Wiedervereinigung?

Nordkorea im Herbst 2012 (II)

Von Ulrich Schlüer

Seit sechzig Jahren besteht zwischen Nord- und Südkorea ein Waffenstillstand – aber kein Frieden. Zwei hochgerüstete, durchtrainierte Armeen werden nur durch die Waffenstillstandszone am 38. Breitengrad voneinander getrennt.

Immer wieder, mindestens einmal jährlich, kommt es zu vergleichsweise schweren Zwischenfällen. Immer wieder kommt es zu aggressiven Wortgefechten zwischen Pyöngyang und Seoul.

Vor über zehn Jahren wurden Vorverhandlungen zur Entspannung der Situation aufgenommen. Sie zeitigten Anfangserfolge, noch heute sichtbar im Industriezentrum Kaesong, wo südkoreanische Firmen auf dem Boden Nordkoreas Produktionsstätten unterhalten, die offenbar rund zehntausend Nordkoreanern Arbeitsplätze bieten. Der Warenverkehr erfolgt täglich zweimal durch die Waffenstillstandzone in Form von Konvois, die militärisch begleitet werden. Seit diesem ersten Schritt geschah nichts Entscheidendes mehr. Die Spannung ist zurückgekehrt. Ist die Wiedervereinigung damit für immer gestorben?

Grossmächte zügeln Heisssporne

Ausschlaggebend ist: Sowohl im Rücken Nordkoreas als auch im Rücken Südkoreas steht je eine Supermacht. Sowohl China als auch die USA sind Stabilisatoren. Die beiden Grossmächte wollen am status quo offensichtlich nichts verändern. Zwar gefällt sich Nordkorea immer wieder in der Rolle des Provokateurs: Einmal wird ein südkoreanisches Schiff versenkt. Dann fallen martialische Sätze zu Waffengeklirr. Oder man provoziert mit Raketen-Tests. Zweifellos lösen solche Aktionen gewisse Angst im Süden aus. Allzuviel aber auch nicht.

Man gewinnt als Beobachter eher den Eindruck: China belässt Nordkoreas Regime zwar einen gewissen Spielraum für provozierendes Gehabe. Aber es behält die Situation immer im Griff. Geht Nordkorea zu weit, wird es sofort zurückgepfiffen. Beide Grossmächte, sowohl China als auch die USA wollen offensichtlich jegliche Eskalation über einen bestimmten Punkt hinaus vermeiden.

Eigenartig auch: Werden Nordkoreas Offizielle auf das Verhältnis zu China angesprochen, erntet man höchst reservierte, karge Antworten. Das Bekenntnis zur «kommunistischen Brüderlichkeit» wird zwar pflichtschuldigst heruntergeleiert. Worauf sofortiger Themenwechsel erfolgt.

Nordkorea könnte seine Bevölkerung kaum ernähren, würde es von China nicht erhebliche Nahrungsmittelhilfe erhalten. Diese Abhängigkeit zügelt Aggressivität. Bezüglich Energieversorgung ist Nordkorea nahezu vollständig von China abhängig.

So zurückgeblieben Nordkoreas Wirtschaft (eine Folge allein des US-Boykotts, sagen Offizielle) ist, so eindrücklich steht Südkorea in der Spitzengruppe der weltweit produktivsten Länder. Südkorea, modern gerüstet, mit einer auf Höchstleistung trainierten Armee, befürchtet kaum ernsthaft einen Waffengang, vergleichbar dem Korea-Krieg von Mitte des letzten Jahrhunderts. Südkorea fürchtet weit eher einen plötzlichen, nicht voraussehbaren Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes, dem sofort die Grenzöffnung folgen würde. Darauf würden, so befürchtet Seoul, Millionen unterversorgter Nordkoreaner (Nordkorea zählt 24 Millionen Einwohner) den Weg ins «südkoreanische Paradies» unter die Füsse nehmen. Eine «Invasion» Hungernder, die kaum zu bewältigen wäre, die Südkorea, so befürchtet Seoul, wirtschaftlich weit zurückwerfen würde.

