Die Werte-Monopolisten


Der Club Helvétique und die Direkte Demokratie

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 8. Januar 2010

Wer den Staat mitgestalten wolle, müsse beweisen, dass er jenen unveräusserlichen Werten unerschütterlich verpflichtet sei, welche aller Menschenwürde zugrunde lägen, welche menschliches Dasein in menschlicher Umwelt überhaupt erst ermöglichten. Die Schweiz aber sei unter dem Diktat jenes gemeinen Pöbels, der das Ja zum Minarettverbot an der Urne durchgesetzt habe, ihrer «Wertebasis» beraubt worden; sie sei seit dieser Abstimmung jenen Minderwertigen ausgeliefert, welche sich der Bewirtschaftung diffuser Ängste verschrieben hätten – angetrieben einzig und allein von ihrer Gier nach Macht.

So lamentieren Exponenten der Classe politique, seit sich der Souverän die Freiheit herausgenommen hat, in einer wichtigen Volksabstimmung anders zu entscheiden, als das die Classe politique wollte.

Zurechtgestutzte Wertebasis
Mit solchen «Argumenten» alle Ja-Sager verurteilend, reagiert auch einer, der sich fest verankert wähnt in einer unveräusserlichen «Wertebasis»: Daniel Binswanger, verantwortlich fürs «Magazin» des Tages Anzeigers. Dort hat er am 5. Dezember 2009 mit gewählten Worten das Ja des Volkes zum Minarettverbot beklagt. Beklagt als Zeichen des «Verlusts der Wertebasis» in der ganzen Schweiz.

Vierzehn Tage später, am 19. Dezember stellte derselbe Daniel Binswanger seine tiefe Verankerung in festgefügter, von Weltoffenheit geprägter Wertebasis erneut unter Beweis: Die SVP, behauptete er im Editorial mit diesem Datum, habe jetzt den «Freipass zum Genozid» losgetreten. Er unterstellt also der SVP, sämtliche künftigen Völkermord bejahenden Schleusen weit aufgestossen zu haben. Eine wahrhaft ungeheuerliche, eine nach den Millionen Opfer fordernden Völkermorden des letzten Jahrhunderts jede Dimension sprengende Beschuldigung. Er leitet sie ab aus einer von ihm, Binswanger, gekonnt zurechtgestutzten angeblichen Aussage, die er kurzerhand dem SVP-Präsidenten Toni Brunner in den Mund legt. Eine Aussage des Inhalts, als würde Toni Brunner selbst einem der schlimmsten Verbrechen freie Bahn schaffen, wenn dessen Entfesselung bloss per Direkter Demokratie beschlossen worden wäre…

In Tat und Wahrheit hat Toni Brunner allerdings bloss festgestellt, dass es in der Direkten Demokratie, seit es diese in der Schweiz gibt, noch nie zu irgend einem menschenverachtenden, irgend welche elementaren Rechte von Menschen verletzenden Entscheid gekommen sei. Dass die Direkte Demokratie Extremismus, verbrecherisches Handeln wie keine andere Staatsform verhindert, ja überhaupt nie in Erwägung gezogen habe.

Die Todesstrafe zum Beispiel: Sie hatte in der Direkten Demokratie nie eine Chance. Andere Länder, nachdem sie sich elitären Regierungsformen verschrieben hatten, haben die Todesstrafe schon eingeführt – und zeitweise auch skrupellos, kaum mehr menschlichen Werten verpflichtet praktiziert. Die Direkte Demokratie hat die Schweiz niemals zu ähnlicher Abirrung von menschlichen Werten getrieben. Die Unterstellung des Daniel Binswanger und anderer trifft völlig ins Leere.

Manipulierte Wahrheit – manipulierte Wertebasis
Interessant aber: Daniel Binswanger musste, damit er Toni Brunner seinen ungeheuerlichen Genozid-Vorwurf unterstellen konnte, dessen Aussage erheblich, ja geradezu diabolisch zurechtbiegen, bis sie ihm für seine unqualifizierbare Attacke dienstbar wurde.

Man darf daraus schliessen: Die Verpflichtung zur Wahrheit ist nicht Teil jener Wertebasis, der sich Binswanger als Exponent der Classe politique verpflichtet fühlt. Die Disqualifizierung eines ungeliebten Gegners gestattet, so darf man aus Binswangers Vorgehen herauslesen, jede noch so böswillige Manipulation einer Aussage. Wahrheit ist manipulierbar – und manipulierte Wahrheit scheint bestens in Daniel Binswangers Wertebasis zu passen…

Der grosse Meister
Daniel Binswanger ist freilich kein Einzelgänger im zweckdienlichen Zurechtbiegen der Wahrheit. Ja, neben dem «führenden Kopf» des den ewigen Werten verpflichteten Club Helvétique, Georg Kreis, erscheint Daniel Binswanger geradezu als Stümper.

