Demokratie-Zerstörer


Bundesrat nimmt das Unterlaufen des Minarettverbots tatenlos hin

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 8. Oktober 2010

Am 29. November 2009 haben 1'534’054 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger dem Minarettverbot zugestimmt. Nie zuvor in der Schweizer Geschichte hat eine Initiative so viele Ja-Stimmen erzielt.

Der Bundesrat setzte damals das Verbot sofort in Kraft. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf führte dazu wörtlich aus:

«Was noch nicht definitiv bewilligt ist bzw. nicht rechtskräftig bewilligt ist, ist nach unserer Auslegung nicht mehr möglich. Wir gehen davon aus, dass das, was noch in einem Beschwerdeverfahren drin ist, unter dieses Verbot fällt». Die Schweiz hat ihrer Justizministerin geglaubt.

Kanton Bern legt sich quer

Trotzdem hat der Kanton Bern vor wenigen Tagen ein Minarett in Langenthal bewilligt. Die eklatante Umgehung der Bundesverfassung begründete Berns Regierung damit, dass das Baugesuch vor Beschluss des Minarettverbots durch Volk und Stände eingereicht worden sei. Der Minarettverbots-Artikel in der Bundesverfassung könne deshalb auf das Langenthaler Gesuch nicht angewendet werden – ein unhaltbares Argument, wussten doch die Bauherren, als sie ihr Gesuch einreichten, genau Bescheid über die damals bereits eingereichte Initiative. Mit einem Minarettverbot per Volksentscheid musste zumindest gerechnet werden.

Die Berner Argumentation ist überhaupt lächerlich. Wer sie ernstnimmt, würde äusserst skurriler Rechtsanwendung das Wort reden. Man könnte damit beispielsweise ein per Volksentscheid möglicherweise drohendes Offroader-Verbot glatt umgehen, indem Tausende noch vor der Abstimmung per Kaufvertrag mit Termin irgendwann ihren nächsten Offroader bestellen und bei allfälligem an der Urne beschlossenem Verbot auf den vor dem Datum der Volksabstimmung abgeschlossenen, gültigen Kaufvertrag verweisen. Und notorische Schnellfahrer auf unseren Strassen könnten, würden sie bei der Übertretung irgendwann einmal eingeführter Hochgeschwindigkeits-Normen (120 auf Autobahnen, 80 ausserorts, 50 innerorts) erwischt, gegebenenfalls auf ihr Fahrprüfungs-Datum im Führerausweis verweisen und einwenden, sie hätten ihre Fahrprüfung vor Einführung besagter Normen «rechtsgültig abgelegt», womit diese Normen auf sie nicht angewendet werden dürften…

Wirkung

Schon als die Minarettverbots-Initiative eingereicht wurde, haben die Initianten von rückwirkender Anwendung ausdrücklich Abstand genommen. Der Abriss der vier vor dem 29. November 2009 gebauten Minarette wurde nie verlangt. Andererseits nimmt das Komitee den Bundesrat beim Wort: Das Minarettverbot gilt seit dem 29. November 2009 uneingeschränkt – auch bezüglich damals hängiger Baugesuche.

Wortbruch

Noch-Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf – als EJPD-Vorsteherin zusammen mit den Gesamtbundesrat für die konsequente Umsetzung jedes Volksentscheids verantwortlich – will nicht mehr zu ihrem Standpunkt vom Abstimmungstag stehen. Im Nationalrat versuchte sie sich am 27. September 2010 mit folgender Aussage aus ihrem Versprechen herauszuwinden:

«Ich habe gesagt, dass ich nach einer ersten Auslegung davon ausgehen würde, dass hängige Beschwerdeverfahren dann nach dem neuen Recht entschieden würden. Aber ich habe das wohlwissend der Tatsache gesagt, dass Gerichte gelegentlich etwas anderes entscheiden, als was sich politisch Verantwortliche vorstellen. Und das war in diesem Fall offensichtlich auch so. Ich sage Ihnen: Ich warte jetzt dieses Verfahren ab. Es ist ein Rechtsverfahren mit der ganzen Rechtswegmöglichkeit. Wenn Sie die Diskussion etwas verfolgt haben, sehen Sie, dass auch unter Rechtsgelehrten, unter Professoren, die Meinungen auseinandergehen. Also wir werden sehen, was das Gericht am Schluss entscheidet. Das Gericht ist massgebend und nicht meine persönliche Meinung. (Zwischenruf Schlüer: „Das Volk ist massgebend!“) Ja, das Volk ist selbstverständlich massgebend. Herr Schlüer, ich wäre froh, wenn Sie dem Volk vor der Abstimmung gesagt hätten, wie das dann in einem solchen Verfahren auszulegen sei; ich habe dazu, wie es mit hängigen Verfahren geht, vor der Abstimmung nirgends eine Äusserung von Ihnen gesehen. Also wir werden das sehen; das Bundesgericht wird letztendlich entscheiden.»

Dieser Versuch einer Ausflucht ist doppelt falsch: Erstens ist der Regierungsrat des Kantons Bern kein Gericht. Er ist eine ausführende politische Behörde, die sich niemals über einen Entscheid des gesamten Schweizer Souveräns hinwegsetzen kann.
Zweitens schliesst die Bundesverfassung ausdrücklich aus, dass ein Gericht einen Volksentscheid annullieren oder korrigieren kann. Parlament, Volk und Stände haben anlässlich der Nachführung der Bundesverfassung vor zehn Jahren ausdrücklich auf die Schaffung eines Verfassungsgerichts verzichtet. Mit andern Worten: Ein Entscheid des Souveräns ist endgültig und unanfechtbar. Korrigieren kann ihn höchstens der Souverän selbst in einer neuen Volksabstimmung. Wenn Frau Widmer-Schlumpf, Mitglied des Bundesrats (der gemäss Bundesverfassung den Willen des Volkes umzusetzen und zu vollziehen hat), den Volksentscheid zum Minarettverbot einer gerichtlichen Beurteilung unterstellen will, dann bricht sie, die oberste Wächterin über das Recht in unserem Staat, die Bundesverfassung.

Reine Machtfrage

Inzwischen hat sich auch der Anwalt jenes Muslim-Vereins, der das Minarett in Langenthal bauen will, zum Wort gemeldet. Positionsbezug und Stellungnahme dieses Anwalts werden in der «Weltwoche» vom 30. September 2010 wie folgt zitiert:

«Daniel Kettiger, der Anwalt der Langenthaler Muslimgemeinschaft, sagt, es sei „völlig klar“, dass das „minarettähnliche Türmchen“ – so die neue Sprachregelung – gebaut werde. Freiwillig verzichten komme nicht in Frage. „Wer recht hat, muss in der Öffentlichkeit nicht gut ankommen. Auf seinem Recht zu beharren, ist immer legitim“».

Mit Religion, mit religiösem Glauben hat solcher Standpunkt rein gar nichts zu tun. Er bringt vor allem einen unverblümten Machtanspruch zum Ausdruck. Eine Machtallüre, die einer kategorischen Absage an jegliche Integrationsbereitschaft gleichkommt. Gefordert wird, hier in der Schweiz eine parallele Gesellschaftsordnung ausserhalb der Bundesverfassung errichten zu wollen, also eine Institution eigenen Rechts durchzusetzen.

Konfrontation statt Integration! Die Berner Regierung begünstigt diesen Konfrontations-Kurs – und Noch-Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf glaubt sich davor ducken zu müssen.

Ulrich Schlüer


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