Nordkorea hält sich für darauf angewiesen, seiner Bevölkerung die «aus dem Süden drohende Gefahr» von Zeit zu Zeit plakativ vor Augen zu führen. Auf dass das Volk zusammenrücke und zum Regime halte.

Japan, wichtige Regionalmacht, ist seinerseits kaum daran interessiert, ein zur Grossmacht aufwachsendes grosses Korea in seiner Flanke entstehen zu sehen.

Mit anderen Worten: Trotz gelegentlichem Waffengeklirr sind alle in der Region bestimmenden Kräfte – auch Russland – am Erhalt des status quo weit mehr interessiert als an dramatischen Veränderungen. Deshalb ist mit schwerwiegenden Auseinandersetzungen, von denen enorme Eskalationsgefahr ausginge, nicht zu rechnen.

Von innen her ist allmähliche Veränderung nur zu erwarten, wenn Nordkorea seine atomaren Pläne aufgibt. Solange es am Atomprogramm festhält, wird der von den USA und allen Westmächten aufrecht erhaltene Wirtschaftsboykott Nordkorea wirtschaftlichen Aufschwung faktisch verunmöglichen. Könnte sich Nordkorea zum Verzicht auf Atomwaffen durchringen (was im Gegenzug den Abzug amerikanischer Atomwaffen aus Südkorea wohl unmittelbar zur Folge haben müsste), wäre wieder einsetzender, allmählich Ergebnisse zeitigender Dialog zwischen Nord- und Südkorea denkbar. Wobei das nordkoreanische Regime allerdings mit allem Nachdruck darauf pocht, dass Nordkorea seine eigenständige Staatsordnung – also die Beibehaltung der jetzt etablierten kommunistischen Diktatur – nie und nimmer preisgeben werde. Von Marktwirtschaft will Nordkorea nichts wissen.

Mit andern Worten: Mit kurzfristiger Veränderung der Lage ist nicht zu rechnen.

Rohstoffe

Dass in Nordkorea grössere Vorkommen an strategischen Rohstoffen Tatsache sind, wird weltweit registriert – vor allem seit der Entdeckung von «seltenen Erden». Bestätigt wird dazu von offizieller Seite nichts, aber aus Gesprächen lässt sich ableiten, dass diese weltweit gesuchten Rohstoffe offenbar von China ausgebeutet werden, welches im Gegenzug Nordkorea die Ernährungssicherheit für seine Bevölkerung gewährleistet. Nicht undenkbar, dass diese das Interesse an Nordkorea nährende Entwicklung die Lage auf der koreanischen Halbinsel im Lauf der nächsten Jahre verändern könnte – kaum aber sprunghaft.

Straflager

Wer in Nordkorea auch mit Ausländern (mit Botschaftern europäischer Länder und Vertretern internationaler Hilfswerke) in Kontakt kommt, stellt sicher auch Fragen nach jenen Straflagern, die in den Weltmedien oft erwähnt werden. Ein Gesprächsthema, das bei darauf Angesprochenen alles andere als Redseligkeit auslöst. Die Antworten sind abwehrend, knapp, jeglicher Konkretisierung abgeneigt.

Ein von uns angesprochener, seit mehreren Jahren in Nordkorea residierender Botschafter eines europäischen Landes entgegnete rundheraus, nach seiner Auffassung gebe es in Nordkorea keine Straflager. Er sei so weit im Land herumgekommen, dass er solche Lager, würden sie existieren, mit Sicherheit gesehen hätte.

Spricht man Hilfswerk-Vertreter auf das Thema «Straflager» an, fällt die Reaktion noch reservierter aus. So dass unwillkürlich der – allerdings von niemandem bestätigte – Eindruck aufkommt, dass in Nordkorea nur solche Hilfswerke tätig sein können, die das Thema «Straflager» aus allen Diskussionen ausklammern.

Wer dazu Fragen stellt, spricht an eine Wand.

us


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