Antwort des Bundesrates

"Warum wird Belgien nicht haftbar gemacht?"

Am 4. September 2002 formulierte der Bundesrat folgende Antwort:

Der Verkehrsunfall vom 24. Oktober 2001 im Gotthard-Strassentunnel verursachte in der Tat einen hohen Schaden. Die damit zusammenhängenden Haftungs- und Versicherungsfragen müssen noch gerichtlich geklärt werden. Es gilt dabei festzustellen, ob der Lenker des belgischen Lastwagens allein für den Unfall verantwortlich ist oder ob grobes Verschulden Dritter für ihn haftungsmindernd oder haftungsbefreiend wirken. Auch der Hergang von Folgekollisionen (z. B. Auffahrunfälle, Wendemanöver) vermag die haftungs- und versicherungsrechtlichen Fragen zu beeinflussen.

Zur ersten Frage
Der Kanton Tessin ist Eigentümer des Tunnelabschnittes, auf dem sich der Unfall ereignete. Es ist seine Aufgabe, von den haftpflichtigen Personen bzw. deren Versicherern Schadenersatz zu verlangen. Er ist denn auch in dieser Hinsicht bereits tätig geworden. Das Ergebnis liegt indessen noch nicht vor. Eine erste Einschätzung der Sach- und Rechtslage lässt aber vermuten, dass nicht der ganze Sachschaden durch die Versicherungen gedeckt ist.

Zur zweiten Frage
Ein Staat ist nur haftbar, wenn ein funktioneller Zusammenhang zwischen dem schädigenden Verhalten und der amtlichen Tätigkeit besteht. Die Haftungsfrage stellt sich nicht nur für das Herkunftsland eines Fahrzeuges oder Lenkers, sondern auch für die dazwischen liegenden Transitstaaten, denen im Strassenverkehr ebenfalls Kontrollpflichten obliegen. Die zuständige belgische Behörde ist zwar gehalten, die Einhaltung der geltenden Vorschriften anhand von Stichproben zu überprüfen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sie nicht jedes einzelne Fahrzeug und jeden einzelnen Lenker kontrollieren kann.

Zur dritten Frage
In der Schweiz gelten seit 1987 bzw. 1992 das Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (Haager Abkommen) und das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano Übereinkommen).

Im Rahmen des Swisslex-Programms sind alle in der Schweiz zugelassenen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer verpflichtet worden, gemeinsam ein nationales Versicherungsbüro (NVB) und einen nationalen Garantiefonds (NGF) zu bilden und zu betreiben. Das NVB deckt Schäden, die ausländische Motorfahrzeuge, Anhänger und Fahrräder in der Schweiz oder dem Fürstentum Liechtenstein verursachen, im gleichen Umfang, wie wenn der Unfall durch ein schweizerisches Fahrzeug verursacht worden wäre.

Von nicht versicherten oder unbekannten Motorfahrzeugen, Anhängern und Fahrrädern verursachte Unfallschäden werden aus dem NGF gedeckt. Seit dem 1. Januar 1998 garantiert ein privatrechtliches Abkommen zwischen dem NGF und den Garantiefonds der Mitgliedstaaten des EWR, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Personen mit Wohnsitz in allen Staaten des EWR und der Schweiz rechtlich gleich behandelt werden.

Das schweizerische Recht entspricht der 1., 2. und 3. europäischen Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Die Übernahme der 4. Richtlinie ("Besucherschutz") wird zurzeit vorbereitet. Letztere wird ermöglichen, dass die Opfer von Verkehrsunfällen im Ausland ihren Haftpflichtanspruch bei einer Stelle im Herkunftsland geltend machen können. Bei der Schadenregulierung sollen sie zudem unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sich der Verkehrsunfall ereignet hat, vergleichbar behandelt werden.

Der Bundesrat verfolgt die Entwicklung auf europäischer Ebene weiter, wo bereits ein Vorschlag für eine 5. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtlinie vorliegt.

Erklärung des Urhebers: Nicht befriedigt von der Antwort.

Chronologie
04.10.2002: Nationalrat: Die Diskussion wird verschoben.
19.12.2003: Der Vorstoss wird abgeschrieben, weil seit mehr als zwei Jahren hängig.

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Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch