Sondersession als Wahlkampf-Manöver - Missbrauch

Parlamentarische Initiative vom 18. Dezember 1997

Auf Verlangen allein der SP-Fraktion im Nationalrat haben die Eidgenössischen Räte während der für die Beratung der neuen Bundesverfassung anberaumten ausserordentlichen Session zusätzlich zu einer Sondersession anzutreten und dabei der SP-Fraktion gleichsam als Staffage zu dienen für rabiate Angriffe auf den Finanzplatz Schweiz.

Allerdings hat die SP nicht allein aus Appetit auf eine Abrechnungs-Kampagne mit den schweizerischen Banken die Einberufung der Sondersession verlangt. Noch wichtiger ist ihr, dass sie an dieser von den Medien zweifellos intensiv verfolgten Inszenierung ihren neuen Kandidaten für den Zürcher Stadtrat medienwirksam in Szene setzen kann. Das Parlament wird abgewertet zu einer Kulisse für ein von der SP erzwungenes, billiges Wahlkampf-Manöver. Dies ist möglich, weil eine Sondersession heute von lediglich fünfzig Ratsmitgliedern, unter Umständen also von einer einzigen Fraktion allein verlangt und durchgesetzt werden kann.

Den Schaden dieses Manövers trägt der Wirtschaftsplatz und der Finanzplatz Schweiz. Jeder - ausländische oder inländische - Kunde schweizerischer Finanzinstitute, der Zeuge des vorgesehenen Feldzuges gegen den Finanzplatz sein wird, wird sich doppelt überlegen, ob er diesem Finanzplatz sein Vertrauen noch schenken will. Wer in der heutigen Zeit eines schwierigen internationalen Wettbewerbs den schweizerischen Finanzinstituten die rechtzeitige und genügende Bereitstellung von Risikokapital erschwert oder verunmöglicht, der fügt dem Wirtschafts- und Finanzplatz mit seinen Zehntausenden von Arbeitsplätzen schwersten Schaden zu. Dies alles kümmert die SP freilich nicht. Ihr Denkhorizont endet beim Datum der nächsten Zürcher Stadtrats-Wahl.

Damit ähnlicher Missbrauch des für ausserordentliche Ereignisse und Entwicklungen reservierten Instruments der vom Nationalrat selbst einberufenen Sondersession verhindert werden kann, fordert der Zürcher SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer mit einer am 19. Januar eingereichten parlamentarischen Initiative, dass die Mindestzahl der Nationalräte, die für die Einberufung einer Sondersession erforderlich ist, von derzeit fünfzig auf hundert verdoppelt wird. Damit könnte wahltaktisch bedingter Missbrauch des Instruments Sondersession durch eine einzelne Fraktion in Zukunft unterbunden werden. Das Instrument der von den Räten selbst einberufenen Sondersession wäre dann wieder für ausserordentliche Lagen und Entwicklungen reserviert, wobei ein Konsens mehrerer oder zumindest repräsentativer Teile mehrerer Fraktionen notwendig wäre, bis die Durchführung einer Sondersession erreicht werden könnte.

Die parlamentarische Initiative Schlüer zum Thema Sondersession hat den folgenden Wortlaut:

Sondersessionen

Gestützt auf Artikel 93, Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 2,bis des Geschäftsverkehrsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative in Form des ausgearbeiteten Entwurfs ein:

Art. 86, Absatz 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 ist wie folgt zu ändern:

2 Sie werden ausserordentlich einberufen durch Beschluss des Bundesrats oder wenn die Hälfte der Mitglieder des Nationalrats oder fünf Kantone es verlangen.

Begründung

Zu Recht hat der schweizerische Souverän in der Bundesverfassung die Möglichkeit vorgesehen, dass eine qualifizierte Zahl von Nationalräten unter dem Eindruck eines einschneidenden Ereignisses oder einer Entwicklung von ausserordentlicher Tragweite, die dringend Entscheidungen erfordern, kurzfristig die Anberaumung einer Sondersession der Eidgenössischen Räte durchsetzen können.

