Lybiens Sticheleien gehen weiter


Dabei hat er sich doch so sehr auf seine Feier gefreut…

Kommentar für die Rubrik "Akzent" in der "Schweizerzeit" vom 28. Mai 2010

Unser ehemaliger Aussen- und Volkswirtschaftsminister Joseph Deiss muss wahrhaftig eine bittere Pille schlucken. Da gibt es doch Kräfte, die ihm die vermeintliche Krönung seiner politischen Laufbahn nach allen Regeln diplomatischer List und Tücke vergällen.

Abgesagt

Am Pfingstmontag, am 14. Mai 2010 hätte sie eigentlich stattfinden sollen, die würdige Feier mit dem danach anberaumten «rauschenden Fest»: Deissens Inthronisation als neuer, für ein Jahr amtierender Präsident der Uno-Generversammlung zu New York stand für diesen – für die Schweiz angeblich historischen – Tag auf der Traktantenliste der Uno-Weltorganisation. Das Übergabe-Ritual vom alten auf den neuen Präsidenten der Generalversammlung hätte stattfinden sollen. Und danach wäre jenes «rauschende Fest» Tatsache geworden, auf das sich alle, die Weltoffenheit in solchen Gremien mit unbändiger Lust zu demonstrieren lieben, zu Bern und zu New York seit Monaten schon freuen.

Aber es wurde nichts aus dem lustvollen Ereignis. Übergabezeremoniell und «rauschendes Fest» mussten abgesagt werden. Die vielen bei der Swiss vorgebuchten Plätze nach New York blieben leer. Das grosse Fest wurde dem Weltbürger Joseph Deiss vermasselt…

Was um alles in der Welt hat denn den so wohlgeplanten Fahrplan für New York so schnöde über den Haufen geworfen? Die geneigte Leserschaft ist eingeladen, dreimal zu raten. Richtig! Muammar al-Gaddafi hat die Hand im Spiel. Er ist es, der den festfreudigen Schweizer Internationalisten das rauschende Fest zu New York vermiest.

Präsidiale Ranküre

Und das kam so: Zur Amtsübergabe hätte der Vorgänger auf dem Präsidentenstuhl der Uno-Generalversammlung, der Libyer Ali Abdussalam Treki, zwingend zugegen sein sollen. Doch vor einigen Tagen liess Noch-Präsident Treki – demonstrativ nebenbei – eine kurze Bemerkung fallen, besagend, dass es ihm «leider vollkommen unmöglich sei», an diesem der Schweiz so wichtigen 14. Mai 2010 zu New York für die Amtsübergabe-Zeremonie verfügbar zu sein. Alles Erbleichen der festvorbereitenden Schweizer konnte ihn nicht umstimmen – mit trockener diplomatischer Allüre bekräftigte Treki seine Abwesenheit und legte als neuen Amtsübergabe-Termin – ausdrücklich ohne «rauschendes Fest» – den 11. Juni fest. Die Schweizer liess er, begossenen «Pudeln» gleich, in den Wandelhallen des Glaspalastes kurzerhand stehen.

Der 11. Juni 2010 – ein wahrhaft spezielles Datum: Es ist der Tag vor der – so zu Tripolis wenigstens ein einzigesmal ein Gesetz beachtet wird – Entlassung der Schweizer Geisel Max Göldi aus der willkürlichen, rechtswidrigen Geiselhaft, in welche ihn der libysche Wüstenherrscher Gaddafi genommen hat. Mag sein, dass Göldis Entlassung tatsächlich stattfinden wird. Es wäre Joseph Deiss, der dafür einen – für die Öffentlichkeit ohne Zweifel erträglichen, ihn selbst allerdings zutiefst schmerzenden – Preis zu bezahlen hätte.

Nicht bloss eine Nebenrolle

Dieser Ali Abdussalam Treki, im Moment noch amtierender Präsident der Uno-Generalversammlung, spielte übrigens nicht bloss eine Nebenrolle in all den so jämmerlichen Machenschaften rund um die Geiselnahme Max Göldis und die kläglichen Versuche unseres Aussenministeriums, Göldi der unberechenbaren Willkür des irren Wüstenherrschers endlich zu entreissen.

Schon im letzten Sommer, als Treki bereits gewählt war, sein Amt in New York aber noch nicht angetreten hatte, wurde vom Verfasser dieser Zeilen in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats der Antrag eingebracht, die Schweiz möge zu New York vorstellig werden mit der Forderung, Treki als Präsidenten der Uno-Generalversammlung unverzüglich zu suspendieren. Weil jemand, der zum engeren Klüngel eines die Menschenrechte mit Füssen tretenden Geiselnehmers an der Spitze eines Staates gehört, niemals Präsident der sich für Frieden und Recht in der Welt verantwortlich fühlenden Generalversammlung der Weltorganisation Uno sein könne. Treki müsse, so lautete der Antrag, so lange von seinem Präsidialamt suspendiert werden, als Libyen als Staat auf Geheiss seines Diktators die elementares Recht verletzende Geiselnahme Max Göldis aufrecht erhalte.

Calmy-Rey reagiert indigniert

Zu Bern löste der – im Verlauf der letzten zwölf Monate mehrfach erneuerte – Antrag grosse Betretenheit und «lebhaftes Duckmäusertum» aus. Es sei, wusste Madame Calmy-Rey zu belehren, «diplomatisch unüblich und unangemessen», solchen Zusammenhang zwischen libyschem Unrecht und ehrenvollem Amt bei der Uno in New York herzustellen. Die Schweiz – schon damals auf Trekis Sitz zugunsten von Jospeh Deiss schielend – zöge «konstruktives Schweigen» theatralischem Fordern vor. Denn mit «konstruktivem Schweigen» erreiche man «mitunter mehr» als mit öffentlich vorgebrachter Forderung. «Mitunter» vielleicht schon – aber sicher nicht gegen den abgrundtief die Schweiz hassenden Gewaltherrscher namens Muammar al-Gaddafi.

Die Schweiz hat mit ihrem als «konstruktives Schweigen» getarnten Duckmäusertum tatsächlich etwas erreicht: Gerade eben wurde ein Vertreter Libyens ins Präsidium des Uno-Menschenrechtsrates gewählt. Auch dazu übt sich Calmy-Reys Truppe flugs in «konstruktivem Schweigen» – damit hervorgerufenes Kopfschütteln mit der Beteuerung quittierend, diese Ernennung eines Libyers eröffne der Schweiz «gewisse neue Möglichkeiten des Dialogs», die zu nutzen klüger sei als öffentlich erkennbares Eintreten zugunsten elementarer Menschenrechte.

Wenn Pöstchen winken…

Es ist das alte Lied – auch Bern ist ihm längst verfallen: Wo vermeintliche Ehrenposten zu New York oder in anderen internationalen Gremien winken, da haben Überzeugungen, da hat beherztes Eintreten fürs Recht zurückzutreten. Lieber ein Pöstchen, dazu im Nachgang lieber ein «rauschendes Fest» zur Zelebrierung des erreichten «Erfolgs» als beharrliches, beispielgebendes Eintreten der Vertreterin des Kleinstaats Schweiz für geltendes Recht, das im Falle Max Göldis so notorisch wie niederträchtig verletzt wird. Wo Aussenministerin Calmy-Rey und ihr Anhang persönlichen Ruhm wittern, wird die Schweizer Geisel nur lästig. Diplomatie und Feigheit sind zuweilen sehr enge Verwandte.

Ulrich Schlüer


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