Die neue Breschnew-Doktrin


Direkte Demokratie im Visier

Frontseiten-Kommentar für die "Spalte rechts" in der "Schweizerzeit" vom 22. Oktober 2010

Im Landhaus zu Solothurn fand kürzlich eine Konferenz statt. Wortführer waren Giusep Nay, Georg Kreis, Andi Gross. Eine Volksinitiative zur Entmachtung des Volkes, zur Knebelung der direkten Demokratie sollte aus der Taufe gehoben werden. Auf dass Minarettverbot, lebenslange Verwahrung brutaler Sexual-Straftäter, Ausschaffung krimineller Ausländer nie mehr per Volksinitiative verlangt werden können.

Ein kleines Häufchen lauschte eher lustlos der elitären Schmähung der direkten Demokratie als einer gemeinem Volk gewährten Gunst, das heute glaube, sich durch das Sammeln von 100'000 Unterschriften den Segnungen des Völkerrechts entziehen zu können.

Weil dieses schüttere Grüppchen zu vergleichbarer Sammelleistung gewiss nicht fähig ist, verbreitete sich Resignation. Doch Trost wusste Andi Gross, seinerzeit als mediengehätschelter Armee-Abschaffer in die Politarena gehievt, heute der skrupelloseste Spesenabzocker unter der Bundeskuppel. Ihm sei, verriet er, Direktzugang ins federführende Justiz-Departement zugesichert. Als Sprecher einer weitsichtigeren Welt, liege ihm die Verwaltung zu Füssen, sich lieber an Brüssel statt am Schweizervolk, am Völkerrecht der Funktionäre als am vom Volk gestalteten Schweizer Recht orientierend. Zumal die vom Funktionärs-Totalitarismus so faszinierte Solothurner Elite inzwischen auch die Schweizer Geschichte auf ihrer Seite zu glauben weiss. Der Tell, schwadronieren die Völkerrechts-Experten, sei, übertragen auf die heutige Welt, eigentlich bloss ein gewalttätiger Terrorist gewesen. So? Nur: Wenn Tell gewissenloser Rechtsbrecher gewesen sein soll, wer war denn zu seiner Zeit der Repräsentant des Rechts? Gessler? War die Grusspflicht für Gesslers Hut, die brutale Blendung des alten Melchthal, das Zutode-Reiten einer unschuldigen Frau mit hungernden Kindern damals gleichsam Völkerrecht?

Danke für diese Aufklärung! Sie lässt den Hass der Herren Gross, Kreis, Nay und Konsorten auf die Demokratie besser einordnen: Eine neue Breschnew-Doktrin soll uns aufgeschwatzt werden. So wie Kreml-Herr Breschnew in der kommunistischen Diktatur den gewaltsam unterdrückten sozialistischen «Bruderstaaten» nur «beschränkte Souveränität» zugestand, weil alle verbindlichen Regeln von Moskau ausgingen, will die demokratie-ferne Landhaus-Elite Brüssel das alleinige Vorrecht zur Rechtssetzung zuschanzen: Funktionärs-Recht statt vom Schweizervolk per Mehrheitsentscheid in demokratischer Ausmachung geschaffenes eigenständiges Recht.

Die elitäre Aufklärung ist wertvoll. Sie erinnert daran, dass sozusagen jede Diktatur, jede Unterdrückung aus derart selbstgefälligem, selbstherrlichem elitärem Dünkel entstanden ist.

Ulrich Schlüer


(C) 2010 - 2017: Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken