Antwort des Bundesrates

Gaskrieg zwischen der Ukraine und Russland. Folgerungen der Schweiz

Der Bundesrat beantwortete die Interpellation am 6. Mai 2009 wie folgt:

Der Erdgasanteil am Gesamtenergieverbrauch der Schweiz beträgt rund zwölf Prozent. Das Erdgas wird vollständig importiert und stammt zu vierzig Prozent aus EU-Ländern, zu je 25 Prozent aus Norwegen und Russland sowie zu etwa zehn Prozent aus weiteren Förderländern (vor allem Nordafrika). Die Beschaffung erfolgt durch Gasunternehmen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien grösstenteils auf der Grundlage von langfristigen Lieferverträgen. Der Erdgasbedarf der Schweiz beträgt lediglich 0,7 Prozent des europäischen Verbrauchs.

Auf die Versorgung der Schweiz hatte der Gasstreit 2009 – wie auch schon derjenige von 2006 – während der ganzen Dauer keine direkten Auswirkungen. Mittels Erhöhung der Förderkapazitäten und Entnahmen aus Untertagsspeichern kam es in Westeuropa trotz relativ tiefer Temperaturen während der ganzen Störung zu keiner Mangelsituation. Dank entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen und Beteiligungen an europäischen Erdgasgesellschaften (wie die Beteiligungen der Swissgas an der norwegischen Fördergesellschaft oder Gaznat am Untertagsspeicher Etrez in Frankreich) kann auch die Schweizer Erdgasbranche von diesen Reservekapazitäten profitieren. Soweit dies technisch möglich war, konnten sogar osteuropäische Länder, die aufgrund ihrer Versorgungsinfrastruktur vom Lieferstopp teilweise stark betroffen waren, von westlichen Erdgasunternehmen beliefert werden. Insgesamt war der Vorbereitungsgrad der westeuropäischen Länder dieses Jahr höher als 2006, was trotz der längeren Versorgungskrise vergleichsweise weniger Ausfälle als 2006 verursacht hat.

Zu den einzelnen Fragen:

1. Die Versorgungssicherheit hat auch beim Erdgas für die Schweiz einen hohen Stellenwert und gewinnt – vor allem im Hinblick auf die zunehmende Erdgasabhängigkeit Europas von Russland und anderen östlich gelegenen Förderländern – immer mehr an Bedeutung.

Da die Schweiz keine direkten Lieferverträge mit Russland hat, ist sie auf die jeweilige Versorgungslage ihrer Lieferpartner angewiesen. Diese sind bemüht, ihre Versorgungsmöglichkeiten und Vorsorgemassnahmen weiterhin laufend zu verbessern (Erhöhung der Speicherkapazitäten, vermehrte Beschaffung von verflüssigtem Erdgas). Mit dem relativ geringen Erdgasbedarf der Schweiz gemessen am gesamten Energiebedarf (in den EU-Staaten ist er doppelt so hoch), der breit abgestützten Beschaffungsstruktur und den vorgesehenen Massnahmen drängen sich für die Schweiz vorderhand keine sofortigen Massnahmen auf. Eine Neubeurteilung der Situation wäre notwendig, wenn der Erdgasverbrauch z. B. durch die Verwendung in Erdgaskraftwerken massiv zunehmen würde.

2. Für den Fall einer Unterversorgung in der Schweiz sind seitens der wirtschaftlichen Landesversorgung die folgenden zwei Massnahmen vorgesehen.

Umschaltung von Zweistoffanlagen: Rund vierzig Prozent des Gesamtverbrauchs der Schweiz werden von etwa siebentausendfünfhundert Grosskunden mit Zweistoffanlagen bezogen. Diese Anlagen können aus wirtschaftlichen Gründen, vor allem aber auch bei Versorgungsproblemen, auf Heizöl umgeschaltet werden. Da Erdgas zur Zeit in der Schweiz nicht lagerbar ist, schreibt die Erdgaspflichtlagerverordnung vor, dass für diese Verbraucher ersatzweise Heizöläquivalente im Umfang von vier einhalb Monaten eines Normalverbrauchs gehalten werden müssen. Diese Massnahme erlaubt es, den verbleibenden Bedarf von sechzig Prozent (Heizen und Kochen in Haushalten) über eine lange Zeit abzudecken.

Genügen diese Umschaltungen nicht, um eine Versorgungslücke auszugleichen, könnte der Bundesrat Einschränkungsmassnahmen beim Verbrauch anordnen.

Der Gasstreit hat einmal mehr gezeigt, dass ein guter Energiemix und eine breit diversifizierte Energieversorgung (mehrere Energiequellen und verschiedene Transportrouten) von zentraler Bedeutung sind. Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz mehr als achtzig Prozent ihres Energiebedarfs einführt, ist die Sicherung der Versorgung von grosser Bedeutung. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat im Februar 2008 eine Strategie für eine Energieaussenpolitik verabschiedet, die u.a. die Versorgungssicherheit mittels Diversifizierung als Hauptziel verfolgt.

Die Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine hat bestätigt, dass die Diversifizierungsstrategie der Schweiz, unter anderem durch Unterstützung des TAP-Projekts (Trans-Adriatic-Pipeline), richtig ist. In Zukunft will die Schweiz die Diversifizierung ihrer Energieversorgung noch verstärkt mit aussenpolitischen Instrumenten vorantreiben (Dialog mit Förder- und Produzentenländern sowie mit ihren Nachbarstaaten).

Die Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine hat ebenfalls gezeigt, dass in einem Krisenfall die Solidarität und Absprache zwischen den von der Krise betroffenen Ländern zentral sind, da ein europäischer Gasversorgungsengpass nicht national gelöst werden kann. Schliesslich wird sich die Schweiz weiterhin für international stabile rechtliche Rahmenbedingungen einsetzen, welche den sicheren Transit fossiler Energieträger ermöglichen. Der Vertrag über die Energiecharta, der für die Schweiz im April 1998 in Kraft getreten ist, bildet hierfür eine wichtige Grundlage.
Neben diesen aussenpolitischen Bestrebungen zielt die Energiepolitik des Bundesrates generell darauf ab, mittelfristig den Verbrauch fossiler Energien zu senken und den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen.
3. Die Errichtung von Erdgaspflichtlagern in Untertagsspeichern (Kavernen- oder Porenspeicher) ist aufgrund fehlender geologischer Voraussetzungen in der Schweiz derzeit nicht möglich.

Wie dargelegt, kommt beim Erdgas das System der Ersatzpflichtlagerhaltung zum Einsatz. Für den Betrieb von Zweistoffanlagen werden bereits heute entsprechende Heizölpflichtlager gehalten.

Der Interpellant erklärte sich von dieser Antwort «teilweise befriedigt» und verlangte Diskussion.

Diese findet zu einem späteren Zeitpunkt statt.


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Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch