten-Kommentar für die "Spalte rechts" in der "Schweizerzeit" vom 27. August 2010

Was sind eigentlich bilaterale Verhandlungen? Das sind Verhandlungen zweier (oder mehrerer) Staaten, zweier Staatengruppen, zweier Vereinigungen oder Parteien, bei der alle Verhandlungsteilnehmer auf gleicher Höhe stehen. Verhandelt die Schweiz mit der EU bilateral, muss die EU mit der Schweiz so verkehren wie mit den USA. Oder mit Japan. Oder mit China. Die Schweiz ist dann gleichberechtigter Gegenüber auf gleicher Höhe. Dies kann für die EU unangenehm, zuweilen auch kompliziert sein. Die EU zieht Mitglieder, die überstimmt werden können, vor. Für die Schweiz aber sind bilaterale Verhandlungen ein Vorteil: Sie kann nicht überstimmt werden. Ihr eigener Entscheidungsprozess inklusive Referendum bleibt gewahrt.

Die Schweiz, hören wir von der Bundespräsidentin nach der bundesrätlichen Europa-Klausur, wolle am bilateralen Verhandlungsprozess mit der EU «grundsätzlich festhalten». Allerdings seien, weil die EU «gewissen Überdruss» an weiteren bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz zeige, «gewisse Anpassungen» notwendig. Meinte die Bundespräsidentin.

Der Bundesrat hat auch schon Vorstellungen über die «Dynamisierung des Bilateralismus»: Die EU, lässt uns der Bundesrat wissen, sei bereit, Schweizer Funktionäre künftig schon an der Aushandlung neuer gesetzlicher EU-Verordnungen mitberaten und auch mitentscheiden zu lassen. Brüssel lasse uns Schweizer, wenn eine EU-Richtlinie als für die ganze EU verbindlich beschlossen werde, aber durchaus noch nach unseren Regeln über das konkrete Mitmachen entscheiden, gegebenenfalls auch abstimmen.

Allerdings: Würde sich die Schweiz nach Teilnahme am EU-Beratungsprozess einem EU-Entscheid verschliessen, dann hätte die EU das Recht, «Sanktionen zu erlassen» gegen die Schweiz. Eine wahrhaft herrlich «freie Entscheidung», die der Bundesrat uns da mundgerecht machen will. Da wird jede Abstimmung zur puren Erpressung: Entweder seid Ihr Bürger Brüssel gefügig – oder Brüssel nimmt sein «Recht» wahr, die renitente Schweiz mit Sanktionen «in den Senkel zu stellen».
Laut Verfassung wäre der Bundesrat verpflichtet (er leistet darauf bei Amtsantritt sogar einen Eid), Unabhängigkeit und Freiheit der Schweiz, der Schweizerinnen und Schweizer mit allem möglichen Einsatz zu wahren. Mit diesem «neuen Bilateralismus» tut er genau das Gegenteil. So verfassungstreu ist unsere Landesregierung.

Ulrich Schlüer


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