«Harmonie»


Polemische Angriffe auf den Schweizer Nachrichtendienst

Frontseiten-Kommentar für die "Spalte rechts" in der "Schweizerzeit" vom 25. Juni 2010

Dass die Regierung eines Landes, das Opfer einer Geiselnahme wird, auch militärische Möglichkeiten zu deren Beendigung prüft, ist Pflicht dieser Regierung. Sie müsste allerdings auch eine Vorstellung haben, wie sie mit den Ergebnissen solcher Prüfung umgehen will.

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat als erste auf solch militärische Abklärungen hingewiesen. Sie spricht dabei immer von «planification». Die Diplomatie sei davon nie beeinträchtigt worden.

Dann kündigt die Bundespräsidentin aus heiterem Himmel eine bundesrätliche Erklärung an. Inhalt: Die militärische Option der Schweiz zur Geiselbefreiung in Libyen.

Die Erklärung – ausdrücklich «im Namen des Bundesrats» abgegeben – überrascht alle: Die Bundespräsidentin verspricht Aufklärung, «wer den Einsatzbefehl für Aktionen gegeben» habe und wer diesen Einsatzbefehl «später zurückgezogen» habe.

«Einsatzbefehl»? Das ist etwas völlig anderes als blosse «planification». Einen «Einsatzbefehl» für eine militärische Aktion gegen Libyen kann allein der Bundesrat – die gesamte Landesregierung ! – geben. Wird doch jede militärische Aktion vom damit Anvisierten – in diesem Fall Libyens gewaltbereitem Diktator Gaddafi – als «feindseliger Akt», als Kriegsakt gewertet. Selbst wenn der Einsatz von Erfolg gekrönt würde – der Getroffene, der irre, machtbesessene Gewaltherrscher Gaddafi würde massiv zurückschlagen. Er hielt sich für solches schon Terroristen!

Ist gegen diesen durch und durch unberechenbaren Gaddafi tatsächlich ein «Einsatzbefehl» ergangen, der später wieder zurückgezogen wurde? Diese Aussage, so ungeheuerlich sie war, liess den Bundesrat sofort zum Hühnerhof mutieren: Ungehemmtes Hickhack von Jedem gegen Jeden – in aller Öffentlichkeit. Die Kakophonie lässt brisante Fragen zurück: Wurden Parlament und Öffentlichkeit belogen, als das Aussenministerium bloss unverbindliche «planification» eingestand? Oder weiss die Bundespräsidentin nicht, was ein «Einsatzbefehl» ist? Spricht sie «im Namen des Bundesrats» von Dingen, deren Gewicht, Bedeutung und Konsequenz sie nicht im entferntesten versteht?

Dass der Bundesrat – seit Christoph Blocher «dessen Harmonie nicht mehr stört» – krisenuntauglich ist, wissen wir seit der UBS-Auseinandersetzung. Müssen wir überdies zur Kenntnis nehmen, dass wir von Kopflosen regiert werden?

Ulrich Schlüer


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