Auf Georg Kreis geht die im Nachgang zum Minarettverbot-Ja aufgestellte Behauptung zurück, die SVP hätte, wenn sie zur Zeit des Nationalsozialismus eine Volksinitiative gegen die «Verjudung der Schweiz» gestartet hätte, beim jeder Primitivität, jeder Unmenschlichkeit zugänglichen Schweizervolk sicher leichtes Spiel gehabt…

So urteilte und diffamierte der selbsternannte Antirassismus-Papst – eine ihm vom Bundesrat übertragene Funktion – in aller Öffentlichkeit. Indessen: Dass er der SVP solche Absicht je unterschoben habe, beeilte er sich wenig später – höchst nervös geworden ob der auf ihn niederprasselnden Kritik – als «reinen Zufall» wegzuschwatzen, der gar nichts mit der SVP zu tun habe. Ihr Name sei nur zufällig gefallen, es sei nie um die SVP, nur allgemein um «die Wirkung von Initiativen» gegangen. Um deren Wirkung auf ein Volk, das – wie es Kreis offenbar einschätzt – auf jede Boshaftigkeit, selbst auf verbrecherische Ansinnen plump hereinfalle, käme es bloss «irgend jemandem», nach Kreisens Worten «zufälligerweise» der SVP, in den Sinn, zu entsprechend Widerlichem anzustiften…

Zunächst: Wir gehen, würde Kreisens verdrehte Theorie über die Autorschaft von Aktionen und Aussagen von andern übernommen, wahrlich lustigen Zeiten entgegen. Man kann dann fortan den Namen Kreis mit jeder Verrücktheit, mit jeder Gemeinheit, mit jeder noch so widerwärtigen Machenschaft in Verbindung bringen. Man muss bloss zufügen, der Name «Kreis» sei einem bloss ganz zufällig in den Sinn gekommen, er habe mit der mutmassten Unterstellung im Prinzip nichts zu tun, man hätte statt Kreisens Namen jeden anderen auch nennen können, es ginge schliesslich «allein um die Wirkung von Vorstössen und Sachverhalten», nie um deren Autorschaft. Man darf gespannt sein, wie Kreis reagiert, wenn diese faulste aller faulen Ausreden einmal seine Person in den Mittelpunkt rücken würde…

Geschichtliche Wahrheit
Noch ungeheuerlicher aber ist die Unterstellung, in der Direkten Demokratie sei das Volk selbst zu verbrecherischen, selbst zu menschenverachtendsten, zu allerübelsten Entscheiden verführbar. Der Historiker Kreis, Wortführer der Besserwisser und Schweiz-Anschwärzer der Bergier-Kommission, möge sich doch folgender geschichtlicher Tatsache erinnern: Als zunächst Deutschland, dann auch andere Länder in unserer Nähe vom Strudel des totalitären Nationalsozialismus erfasst und fortgerissen wurden, gab es zwar auch hierzulande Kräfte, die unser Land ins braune Fahrwasser zu steuern versuchten. In der Direkten Demokratie errangen diese Kräfte zum Zeitpunkt ihrer grössten Kräfteentfaltung nur gerade einen einzigen Sitz während einer Legislaturperiode im schweizerischen Parlament. Sonst gar nichts!

Aber die Freiheit – sowohl die Freiheit des Landes als auch die Freiheit der hier lebenden Bürger – haben unsere Schweizer Vorfahren mit ihrer Direkten Demokratie auch in gefahrdrohendster Zeit hochgehalten. Auch dann, als die Schweiz vollständig vom braunen Totalitarismus des Adolf Hitler eingekesselt war.

Und da kommt eine Historiker, ein vom Bund reichlich besoldeter Bergierbericht-Architekt und Rassismus-Papst daher und unterstellt diesem Volk, mit seiner Direkten Demokratie anfällig zu sein für alle denkbaren verbrecherischen Verlockungen…

Wahrlich: Sollten Exponenten mit solcher «Wertebasis» je in die Lage geraten, unsere Direkte Demokratie zu unterminieren, zu zersetzen, zu zerstören – dann gute Nacht freie Schweiz!

Dr. Ulrich Schlüer, Nationalrat


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