Dienen – oder Sich-Hochdienen?


Bundesrat steht nicht mehr zur Unabhängigkeit

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 19. Februar 2010

Symptome

Hat er dem Attacken auf das Schweizer Bankkundengeheimnis ankündigenden Ausland eben noch prophezeit, dass sich jeder Angreifer daran seine Zähne ausbeissen werde, so hätte er, Bundesrat Hans-Rudolf Merz, jämmerlicher kaum einbrechen können, als der erste Angriff nur erst absehbar wurde...

Hatten sie eben noch auf die Volkssouveränität in unserem Land geschworen, so hätten sie, die Bundesrätinnen Calmy-Rey und Widmer-Schlumpf, sich ehrloser und kläglicher vor EU und arabischen Staaten nicht rechtfertigen und entschuldigen können, als unser Souverän das Minarettverbot entgegen bundesrätlichem Willen zum Beschluss erhoben hatte...

Hat man dem Schweizervolk den Schengen- und den Dublin-Vertrag nicht eben erst noch mundgerecht gemacht mit der damit möglichen formlosen Überstellung von Asylsuchenden, die, bevor sie in die Schweiz kamen, bereits in einem EU-Land Aufenthalt genommen hatten? Und jetzt unterzieht sich unsere Justizministerin widerspruchslos und anpasserisch einem Richterspruch, der diese formell versprochene rasche Rückschaffung schlicht unterläuft – eindeutig zu Lasten der Schweiz…

Hat man der Schweiz nicht erst vor wenigen Monaten «spürbar mehr Sicherheit dank rigoroser Kontrolle der EU-Aussengrenze» im Rahmen von Schengen versprochen? Doch tatenlos-devot nimmt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf das – von Brüssel ausdrücklich eingestandene – völlige Versagen der EU-Aussenkontrolle längs der Mittelmeer-Grenze des Schengenraumes hin. Ja von sich aus verbietet sie der Grenzkontrolle im Flughafen Zürich-Kloten jegliche Überprüfung von Passagieren aus Griechenland – obwohl die Polizei zum längst von niemandem mehr kontrollierten Einfallstor Athen für Kriminelle aus aller Herren Länder bereits ein Lied mit unendlich vielen Strophen singen kann…

Gefallsucht

Sich für die Schweiz und deren Interessen – obwohl im Bundesrats-Eid bzw. -Gelübde feierlich versprochen – wirklich noch einzusetzen, das fällt schweizerischen Bundesräten offensichtlich von Jahr zu Jahr schwerer. Die Interessen, die Bundesbern vertritt, sind zunehmend die Interessen anderer.

Was sich in der Schweiz gegenwärtig abspielt, ist eine tiefgehende Verfassungskrise. Unsere Bundesverfassung garantiert den stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürgern ausdrücklich die Volkssouveränität, also das letzte, die Regierung bindende Wort in allen wichtigen Entscheidungen – eine in Europa einmalige Errungenschaft. Das Volk, das ist spätestens seit 1992 klar, hat sich im Rahmen dieser ihm garantierten Souveränität klar gegen jede EU-Mitgliedschaft der Schweiz ausgesprochen. Der Bundesrat und mit ihm die Verwaltung und die Parlamentsmehrheit sehen dennoch im EU-Beitritt nach wie vor ihr politisches Ziel. Sie tun keinen Schritt, ohne akribisch zu prüfen, ob dieser Schritt sie ihrem Fernziel EU-Beitritt näher bringt. Ist das nicht der Fall, unterlassen sie den Schritt – selbst wenn er vom souveränen Volk verlangt wird. Solch bundesrätlicher Verzichtpolitik verdanken wir die kopflose Preisgabe des Bankkundengeheimnisses. Und den Zusammenbruch der Dublin-Versprechungen. Auch den Verrat an den verbrieften Schengen-Zielen.

Unterordnung statt Selbstbestimmung

Trotz all ihrer abgegebenen Versprechen sind die Bundesräte mehrheitlich nicht mehr bereit, dem Volk zu dienen. Mit ihrem Tun und vor allem ihrem Lassen wollen sie sich vielmehr in der EU hochdienen.

Regierung, Verwaltung und Parlamentsmehrheit, die in die EU streben: Das ist die eine Seite. Das Volk, dem in der Bundesverfassung die Volkssouveränität, also das letzte Wort in allen wichtigen Entscheidungen garantiert ist, will um keinen Preis in die EU gedrängt werden – das ist der tiefe Gegensatz, der unser Land in eine eigentliche Zerreissprobe stürzt.

Klar dabei ist: Will das Volk seine Souveränität behalten, muss es darum kämpfen. Auf Bundesrat, Verwaltung und Parlamentsmehrheit ist kein Verlass mehr. Die wollen die Schweiz Brüssel unterstellen, verraten gar existentielle Interessen, weil sie glauben, eine geschwächte Schweiz lasse sich eher nach Brüssel drängen als eine selbstbewusste Schweiz.

Es gibt ein Mittel zur Behauptung der in der Verfassung garantierten Volkssouveränität: Die Volkswahl des Bundesrates, damit die Regierung endlich unmittelbar dem Volk verpflichtet wird – nicht länger der hinter verschlossenen Türen ihre Winkelzüge planenden und absprechenden, notorisch nach Brüssel schielenden Classe politique.

Ulrich Schlüer


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