Die heute gültige Regelung, wonach bereits ein Viertel der Nationalratsmitglieder eine solche Sondersession verlangen kann, ist indessen unbefriedigend, lässt sie doch zu, dass eine einzelne Fraktion allein eine Sondersession erzwingen kann. Dieser Umstand verleitet offensichtlich dazu, das für ausserordentliche Entwicklungen vorgesehene Instrument der von den Räten dringlich einberufenen Sondersession für rein parteipolitische, mitunter äusserst kurzatmige, mitunter gar von regionalen oder kantonalen Wahlkämpfen diktierte taktische Manöver zu missbrauchen. Solche Zweckentleerung eines für ausserordentliche Situationen reservierten politischen Instruments wertet das Parlament ab. Damit der von den Räten selbst einberufenen Sondersession das ihr zustehende Gewicht zurückgegeben werden kann, ist die Mindestzahl der Parlamentsmitglieder, die die Durchführung einer Sondersession verlangen können, zu erhöhen. Die Verdoppelung der heute gültigen Mindestzahl ist angemessen, müsste damit doch die Hälfte aller Ratsmitglieder das Verlangen nach einer Sondersession mittragen. Das Instrument Sondersession käme damit nur noch mittels Konsens' mehrerer oder zumindest wesentlicher Teile mehrerer Fraktionen zum Einsatz. Seiner ursprünglichen Idee nach wäre es dann wieder ein Instrument zur dringlichen Behandlung wirklich ausserordentlicher Ereignisse und Entwicklungen. Der Missbrauch des Parlaments
als Spielball wahltaktisch motivierter Manöver würde unterbunden, was dem Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit nur dienlich wäre.

Mein Votum im Nationalrat zur Parlamentarischen Initiative "Sondersession als Wahlkampfmanöver"vom 19. Januar 1998

Schlüer Ulrich (V, ZH): Mein Antrag, wonach es zur Einberufung einer Sondersession der Hälfte der Ratsmitglieder bedarf, ist entstanden aus der aktuellen Situation heraus. Er wurde am vergangenen Montag in Form einer parlamentarischen Initiative eingereicht und muss logischerweise auch im Rahmen der neuen Bundesverfassung vertreten werden.

Es geht also um eine Tagesaktualität, aber diese hat Auswirkungen und ist von einer Tragweite, über die es zu diskutieren gilt. Wir werden morgen erleben, dass dieses Parlament im Prinzip von einer einzigen Fraktion vorgeführt wird, um den Hintergrund, um die Kulisse abzugeben, damit diese Fraktion einen Kandidaten, der im Wahlkampf steht, mediengerecht in Szene setzen kann. Das werden wir morgen erleben! Wir werden dies erleben, weil es heute möglich ist, dass eine einzelne Fraktion eine Sondersession durchsetzen kann.

Ich bin der Auffassung, dass es absolut angemessen ist, dass das Parlament, wenn einschneidende Ereignisse eintreten, wenn Entwicklungen von ausserordentlicher Tragweite zu besprechen sind, auf dringlichem Weg eine Sondersession anberaumen kann. Aber ich bin der Auffassung, es braucht dazu einen Konsens mehrerer Fraktionen oder zumindest von wesentlichen Teilen mehrerer Fraktionen. Dann ist das Instrument der Würde des Hauses angemessen. Aber was wir jetzt erleben - dieses Vorgeführt-Werden - ist der Würde dieses Hauses nicht angemessen.

Ich bin der Auffassung, wir sollten dies korrigieren, wenn wir es korrigieren können. Ich gehe davon aus, dass die "Griffel" jetzt bereits gespitzt sind für den Nachweis, dass mit diesem Antrag die Nachführung verlassen wird. Ich bitte Sie, einfach zu überlegen: Als der Souverän das Parlament als Institution schuf - war er da daran interessiert, dass dieses Parlament missbraucht werden kann für lokale Wahlkämpfe?

Ist dieser Souverän nicht viel eher daran interessiert, dass das Parlament seiner Würde gerecht seine Geschäfte erledigen kann? - Darüber haben wir zu entscheiden, wenn wir uns fragen: Findet da eine Nachführung statt oder findet keine Nachführung statt? Ich bitte Sie, der Zweckentleerung einer wichtigen Bestimmung in der Verfassung entgegenzuwirken und meinem Antrag zuzustimmen, wonach es der Hälfte der Parlamentsmitglieder bedarf, damit eine Sondersession einberufen werden kann.

Bericht der Staatspolitischen Kommission vom 19. Oktober 1998


Die Staatspolitische Kommission (SPK) hat an ihrer Sitzung vom 27. August 1998 die von Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP/ZH) am 19. Januar 1998 eingereichte parlamentarische Initiative gemäss Artikel 21ter des Geschäftsverkehrsgesetzes vorgeprüft.

Die Initiative verlangt eine Änderung der Bundesverfassung, wonach zur Einberufung einer ausserordentlichen Session nicht wie bisher nur ein Viertel, sondem neu die Hälfte der Mitglieder des Nationalrates erforderlich sein soll.

Antrag der vorberatenden Nationalratskommission (Staatspolitische Kommission)

Die Kommission beantragt mit 16:3 Stimmen bei 5 Enthaltungen, der Initiative sei keine Folge zu geben. Im Namen der Kommission, der Präsident: Leu

Mündliche Begründung im Rat und Abstimmungsresultat

>> Mündliche Begründung im Rat und Abstimmungsresultat

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch