Jeder Unternehmer ein Hilfspolizist?

Anmerkungen zum Tagesgeschehen

Alljährlich wird in der Schweiz mehreren zehntausend Automobilisten der Führerausweis entzogen – oft für einen Monat, nicht allzu selten für drei Monate, zum Teil aber auch für eine noch längere Zeitspanne.

Von Ulrich Schlüer, Flaach ZH
(publiziert in der Zürcher Woche)

Meist – aber nicht immer – ist überhöhte Geschwindigkeit die Ursache. Die Sanktion ist selbst dann einschneidend, wenn das Fehlverhalten von «Rasen» noch weit entfernt und vielleicht gar auf gänzlich menschenleerer Strecke Tatsache geworden ist. Wir kritisieren das nicht, stellen die deutliche Zunahme von Fahrausweis-Entzügen bloss fest.

Neuerdings aber erfährt man, dass all diejenigen, die von – auch bloss vorübergehendem – Führerausweis-Entzug betroffen sind, einer Meldepflicht unterstehen. Und zwar ihrem Arbeitgeber gegenüber. Ein uns zufällig aufs Pult geflattertes Schreiben zeugt davon. Es finden sich darin folgende Sätze:

«Vor diesem Hintergrund sehen wir vor, dass im Falle eines Führerausweisentzuges die Geschäftsleitung umgehend mündlich und schriftlich über den Führerausweisentzug zu informieren ist. Dies gilt auch vorsorglich im Falle einer zu erwartenden Administrationsmassnahme des Strassenverkehrsamtes bzw. der Justizbehörde.»

Der Hintergrund dafür, dass Betroffene eines Führerausweis-Entzugs ihrer Privatsphäre trotz sonst tadellosem Leumund beraubt werden, ist der folgende: Sämtlichen Firmen der Schweiz wird derzeit mit drohendem Unterton mitgeteilt, dass die Mitglieder der Geschäftsleitung, ja selbst die Verwaltungsräte der Firma persönlich dafür zu haften haben, dass niemals ein Angestellter der Firma sich ans Steuer eines der Firma gehörenden Fahrzeugs setzt, wenn er von einem – auch bloss vorübergehenden – Fahrausweis-Entzug betroffen ist.

Selbstverständlich war solche Gesetzwidrigkeit für Personen, die sie sich zuschulden kommen liessen, immer strafbar – zu Recht strafbar! Neu und aufsehenerregend ist aber, dass heute den Mitgliedern der Geschäftsleitung, ja selbst den – längst nicht immer im Betrieb anwesenden – Verwaltungsräten einer Firma, in denen ein Angestellter solche Gesetzwidrigkeit begeht, dafür «bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe» angedroht wird. Und dazu auch noch eine saftige Busse.

Drei Jahre Freiheitsentzug: Eine wahrhaft happige Strafe. Nicht einmal ein Drogendealer, nicht einmal ein Vergewaltiger, nicht einmal ein Einbrecher wird so hart bestraft – zumindest nicht als Ersttäter. Wohl aber ein Unternehmer, wenn ein Betroffener von Führerausweis-Entzug seiner Meldepflicht der Firma gegenüber nicht nachgekommen ist. Man könnte daraus schliessen, dass Unternehmer fortan täglich Fahrausweis-Kontrollen durchzuführen hätten bei all jenen Angestellten, die häufig oder auch nur gelegentlich am Steuer eines Firmenautos sitzen. Der Unternehmer hat als (selbstverständlich nicht besoldeter) Hilfspolizist der staatlichen Kontrollbürokratie zuzudienen.

Tatsache ist: Tausende Schweizer Firmen müssen derzeit von all ihren Angestellten schriftliche Erklärungen dafür einholen, dass sich jeder Angestellte der Strafbarkeit unterlassener Meldeplicht von Führerausweis-Entzügen dem Arbeitgeber gegenüber jederzeit bewusst ist. Die ausgefüllten Erklärungen sind selbstverständlich aufzubewahren – als schriftliche Beweisstücke dafür, dass der Angestellte sich der Meldepflicht von Führerausweis-Entzug dem Arbeitgeber gegenüber bewusst ist.

Es lebe die Bürokratie!

us


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